Out of the Box – Weil wir wunderbar gemacht sind
Die Kolumne von Tom Laengner

Was tun, wenn ich stinke?

Krankenhaus, Operation, Müdigkeit – nichts geht mehr. Da muss Tom Laenger an Paulus und Silas denken, die ausgerechnet im Knast Gott lobten. Was war ihr Geheimnis?

Als wäre ich in einem ganz kleinen Stadion: Überall sind Lampen an den Wänden. Sie leuchten gelb. Manche feuerwehrrot oder sogar froschgrün. Und dann ist da ein forderndes Piepen. Es klingt sehr technisch, sehr reduziert und kommt nie außer Atem. Mir kommt eine Installation in einem Museum in Salzburg in den Sinn. Dann wird es dunkel. Die Zwei an meinem Bett müssen meine Tochter und meine Frau gewesen sein. Gegenüber liegt noch ein Mann, seine Arme stark bandagiert. Der Sprung aus dem siebten Stock hatte nicht den von ihm gewünschten Erfolg. Das bekommt mein waberndes Hirn mit. Siebter Stock, denke ich, das kann doch nur schiefgehen! Dann gehen in mir wieder die Lampen aus.

Irgendwann wird es langsam heller. In mein Zimmer fällt Licht. Die Fenster können leider nur auf Kippe gestellt werden. So kommen zwar die Gespräche der Taxifahrer vor dem Haupteingang rein, aber leider verirrt sich nur wenig frische Luft bis hin zu mir. Übrigens, wir sind im siebten Stock.

Paulus und Silas singen im Knast

In dieser Nacht der Schläuche und Infusionen fallen mir Paulus und Silas ein. Die beiden sind übrigens kein Indie-Folk Duo. Zu ihnen gehört eine markante Anekdote aus dem Gefängnis. Die beiden Männer fuhren damals wegen unrömischen Verhaltens ein. Doch eigentlich ging es den Anklägern mit ihren hanebüchenen Vorwürfen ums Geld. Damit die beiden Männer auch verstanden, dass man es ernst meinte, wurden sie mit Stöcken fürchterlich zusammengeschlagen. Der Gedanke an unbehandelte Platzwunden lässt mich schaudern. Für die beiden Kollegen war in jener Nacht nicht an einen erholsamen Schlaf zu denken. Für mich leider auch nicht. Mein Blasenkatheder drückte. Es war, als würde ich mich ständig vollpinkeln. Ziemlich eklig und noch peinlicher! Die beiden Jungs in ihrem stickigen Loch hatten dann eine Idee. In der Bibel heißt es, dass ‚sie beteten und Gott lobten‘. Das fand ich in meiner Lage beinhart und rührend zugleich. Doch mir selber fiel nichts ein. Ich bekam keinen klaren Satz hin. Und ich fragte mich, wie die das wohl gemacht hatten?

Als ich zum ersten Mal alleine zum Klo kann, ist das ein Fest. Nur der Darm stellt sich noch tot. Soll er doch, denke ich, und streiche mein OP-Hemd zurecht. Es ist von einem solch zeitlosen Chic, vor dem man sich nur verneigen kann. Und ich ​ahne, dass ich bald wieder eines meiner eigenen Hemden tragen werde. Ich weiß nur noch nicht, wann. Paulus und Silas wussten damals gar nichts. Sie waren einer korrupten Regierung ausgeliefert. Haben sie nun geschmollt, gejammert oder Gott angeklagt? Haben sie Gott angedroht, ihren Dienst zu kündigen, wenn er nicht rucki-zucki etwas für sie unternimmt? Ach, ich weiß es nicht. Mir sagt ja keiner was!

Zu Tränen gerührt

Zwischendurch tritt Ghislain ins Zimmer. Meine Frau hatte ihm mal eine Mitfahrgelegenheit angeboten. Da trug er im Regen eine Matratze auf dem Kopf. Zu dem Zeitpunkt kannten die beiden sich überhaupt nicht. Inzwischen ist er Intensivpfleger. Heute hat er schon einen langen Tag hinter sich. Wir quatschen ein wenig. Dann streicht er liebevoll meine Decke zurecht und geht nach Hause. Ghislain ist doch wahrhaftig nur meinetwegen gekommen! Darauf bin ich ein wenig stolz. Und dann wird es hell in meinem umnachteten Hirn. Silas und Paulus ging es zutiefst um Gott selber. Vor der Verhaftung und jetzt im Staub der Zelle. Könnte hier das Geheimnis der beiden Männer liegen? Im Kern ging es ihnen wahrscheinlich nicht einmal um Befreiung aus einer ungerechten und äußerst misslichen Lage. Doch ihre Worte entmachteten die Gewalttätigkeit der Umstände. Plötzlich waren diese nicht mehr Chef im Ring ihrer gequälten Seelen. Sie sprachen ihre ganz eigenen Worte; die Worte ihres Herzens. Nur das zählte, auch wenn das Morgen völlig unvorhersehbar war. Magische Formeln suche ich in der Geschichte vergebens. Diese Worte und Gottes Reaktion enthoben die Männer endgültig ihrer Rolle als Opfer. Ich war zu Tränen beeindruckt. Zwei hammerharte Typen!

Wie an jedem Tag wird es auch heute wieder 5:30 Uhr. Die Frühschicht grüßt freundlich und ich werde mit Medikamenten versorgt. Ich weiß, dass ich stinke. Und mir ist bewusst, dass ich nicht werde duschen können. Aber ich weiß auch, dass Paulus und Silas mir genug Anregung gegeben haben, meine Befreiung zu erstreben. So wendeten sich meine Gedanken wieder dem frisch geduschten Frühdienst zu. Ob die Pflegekräfte den Mief einfach ausblenden? So wie ein Tierpfleger, der in einem Pumakäfig auch keinen Espressoduft erwartet.

Out of the box - weil wir wunderbar gemacht sind

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Tom Laengner

Tom Laengner ist ein Kind des Ruhrgebiets. Nach 20 Jahren im Schuldienst arbeitet er journalistisch freiberuflich und bereist gerne afrikanische Länder. Darüber hinaus arbeitet er als Sprecher für Lebensfragen und Globales Lernen.

In seiner Kolumne „Out of the Box – Weil wir wunderbar gemacht sind" schreibt er alle 14 Tage über Lebensfragen, die ihn bewegen.

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5 Kommentare

  1. „Gute Besserung“ an Tom und Günni.

    Ich habe leider auch schon viel Lebenszeit im Krankenhaus verbringen müssen. Oft eine sehr schwere, mitunter sehr schmerzhafte und einmal auch sehr gefährliche Zeit.

    Was aber immer positiv war, waren die Menschen, die man dort kennen lernen konnte. Selten hatte ich so geballt so viele gute Gespräche wie mit Mitpatienten.

  2. Während ich den Artikel lese, liege jch gerade auf der Intensivstation. Ein eisenschwerer Gegenstand auf den kopf hat meiner gartenarbeit ein jähes ende bereitet. Trotz liebevoller Worte von meiner Familie , meinem schmeichelnden holzkreuz in der Hand, trotz der Gebete aus der Gemeinde bleibt das Gefühl, ich bin ausgeliefert, kann nichts machen und ’stinke‘. Also,ich kann die Situation sehr gut nachempfinden. Es wurden mir Menschen geschenkt, die mich trotz Arbeitsstress mit einem Lächeln empfangen haben, ihre Arbeit gern gemacht haben und mich als Mensch gesehen haben. Ich danke dem himmlischen Vater dafür.

    • Liebe Günni Kulla, ich wünsche Ihnen von ganzem Herzen, dass sie bald wieder gesund werden und die Nähe Gottes in Ihrem Herzen spüren. Auch mein Ausgeliefertsein damals auf der ITS wurde aber schon bald völlig überlagert von dem Gefühl, dort wirklich als Mensch gut behandelt und betreut worden zu sein. Alles Gute und Gottes Segen !

  3. Mein persönliches Wunder des Paulus und Silas

    Tom Laengner beschreibt das typische Patientengefühl auf der Intensivstation. Dies ist durchaus eines von Ausgeliefertsein in die Situation. Vielleicht auch keine Luft zu bekommen, aber andererseits auch durch Medikamente schmerz- und sogar angstfrei gestellt zu sein: Da bekommt das Gehirn nicht alles mit, man nimmt die Wirklichkeit nur aus den Augenwinkeln wahr und manchmal ist die Zeit wie eingefroren. Denn eine Minute auf einer sichtbaren Stationsuhr schien mir in unnatürlicher Weise gedehnt zu werden. Komisch allerdings: Ich habe mich damals gefragt noch während meinem schweren Asthmaanfall, ob die Uhr da an der Wand wie ein Folterwerkzeug angebracht wurde. Denn die Situation und auch die medizinischen Ingridenzien verursachen da fast schon schräge und wirklichkeitsferne Gedanken. Nun muss ich allerdings bekennen, auch meine Flucht aus meinem Gefängnis – so wie bei Paulus und Silas – war auch mit einem Wunder gepflastert. Obwohl die Ärztinnen und Ärzte gar nicht viel Hoffnung hatten, wurde ich als letzte Möglichkeit in ein künstliches Koma versetzt. Mit der Prognose: „Wenn er wieder aufwacht, dann überhaupt nur nach längerer Zeit“! Falsch: Nach 2 Tagen musste man mich aufwecken und den Tubus herausnehmen, weil ich aufhörte selbständig zu atmen (dies kann man unter der Narkose verlernen). Nach Husten und Absaugen des Schleimes sass ich aufrecht im Bett, hatte Hunger und die Schwester gab mir zwei Brötchen und Kaffee aus ihrem privaten Vorrat – ich verspeiste alles. Man rief sofort zuhause an: „Er ist aufgewacht und hatte Hunger“. Meine private Anästesistin, eine Ärztin aus unserer Kantorei, hatte mich zuvor Stunden behandelt und meine Frau sogar zuhause abgeholt, damit sie sich gegebenfalls noch von mir verabschieden konnte. Sie hielt das später mir gegenüber für so etwas wie ein Wunder. Für mich war es auch eines. Dazu kam meine Erinnerung, dass mir in meinem Koma eine lautlose Stimme viele Fragen stellte, die ich offensichtlich alle beantwortete, ebenso lautlos. Was ich wünschte weiß ich nicht mehr: Vielleicht doch meinen Wunsch, noch etwas hier zu verweilen. Dies alles geschah vor 22 Jahren.

  4. Lieber Tom,
    danke für deine tollen Artikel, die mich sehr berühren. Jedes Mal bin ich dankbar, für die unendliche Herzenswärme, die aus deinen Worten spricht. Ich freue mich jetzt schon auf deine nächsten Veröffentlichungen.
    Viele Grüße und alles Gute
    Conny

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