Die Geschichte der Anne Frank berührt noch heute Menschen weltweit. Vor 80 Jahren starb sie im Konzentrationslager Bergen-Belsen.
Von Michael Grau und Michaela Hütig (epd)
«Oh ja, ich will nicht umsonst gelebt haben wie die meisten Menschen», schrieb Anne Frank am 5. April 1944 in ihr Tagebuch. «Ich will den Menschen, die um mich herum leben und mich doch nicht kennen, Freude und Nutzen bringen. Ich will fortleben, auch nach meinem Tod.» Ein Wunsch, der sich erfüllte: Das Tagebuch wurde zur Weltliteratur und machte Anne Frank unsterblich. Die Briefe an ihre fiktive Freundin Kitty zogen Millionen Leserinnen und Leser weltweit in den Bann, das jüdische Mädchen wurde zu einer Symbolfigur für alle Opfer des Nationalsozialismus. Vor 80 Jahren starb Anne Frank im Konzentrationslager Bergen-Belsen bei Celle.
Genauer Todestag unbekannt
Ihr genaues Todesdatum ist nicht bekannt. Das Rote Kreuz kam zunächst zu dem Ergebnis, dass sie zwischen dem 1. und 31. März 1945 gestorben sein müsse. Niederländische Behörden legten das offizielle Todesdatum auf den 31. März fest. Heute sind Forscher der Meinung, dass Anne Frank und ihre Schwester Margot wahrscheinlich schon im Februar 1945 ums Leben kamen – wenige Wochen vor der Befreiung des Lagers durch britische Truppen am 15. April.
Auf dem weitläufigen Gelände der Gedenkstätte Bergen-Belsen in der Lüneburger Heide erinnert heute ein Gedenkstein an die beiden Schwestern, vor dem Besucherinnen und Besucher häufig Blumen und kleine Geschenke niederlegen. «Es ist aber kein Grabstein», betont die Leiterin der Gedenkstätte, Elke Gryglewski: «Wir müssen davon ausgehen, dass ihre sterblichen Überreste in einem der vielen Massengräber ruhen, die wir hier haben.»
Das berühmte rot-weiß-karierte Tagebuch bekam Anne Frank zu ihrem 13. Geburtstag geschenkt. «Ich werde, hoffe ich, dir alles anvertrauen können, wie ich es noch bei niemandem gekonnt habe, und ich hoffe, du wirst mir eine große Stütze sein», notierte sie. Wenig später taucht das 1929 in Frankfurt am Main geborene Mädchen mit seiner Familie unter und versteckt sich mit einer weiteren Familie in einem Amsterdamer Hinterhaus. Der Massenmord der Nationalsozialisten an den europäischen Juden hat begonnen.
„Schreiben wurde lebensnotwendig“
Zwei Jahre lang führt Anne Frank im Versteck in der Prinsengracht 263 ihr Tagebuch, bis die Familie im August 1944 verraten, verhaftet und deportiert wird. «Schreiben wurde für sie lebensnotwendig, überlebensnotwendig», erklärt die Übersetzerin des auf Niederländisch abgefassten Buchs, Mirjam Pressler. In der Einsamkeit und der spannungsgeladenen Enge des Hinterhauses sei «Kitty» für Anne zur einzigen Abwechslung und zum Ersatz für Freunde und gesellschaftliche Kontakte geworden.
Der imaginären Freundin vertraute das Mädchen alle Freuden und Leiden an: die erste Liebe, Probleme mit der Mutter, körperliche Veränderungen. «Das Tagebuch von Anne Frank ist die intime Geschichte einer einzigartigen Jugendzeit, und gleichzeitig ist es die Geschichte der Schoah», schreibt Unesco-Generalsekretärin Audrey Azoulay in einem Vorwort zu einer Sonderausgabe des Tagebuchs. Annes Einträge seien «ein brillant geschriebener Bericht über das Leben in der erzwungenen Isolation».
Ein Gesicht für die Opfer
Heute ist die Geschichte von Anne Frank für zahlreiche Menschen ein Grund, die Gedenkstätte Bergen-Belsen zu besuchen. «Viele von ihnen haben das Tagebuch gelesen», sagt Leiterin Elke Gryglewski. «Sie haben das Gefühl, sie zu kennen.» Das sei eine wichtige Brücke, um mit ihnen über den Nationalsozialismus und den Holocaust ins Gespräch zu kommen.
Für die promovierte Politikwissenschaftlerin hat der Text bis heute nichts von seiner Kraft verloren. «Durch die Stimme von Anne Frank wird sehr konkret, wer alles von der Verfolgung betroffen war», sagt Gryglewski. «Sie steht für viele und gibt den Opfern ein Gesicht.» Besonders beeindruckt ist die Gedenkstättenleiterin davon, dass die Zeilen trotz der bedrückenden Lage von großem Optimismus geprägt seien.
Tod im KZ Bergen-Belsen
«Ich sehe, wie die Welt allmählich in eine Wildnis verwandelt wird», schrieb Anne noch am 14. Juli 1944 in ihr Tagebuch. «Ich höre den nahenden Donner, der auch uns vernichten wird. Ich kann das Leiden von Millionen spüren. Und dennoch glaube ich, wenn ich zum Himmel blicke, dass alles in Ordnung gehen und auch diese Grausamkeit ein Ende finden wird. Dass wieder Ruhe und Frieden einkehren werden.» Gut zwei Wochen später endet ihr Tagebuch.
Im Herbst 1944 erreicht Anne gemeinsam mit ihrer Schwester Margot in einem Zug das völlig überfüllte KZ Bergen-Belsen. Die Zustände dort müssen katastrophal gewesen sein, erläutert Gryglewski: «Es fehlte an allem. An Wohnraum, an Verpflegung, an Hygiene. Es gab Krankheiten, Hunger, Zelte und sehr viel Dreck.» 52.000 Häftlinge überlebten das nicht, unter ihnen auch Anne. Irgendwann verliert sich in dem Chaos ihre Spur. «Es ist davon auszugehen, dass sie an einer Seuche erkrankt ist und einfach zu geschwächt war, um das überstehen zu können.» Anne Frank wurde 15 Jahre alt.
Ich habe das Tagebuch der Anne Frank noch nie gelesen, habe das Buch aber heute auf meine Leseliste gesetzt.
Es gibt Menschen, die bieten einen Blick durch die Zeitfenster der Wirklichkeit, sodass sie sich nicht vor uns verbergen. Wir müssen sie nur öffnen wollen, für das Herz, aus dem sich neues Leben aus diesen Fenstern bildet.
Ich ging auf die Anne Frank Realschule in München Pasing und ihr Tagebuch war da Pflichtlektüre. Es ist für mich etwas Besonderes, durch diese Schule mit ihr in Verbindung getreten zu sein. Für mich nachvollziehbar hat sie die schlimmste Zeit ihres Lebens mit der Schrift verbunden, sodass sie nicht auf das Leben übertragen wurde, jedoch für seine nachfolgendene Generationen erhalten bleibt. Als ihr nachfolgendes Mädchen, das sich in seiner Art auch durch ein Tagebuch zum Ausdruck brachte, bis sie gelernt hatte, Gedanken so in Worte zu fassen, dass sie etwas Neues hervorbringen können, indem sie nicht das Alte verdrängen, sondern es in seiner Einzigartigkeit erhalten wollen.
Namen, Menschen und ihr Leben in Worte gefasst, das gab mir den Halt, den ich unbedingt brauchte, um Sicherheit im Umgang mit dem zu finden, der es in sich vereint und damit all die hervorbringt, denen es nicht verborgen bleiben soll.