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Warum sage ich es, wenn ich es nicht so meine?


Out of the Box – Weil wir wunderbar gemacht sind

Die zweiwöchentliche Kolumne von Tom Laengner


In der Sportberichterstattung ist Häme oft das Salz in der Sprachsuppe. Da wird „gedemütigt“, „abgestraft“ oder „düpiert“. Für das Spiel des Lebens sind solche Formulierungen jedoch denkbar ungeeignet, meint Tom Laengner.

Das ist mir so rausgerutscht. Das war doch nicht so gemeint. Und wenn die andere Person nicht so eine Mimose wäre, gäbe es auch kein Problem. Ich selber weiß etwas mehr Feinfühligkeit durchaus zu schätzen. Auf diese Gedanken brachte mich das Spiel, wo entscheidend „auffem Platz“ ist.

Tief im Westen, wo die Sonne verstaubt, ist es viel besser als man glaubt. Das ist sie: die Stadionhymne des VfL Bochum. Selbstverständlich wird sie stehend gesungen. Der VfL war nach vielen Jahren Bundesligaabstinenz wieder mal erstklassig. In euphorisierter Stimmung finde ich, dass es nicht anders sein kann. Realistisch frage ich mich, wie lange das gutgehen wird. Doch dann geschah das Unfassbare. Wie sagte doch Sigmund Freud: „Das Wahrscheinliche ist nicht immer wahr und das Wahre nicht immer wahrscheinlich“. Gegen Bayern München gewannen die  Jungs aus dem Revier mit 4:2. Das war ein großer Fußballsieg. Ein Grund zu überschäumender Freude auf Bochumer Seite. Das Unwahrscheinliche war wahr geworden! Dabei hatte ich vor dem Anpfiff schon eine Trost-SMS für meinen Freund Frank vorbereitet. Er ist der einzige VfL Fan, den ich kenne. Es gibt aber mehr. Meine Jubel-SMS habe ich dann leider vergessen. Welch schönes kleines Fußballwunder! Ich war entzückt.

Nächster Morgen, Sonntag. Das war nun kein Wunder, sondern nicht anders zu erwarten. In der Warteschlange der Bäckerei fiel mein Blick auf die Titelseite einer Tageszeitung. Was stand denn da? „Bochum demütigt die Bayern“. Davon hatte ich gar nichts bemerkt. Gut gespielt hatten sie! Gejubelt hatten sie!

Rotzfrech ausgespielt

Andere Medien sprachen gar vom ‚Zerlegen‘ des Bayern Teams. Ich dachte an mein Bücherregal schwedischer Machart und die dazugehörige Bauanleitung. Braucht das Trainerteam so etwas in der Art zum Wiederaufbau der Mannschaft? Vielleicht hat Bochum nur gezeigt, dass andere Vereine auch Fußball spielen können. Die Sportschau fand, dass Bayern „düpiert“ worden sei. Auweia, das wäre aber grob unhöflich! Aber Moment: Es gab kaum Fouls. Da wurde also niemand in rüder Weise vor den Kopf gestoßen. Hätten die VfL-Spieler vorher fragen sollen, ob der Gegner Gegentore emotional verkraften kann? Also, ich weiß ja nicht.

Die Spieler waren auch alle freundlich miteinander. Ich habe keine „rotzfrechen“ Bochumer auf dem Platz gesehen. Was denkt sich da ein Sportjournalist oder eine Sportjournalistin? Sollen die Spieler einen favorisierten Gegner um Erlaubnis bitten, wenn sie auf dem Platz mal vorbei wollen.

Nun bin ich kein Freund der Erbsenzählerei. Aber ich möchte mir auch nicht in die ungetrübte Suppe meiner Freude spucken lassen. Und von wegen nicht alles auf die Goldwaage legen: Wenn ich meine Freunde demütige, zerlege, ihnen eine Lehrstunde erteile, ihre Fehler gnadenlos ausnutze, sie abstrafe oder ihnen eine Klatsche zukommen lasse, dann ist das nicht nur eine üble Sache. Dann muss ich damit rechnen, dass ich sie los bin.

All diese Worte und Redewendungen fördern nicht die Freude am Spiel, in dem das Runde ins Eckige muss. Und beim facettenreichen Spiel des Lebens sind sie meist ebenso fehl am Platz. Das ist immer so, wenn Häme und Schadenfreude das Salz in der Sprachsuppe sind. Will ich das? Ehrlich gesagt: nein. Ich muss zugeben, dass Häme und Zynismus in meiner Sprache ein Thema sind. Aber ich will sie nicht weiter nähren und entwickeln. Ich habe auch keine Lust mehr, mich damit rauszureden, dass sich die anderen nicht so anstellen sollen. In den Psalmen steht die Aufforderung, den Frieden zu suchen und ihm nachzujagen (Psalm 34,15). Meine Lebenswirklichkeit bestätigt das: Frieden verschwindet schneller, als mir lieb ist. Das gilt nicht nur für den Bolzplatz, sondern auch für Gemeinde, Familie und alle anderen gesellschaftlichen Ebenen. Und ich muss es genauso trainieren, wie das Toreschießen.

Auf dem Weg nach Hause habe ich mich nochmal über das Spiel gefreut. Es war spannend, fair und kampfbetont. Muss ein Spiel mehr haben?

Gleich würde es knusprige Brötchen und ein weichgekochtes Ei geben. Und dann passierte es doch wieder. „Jawollke, ein Weichei“, sagte ich mit Blick auf den Eierbecher. Es war mir so rausgerutscht. Zum Glück zeigte sich das Ei nicht von der mimosenhaften Seite.

Alle Kolumnen von Tom Laengner findet ihr hier.


Tom Laengner ist ein Kind des Ruhrgebiets. Nach 20 Jahren im Schuldienst arbeitet er journalistisch freiberuflich und bereist gerne unterschiedliche afrikanische Länder. Darüber hinaus arbeitet er als Sprecher für Lebensfragen und Globales Lernen. In seiner Kolumne „Out of the Box – Weil wir wunderbar gemacht sind“ schreibt er regelmäßig über Lebensfragen, die ihn bewegen.

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1 Kommentar

  1. Das Gute und seine mögliche Kehrseite

    „Meine Lebenswirklichkeit bestätigt das: Frieden verschwindet schneller, als mir lieb ist. Das gilt nicht nur für den Bolzplatz, sondern auch für Gemeinde, Familie und alle anderen gesellschaftlichen Ebenen. Und ich muss es genauso trainieren, wie das Toreschießen“! Da hat der Schreiber Realität im Kern getroffen. Nun hat die Sache mit dem persönlichen Frieden und dem ebenso wichtigen gesellschaftlichen Frieden auch eine Kehrseite. Es gibt auch den faulen Frieden. Das erinnert mich an nachpubertäre Erfahrungen in einer sehr schwärmerischen christlichen Gruppe, die sich der Evangelisation gewidmet hatte. Dagegen ist auch nichts einzuwenden und kleinkariert zu kritisieren, auch wenn Fragen der Methode hier durchaus erlaubt sein muss sie zu ventilieren. Was mich damals aber trotz allem Enthusiasmus zutiefst verunsicherte: Es wurde über alles ein gefühlsmäßiger Zuckerguss gegossen. Streit gab es nie, obwohl dies ja auf den ersten Blick ebenso nicht kritikwürdig ist. Da denke ich an den Stuhlkreis, wo wir beteten, unser Programm planten und alles besprachen. Und dann weinte das schöne Mädchen mit den langen blonden Haaren plötzlich. Welche Laus war ihr über die Leber gelaufen ? Das blieb immer ein Geheimnis. Denn es ging jemand mit ihr schnell vor die Tür und anschließend strahlte sie wieder. Wir waren eine feste Gruppe, auf Zeit so etwas wie eine Kommunität. Zudem waren alle jung, so zwischen 14 und 26 Jahren alt, aber mehr 16 als 26. Seltsam, dachte ich erst später, es gab überhaupt keinen Streit, keine abweichenden Meinungen, wir mussten über nichts abstimmen sondern waren automatisch einig. Niemand hat sich je verliebt oder darunter gelitten, offensichtlich waren wir auch noch geschlechtslos. Aber dann ging der Gruppe das Geld aus, wir mussten uns trennen und für alle war dies als hätten wir plötzlich unsere Familie verloren. Ich erinnere mich noch an das Entsetzen und die schiere Verzweiflung, jetzt ohne die anderen in ein ganz tiefes Loch zu fallen. Ich will jetzt keine Küchenpsychologie betreiben, aber das da die Gruppendynamik fast schon so etwas wie eine unbewusste und durchaus noch milde Gehirnwäsche produzierte – diesen bohrenden Gedanken habe ich viele Jahre vor mir selbst nicht aussprechen wollen. Da ist es mir lieber, ein bekennender Christ zu sein, der nicht immer alles mit einem Zuckerüberzug überzieht, sich auch mal im Ton vergreift, ärgerlich wird, zu seiner Unvollkommenheit steht und lieber jeden Tag versucht aus der Vergebung zu leben. Und wenn sich jemand selbst nicht so furchtbar toll und jederzeit erlöst empfindet, der braucht vielleicht noch die von Gott geschenkte Erlösung und seinen Geist. Dann ist man eher geneigt auch über andere Menschen gnädige Gedanken zu hegen, die nicht fromm sind oder nicht in der selben Wellenlinie denken und fühlen. Denn der Himmel lässt es über alle regnen und die Sonne scheinen, und versöhnten darf man sich mit allen Menschen. Vielleicht hat Gott auch viele Namen, obwohl das schon ein anderes Thema wären. Auf jeden Fall darf man fromm und evangelikal sein, ebenso (nicht auch sondern) prinzipiell tolerant gegenüber den anderen Menschen. So wie es Gott (auch) ist, denn sonst wäre die Liebe nicht neben Glauben und Hoffnung das Allerwichtigste. Selbstverständlich versuchen wir als Christinnen und Christen unsere Vorurteile zu bekämpfen, Liebe statt Hass zu predigen und eine anständige Sprache zu praktizieren. Denn wenn ich nie das Gefühl habe mit leeren Händen vor Gott zu stehen und sie mir füllen zu lassen, dann könnte vielleicht auch nicht alles in Ordnung mit mir sein.

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