Auf der Suche nach Inspiration beschäftigt sich Tom Laengner mit der DDR – und stößt dabei auf Geschenkpapier, Friedensgebete und das Sandmännchen.
Am 23. Januar 1963 moderiert Käthe Zille die Sendung „Treffpunkt Berlin“ an. Sie tut das mit einem Aufruf zur Nachhaltigkeit: “In diesen Tagen ist die Kohle wirklich kostbar geworden. Deshalb wollen wir so wenig wie möglich Strom und Gas verbrauchen und auch einmal bei einem kranken und alten Menschen in der Nachbarschaft nachschauen, ob seine Stube warm genug ist. Vielleicht braucht er Ihre Hilfe. Also, vergessen Sie bitte nicht, alle entbehrlichen Beleuchtungsquellen und Heizkörper auszuschalten. Ich danke Ihnen recht herzlich dafür.“ Zille tut dies aus ihrem Studio in Ost-Berlin und sicherlich nicht aus einer persönlich-spontanen Anwandlung heraus.
Bis heute könnten diese Worte jedoch als Inspiration dienen. Ich finde es gut, wenn Menschen dazu angehalten werden, sich um ihre Nachbarschaft zu kümmern. Keine Ahnung, wie die Menschen das in der DDR der Sechziger umgesetzt haben. Doch würde es uns nicht auch guttun, über den Tellerrand unserer Privatsphäre und der eigenen Befindlichkeit hinauszuschauen?
„Zeitalter der Unersättlichkeit“
Bezog sich die Autorin Sabine Rennefanz auf diesen TV Beitrag, als sie im März 2022 im Spiegel eine Kolumne mit der Überschrift „Wider die Unersättlichkeit – Lernen von der DDR“ veröffentlichte? Die Journalistin hatte unser Land im Blick und fand, dass „gutes Leben“ hier bedeutete, mehr zu konsumieren. Im Osten jedoch favorisierten die Menschen über Jahrzehnte Reparatur und Wiederverwertung. In der DDR hob man Weihnachtspapier auf, strich es glatt und verwendete es im nächsten Jahr wieder. Sicher, alles hat immer auch seine Gründe. Und Haare in der Suppe gibt es sowieso. Aber ist und bleibt der Ansatz nicht wegweisend? Was würden mir Menschen aus Magdeburg, Cottbus oder Bad Sulza erzählen können, wenn ich frage, wie sie es geschafft haben, in den alten Zeiten mit Weniger glücklich zu leben? Ich sollte das wirklich mal fragen, nicht wahr?
In diesem Land geschah offenbar so manch Gutes, um den Alltag lebenswert zu gestalten. Und es ging weit über das Private hinaus.
Friedensgebete in Leipzig
Seit 1982 trafen sich in der Leipziger Nikolaikirche jeden Montag Menschen zu Friedensgebeten. Pfarrer Christian Führer war einer der maßgeblichen Köpfe. Im Anschluss an das Gebet am 4. September 1989 entrollten Teilnehmende vor der Kirche gleich mehrere Transparente. Darauf war zu lesen: „Für ein offenes Land mit freien Menschen“. Zwei Monate später, am 6. November 1989, gingen landesweit rund 900.000 Menschen auf die Straße. So viele wie nie zuvor. Was folgte, ist Geschichte.
Von Solidaritäts-Demonstrationen aus der Bundesrepublik weiß ich nichts. Wo waren wir damals? Viele der Beteiligten in der früheren DDR kämpften nicht unbedingt für einen Zusammenschluss der beiden Staaten, aber sie wollten ihr Land offen und frei gestalten dürfen. Die Menschen aus Sachsen, Thüringen und anderswo riskierten damals ihre Existenz. Keiner wusste, wie weit der Staatsapparat gehen würde. Viele Engagierte der Bewegung haben das Gute getan, weil es ihnen gut erschien. Sie wussten alle, dass es sie viel kosten könnte. Entscheide selber: Lebe ich auch so? Und verdient so eine Haltung meinen Respekt?
Der reale Jesus
Heute, am 3. Oktober, begehen wir wieder den Tag der Deutschen Einheit. Und nein, es könnte nicht genauso gut der 18. April sein. Denn für diesen Tag, den 3. Oktober, erklärte die Volkskammer der DDR „den Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland gemäß Art. 23 des GG mit Wirkung vom 3. Oktober 1990″. Die Datierung hat also einen Grund, auch wenn wir eventuell überwiegend froh sind, freizuhaben und ausschlafen zu können.
Christian Führer setzte noch einen anderen Schwerpunkt, als er 20 Jahre nach der friedlichen Revolution im Jahr 2009 schrieb:
„Wenn wir die Kirche öffnen für alle, die draußen zum Verstummen gebracht, die diffamiert oder gar inhaftiert werden, dann kann niemand mehr auf den Gedanken kommen, die Kirche sei eine Art religiöses Museum oder ein Tempel für Kunst-Ästheten. Sondern dann ist Jesus real präsent in der Kirche, weil wir zu tun versuchen, was Jesus tat, und was er will, dass wir’s heute tun. Das ist die Geburtsstunde der offenen Stadtkirche auch für die Protest- und Randgruppen der Gesellschaft.“
Ja, der Jesus! Während der gesamten Zeit der Demonstrationen gab es übrigens weder Tote noch Invalide.
Am 22. November 1959 hatte „Unser Sandmännchen“ seinen ersten Auftritt auf ostdeutschen Bildschirmen. Die Fernsehansagerin Käthe Zille hatte die Premiere am Vorabend angekündigt: „Um 18.55 Uhr kommt unser Sandmännchen und wird den kleinen Zuschauern ‚Gute Nacht‘ sagen.“ Die Sendung erreicht nach Angaben von Rundfunk Berlin-Brandenburg auch nach mittlerweile rund 22.000 Folgen etwa eine Million Zuschauer pro Abend. Und wenn die Sendung nicht so früh ausgestrahlt würde, könnte ich danach gut einschlafen. RBB: Mission erfüllt!

Tom Laengner ist ein Kind des Ruhrgebiets. Nach 20 Jahren im Schuldienst arbeitet er journalistisch freiberuflich und bereist gerne afrikanische Länder. Darüber hinaus arbeitet er als Sprecher für Lebensfragen und Globales Lernen.
Auf Jesus.de schreibt Tom auch die regelmäßig Kolumne Out of the Box
Auf den Nachbarn achten führte in der DDR auch zu enormen Mengen Stasiakten. Dir DDR war ein totalitären Überwachungsstaat, bei dem auch viele mitgemacht haben.
Ich finde hier die Romantisierung gerade dieses Aspektes nicht in Ordnung.
Nebenbei, das andere war nicht Umweltbewusstsein sondern Mangelwirtschaft eines nicht funktionierenden Sozialismus.