Out of the Box – Weil wir wunderbar gemacht sind
Die Kolumne von Tom Laengner

Ist ein guter Mensch auch gut zu Menschen?

Tom Laengner schätzt Prinzipientreue. Doch dann stellt er plötzlich fest: Gut zu sein und gut zu handeln, das kann ein Unterschied sein.

Die Lammfleischstücke zeigten sich mit rosa Backen einsatzbereit für den Grillrost. Während die Holzkohle noch etwas unwillig vor sich hin qualmte, entstand Gesprächsraum für alles, was zuletzt so passiert war. Einer hatte jüngst eine Füchsin verjagt. Sie war in das Gehege der Hühner eingedrungen. Da hatte er ihr mit dem Luftgewehr eins übergebraten. Einen Tag später war sie trotzdem wieder da. Ein anderer erzählte, wie er als Kind Autoreifen angezündet hatte. Und das ist, wie jeder Kundige weiß, nicht leicht. Mein Respekt war ihm gewiss. Mit fiel dann ein, wie mein Vater und ich in sonnigen Herbstzeiten die Ruhrwiesen angezündet hatten. Das waren echte Freudenfeuer, wenn auch nicht ganz gesetzeskonform.

Inzwischen gerieten die Lammfleischspieße in Hochform. An einigen Ecken wurden sie sogar richtig schwarz. Die Farbe weckte Kindheitserinnerungen. Zu den schwärzesten Erfahrungen meines frühen Lebens gehören Bergleute nach Ablauf ihrer Schicht. Diese Bilder vor Augen erinnerte ich mich an eine Sache, die ich bis heute bedauere. Es wäre so einfach gewesen! Einzig meiner Prinzipientreue hätte ich einmal abschwören sollen. Habe ich aber nicht.

Gesundheit versus Alkohol

Das Ding war dieses: Auf der gegenüberliegenden Ruhrseite gab es statt Wiesen zum Anzünden einen Biergarten. Als ich erwachsen war, worauf ich nach meiner Karriere als Feuerlegelehrling noch etwas warten musste, lud mein Vater mich immer wieder mal in genau dieses Lokal ein: „Einmal müssen wir nach Haus Großjung gehen.“ Er wollte ein Bier. Ich hatte Sorgen um seine Gesundheit und sagte nie verbindlich zu. Irgendwann war mein Vater für den Weg über die Brücke zu schlapp. Mir ging es wirklich um die Gesundheit. Und die ist ja bekanntlich das Wichtigste. War ich da nicht ein prima Sohn? Ist schon richtig: Alkohol ist nur so halb gesund. Andererseits wäre das eine Bier mehr nicht das Zünglein an der Lebenswaage meines Vaters gewesen. Und mir wurde eines klar. Meine prinzipielle Position zum Alkohol war vielleicht grundsätzlich richtig und gut. Aber war ich auch gut zu meinem Vater?

Viele Jahre später hatte mein Vater im Marienheim in Essen-Überruhr ein Zimmer mit Vollverpflegung angemietet. Darin erlebte er das Jahr 2006, in dem die Welt zu Gast bei Freunden war (die Fußball-WM in Deutschland). Zu meinem Vater kam die Welt in Gestalt von Dr. Boniface Fogwe aus Limbe in Kamerun. Als Freund der Familie war der Besuch bei einem Deutschlandaufenthalt die natürlichste Herzensverpflichtung der Welt. Aber eigentlich drehte sich in jenem Sommer alles um das Runde, das unbedingt ins Eckige musste. Deutschland gegen Schweden wurde zum Spiel unserer Wahl.

Kein Bier beim Fußball?

Papi und ich wollten das Spiel zusammen anschauen. Ich hatte sogar einen Einmalgrill und marinierte Hühnerbrust besorgt. Aber zu Bier hatte ich mich nicht durchdringen können. Der Spieltag war sonnig und der Grillanzünder schickte eine Aromadelegation vom Balkon ins stickige Zimmer. Die Spieler störte das nicht die Bohne. Sie ließen den Ball von Minute zu Minute hin und her fliegen, als vorsichtig die Tür knarzte. Es offenbarte sich ein Pfleger, der mit einem kurzen Blick die Situation abschätzte. Dann lächelte er und sagte einen Satz, den ich nie vergessen werde: „Ich sehe hier zwei Männer beim Fußball. Aber ich sehe kein Bier!“ Dann klickte die Tür höflich ins Schloss, um nach einer kurzen Weile wieder Raum zu schaffen für ein Quäntchen an frischer Luft. Eine Minute später hatten mein Vater und ich jeweils eine laue Flasche Stauder Pils in der Hand.

Alkohol war auf der Station genauso verboten, wie der Gebrauch von Schusswaffen. Aber mir konnte das Eine kaum klarer sein: Dieser Pfleger hatte die gewissenhaft ersonnene Stationsordnung für einen Moment außer Kraft gesetzt. Aber er war damit eindeutig gut zu meinem Vater gewesen. Davon wollte ich lernen. Und das tue ich auch bis heute noch. So wie ich den Mann aus Nazareth verstehe, war er genauso wie der Pfleger aus Überruhr. Er vertrat nicht das prinzipiell Gute. Er beeindruckte dadurch, dass er gut zu Menschen war. Nicht nur zu den Guten.

Es ist ein ganz schmaler Grat zwischen leicht schwarz angeröstet und brikettschwarz verbrannt. So griff schließlich eine von uns beherzt nach dem erstbesten Grillspieß. Blöderweise hatte sie keinen Handschuh angehabt. Und so kam es, dass ein unbescholtener Grillspieß zum Flugobjekt wurde.

Out of the box - weil wir wunderbar gemacht sind

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Tom Laengner

Tom Laengner ist ein Kind des Ruhrgebiets. Nach 20 Jahren im Schuldienst arbeitet er journalistisch freiberuflich und bereist gerne afrikanische Länder. Darüber hinaus arbeitet er als Sprecher für Lebensfragen und Globales Lernen.

In seiner Kolumne „Out of the Box – Weil wir wunderbar gemacht sind" schreibt er alle 14 Tage über Lebensfragen, die ihn bewegen.

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6 Kommentare

  1. Es gibt eine Ideolgie der Moral

    Tom Laengner schätzt Prinzipientreue. Doch dann stellt er plötzlich fest: Gut zu sein und gut zu handeln, das kann ein Unterschied sein. Wenn das hier geschilderte eigentlich verbotene Bier symbolisch dafür steht „dass es nicht ein ehernes Gesetz wird und zur unumstößlichen Ideologie“, dann hat sich Jesus über die Ideologie der Moral hinweg gesetzt. Nämlich als die vorgebliche Sünderin hier beinahe wegen ihrem Ehebruch von den Scheinheiligen gesteinigt worden wäre. Da kann man getrost das Manco weglassen, dass es eine Gleichberechtigung von Mann und Frau zu Jesu Zeiten nicht gegeben hatte. Aber die so richteten – zunächst nur in ihren Gedanken – hatten ihre eigenen Leichen im Keller völlig vergessen. Dass die Liebe dann eben auch darin besteht „Gnade vor Recht“ zu gewähren, also barmherzig zu sein, scheint dabei elementar zu werden. Dies deckt sich damit, dass die Bergpredigt die Wichtigkeit schildert, zuerst den Balken aus dem eigenen Augen zu ziehen, bevor wir den Splitter dort im Auge des anderen kritisieren. Dies ist eine möglichst vollständige Absage an jeglichen Glauben einer eigenen Perfektion, schon gar nicht in die des Christseins. Niemand ist perfekt und die Psychologen schließen sich dem an, in dem sie sagen: „Jede/r hat Ecken und Kanten, doch Geschicktere können sie nur besser verstecken“. Den von Tom Laengner geschilderten Widerspruch von „Gut sein“ einerseits und „Gut handelt“ andererseits kann ich aber nicht perfekt auseinander halten. Denn nach meinem Begriffsverständnis kann ich nur in einem bestimmten Moment gut handeln, wenn ich auch in diesem Augenblick gut bin. Etwa mein ethischer Zwiespalt zwischen meinem Anspruch und meiner Praxis im Leben wird aber beispielsweise dann relevant, wenn wir noch die Worte der Dompredigern in Berlin vom Sonntag nachklingen. In ihren interessanten Worten zur Schöpfungsgeschichte sagte sie (zu recht), dass die Tiere bei unserem mangelnden Versuch die Schöpfung zu bewahren, wohl am schlechtesten wegkommen. Da bin ich wieder beim Wohlgeruch des gebruzelten Fleisches, wie es Tom Laengner schildert, und ich frage mich: Reicht es da sich nur um das Tierwohl zu sorgen, um dessen natürliche Haltung und meine Bereitschaft einen hohen Preis zu bezahlen? Oder wäre die Konsequenz glaubhafter, wenigstens ganz auf den Genuss all unserer Mitkreaturen zu verzichten? Oder ist dies zu viel Ideologie? Aber ich bin durchaus der Überzeugung, auch wenn man sich das Ewige Leben nicht vorstellen kann: In Gottes Neuem Himmel und Neuer Erde wird es kein Fressen und Gefressenwerden mehr geben, wenn dann nach Paulus jegliche Kreatur im Universum in eine Erneuerung einbezogen ist und auf diese Erlösung wartet. Seit ich mit 11 Jahren aus Versehen durch ein Schlachthof gelaufen war, hat mich die Angstschreie der Tiere vor ihrer Tötung nicht mehr losgelassen. Trotzdem liebe ich ein gutes Schnitzel.

  2. „Definiere gut“….wer ist ein guter Mensch?
    Das ist echt ein schmaler „Grad“….
    Ich glaube ,wir können uns bemühen Gutes zu tun…
    Aber, wenn ich Gutes tue-bin ich dann auch ein guter Mensch, mit reinem Herzen?
    Ich weiß das nicht…ob ich immer gut bin, ich glaube nicht….

    Und ich glaube auch nicht, das Bier schadet.
    Im Gegenteil, es ist sogar sehr gesund….
    „Wer trinkt nicht auch gerne mal ein Bier“?

    Ein Guter Mensch ist für mich meine Freundin zum Beispiel.
    Sie tut viel Gutes für Gott und die Menschen.
    Und vor Allem für mich und meine Kinder.
    Ich danke Gott für meine Freundin…
    Sie tut Gutes in dem sie mir hilft und einfach da ist…egal wie die Situation ist….sie hat mich lieb.
    Ja sie tut mir sehr viel Gutes!!!!

    Generell denke ich tuen Menschen auch gute Dinge.
    Ob sie denn gut sind, weiß ich nicht.
    Also, was ist gut???
    Gute Frage???

  3. Möglichst in jeder Situation sollten wir unser Denken, Reden und Tun von der Liebe zu Gott und den Menschen (und weiteren Geschöpfen) bestimmen lassen!!!
    In den Situationen, in denen es uns gelingt, entsprechend dieser Liebe zu Gott und den Menschen (usw.) zu leben, können wir sogar göttliche und erst recht menschliche Gesetze und Vorschriften übertreten, ohne dabei zu sündigen!!!
    So hat zum Beispiel der Herr Jesus Christus sehr deutlich zum Ausdruck gebracht, dass es am Sabbat erlaubt ist, etwas Gutes zu tun, auch wenn dadurch das Ruhegebot nicht eingehalten wird.
    In meiner persönlichen Hilfstätigkeit für bedürftige Menschen habe ich zwei Regeln, die oft im Widerstreit zueinander sind, aber sich letztlich gegenseitig ergänzen:
    Die eine Regel ist, dass ich klare Regeln und Grundsätze habe, sodass ich beispielsweise keine grundsätzlich schädlichen Handlungen – wie z.B. den Konsum von Suchtmitteln – fördern möchte.
    Die andere Regel ist, dass ich flexibel auf die individuellen Bedürfnisse der betroffenen Menschen eingehe.
    Zumal ich sehr oft Menschen helfe, die mir bis dahin unbekannt sind, weiß ich oft nicht, welche Hilfe für diese Menschen wirklich am besten ist.
    Ich führe dann meistens ausführliche Gespräche mit diesen Personen, um besser einschätzen zu können, was die beste Hilfe sein könnte.
    In der Regel bete ich auch zu Gott während dieser Gespräche, weil Gott ganz genau weiß, was in der jeweiligen Situation am besten ist!!!

    Meines Erachtens sollten wir uns grundsätzlich an die göttlichen und menschlichen Gesetze halten!!!
    Aber es ist vor allem wichtig, dass wir uns möglichst in jeder (relevanten) Situation von Gott und der Liebe zu Gott und den Menschen (usw.) in unserem Denken, Reden und Tun bestimmen lassen!!!

    Übrigens ist gemäß der Bibel Alkoholkonsum in Maßen eher positiv und Alkoholkonsum in Massen eher negativ dargestellt.

    Liebe Grüße
    Saint Peter

    • > Übrigens ist gemäß der Bibel Alkoholkonsum in Maßen eher positiv

      Was damit zu tun hat, dass Alkohol damals als desinfizierend eingesetzt wurde (Wasser war damals nicht besonders keimfrei). Deshalb war es auch fast bis in die Neuzeit normal, dass auch Kinder ’schwachen‘ Alkohol tranken.

      Das entfällt heute in einem Land wie unserem.

      • Es ist eine offensichtliche Tatsache, dass es auch „heute in einem Land wie unserem“ sehr viele Dinge gibt, die Alkohol zur Desinfizierung und Konservierung enthalten.
        Darunter sind viele feste und flüssige Lebensmittel und medizinische Produkte.
        Außerdem kann Alkoholkonsum weitere positive Wirkungen haben, wie zum Beispiel, dass er das Herz eines Menschen erfreuen kann. (Psalm 104:15)
        Aber natürlich gibt es auch schädliche Wirkungen beim (übermäßigen) Alkoholkonsum.
        Deshalb gibt es auch viele Bibelstellen, die vor negativen Auswirkungen der Alkoholnutzung warnen.
        Also gilt nach wie vor:
        Alkohol in Maßen ist okay und Alkohol in Massen ist gefährlich!

        Liebe Grüße
        Saint Peter

        • > Alkohol in Maßen ist okay und Alkohol in Massen ist gefährlich!

          In Bayern gilt darüber hinaus: Alkohol im Mass ist okay. 😉

          Aber ernsthaft: Die Bibel führt nicht nicht weiter. Wie gesagt, die Umstände waren andere.
          Es gibt Menschen, die dürfen gar keinen Alkohol trinken und für diese ist das leichter, wenn z.B. auf Veranstaltungen (z.B. Betriebsfeiern) gar kein Alkohol angeboten wird. Für mich z.B. auch ein Thema beim Abendmahl (wird ja inzwischen auch oft berücksichtigt und Traubensaft genommen)

          Bei Kindern würde ich auch für ein Alkoholverbot plädieren, wohl wissend, dass das andere Kulturen oft anders sehen.

          Und wie so ein Maß aussieht, darüber kann zum einen die Selbsteinschätzung trüben und man generell wohl auch gut streiten.

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