Die CSG Westpark in Bochum ist ein ganz besonderer Fußballclub: Die Gründer möchten durch Fußball Menschen erreichen, die sonst nichts mit dem Glauben am Hut haben.
Von Erika Weiss
Die letzten Sonnenstrahlen des Tages streifen über Fußballtore, Eckfahnen und Spielerbänke an einem kühlen Donnerstagabend im September. In den umliegenden Schrebergärten ist es ruhig. So auch auf dem Fußballplatz – jedenfalls im Vergleich zum Wochenende, wenn die FCs, SVs und VfLs anreisen und gegen den Heimvorteil ankämpfen. Die blauweiße Flagge markiert, wer hier trainiert: die christliche Sportgemeinschaft Westpark. Die überkreuzten Hämmer auf der Flagge stehen für das Ruhrgebiet, einer Gegend mit der höchsten Dichte an Fußballplätzen pro Einwohner deutschlandweit. Wer hier aufwächst, kommt wohl nicht am Fußballspielen vorbei. So wie der 33-jährige Gerrit Wiezoreck. Der Bochumer parkt gerade schwungvoll seinen alten VW Polo und springt mit seinen 1,90 Metern aus dem Auto. Er zieht den Reißverschluss seiner weißen Trainingsjacke hoch, holt seine Sporttasche aus dem Kofferraum und schließt das Tor zum Fußballplatz auf.
Der frischgebackene Vater ist im Multikulti-Stadtteil Wattenscheid aufgewachsen. Nach der Schule ging es immer in Käfige, so hießen die umzäunten Ascheplätze. „Ich wollte früher unbedingt in einen Verein gehen. Das wurde aber in meiner Familie sehr kritisch gesehen, weil die Spiele oft sonntags waren und das mit der Gemeinde nicht passte. Aber mit 16 bin ich dann für knapp zwei Jahre im Verein gewesen“, erzählt der gelernte Betriebswirt. Er steht am Rande des Fußballplatzes, rückt seine Brille zurecht und deutet auf ein nebenstehendes Fabrikgebäude: „Das ist von ThyssenKrupp. Früher kamen die Arbeiter nach Feierabend direkt hierher, um zu bolzen. Doch mit den Jahren kamen immer weniger Spieler. 2018 stand der Verein vor der Frage, ob er sich auflösen soll.“
Vereine sterben aus
Dass immer mehr Vereine in Deutschland aussterben, ist ein Trend, den Gerrit mit Sorge beobachtet: „Leider wechseln immer mehr Leute von Mannschafts- zu Individualsportarten. Kinder gehen heute lieber bouldern als zum Fußball.“ Auch das zurückgehende ehrenamtliche Engagement sei laut Gerrit dafür verantwortlich. So würden wichtige Kompetenzen wie Teamfähigkeit, Kommunikation oder der Umgang mit Rückschlägen mehr und mehr abnehmen.
Über einen Freund erfährt er, dass sich der Traditionsverein von ThyssenKrupp auflösen soll. Mit vier weiteren Freunden aus unterschiedlichen Gemeinden hat er die Idee, den Verein zu übernehmen. „Wir haben dann mit den Alt-Mitgliedern geredet und die waren einverstanden. Wichtig war es uns, die Alt-Mitglieder zu integrieren“, erzählt Gerrit. Die fünf Gründer überlegen sich einen Namen und formulieren eine Vision:
Jeden Menschen willkommen heißen, die Liebe Gottes erfahrbar machen, Raum für Weiterentwicklung geben, Vorbild sein und der Stadt dienen.
Seit Sommer 2018 spielen hier zwei Gruppen, eine in der Kreisliga C und eine Hobbymannschaft.
Training mit Spaßfaktor
Es ist 18:30 Uhr, die ersten Spieler der Kreisliga C trudeln ein. Als Erstes geht’s in die Kabine, umziehen und dann ab auf den Platz. Trainerin Tanja Baumann und Co-Trainer Abdullah Tuzak sind heute verhindert, und so trägt der Spieler Matthias Jünner den Trainerhut. Er holt dutzende Bälle, baut Hütchen auf und ruft dann die zwölfköpfige Truppe zu einem Kreis zusammen. Nach einer kurzen Ansage startet das Aufwärmprogramm: Die Spieler traben in ihren Trainingsjacken um den Platz. Mit dabei ist auch der 23-jährige Fabian Stenzel. Er unterbricht die Laufeinheit, um zu erzählen, wie er zur CSG Westpark gekommen ist. „Ich bin kein Christ. Aber ich spiele schon seit vielen Jahren Fußball. Letztes Jahr bin ich für mein Studium nach Bochum gezogen. Mit einem Kumpel habe ich einen Verein gesucht. Über Facebook sind wir auf die CSG aufmerksam geworden. Wir haben gar nicht darauf geachtet, dass der Verein christlich ist. Die Lage hat einfach gepasst und dann sind wir hin und wurden von den anderen Spielern sehr gut aufgenommen.“ Als Stenzel merkt, dass die meisten Spieler christlich sind, ist er erst mal skeptisch: „Ich habe mich gefragt, ob man mit denen überhaupt Spaß haben kann und auch mal ein Bierchen trinken – kann man auf jeden Fall!“
Da ist Nächstenliebe im Spiel
Doch warum einen christlichen Sportverein gründen und Gefahr laufen, in einer Blase festzusitzen? Gerrit sagt dazu: „Wir sind keine christliche Bubble. Die Hälfte der Mitspieler sind Nichtchristen. Aber wir versuchen auf Vorstandsebene, dem Verein eine christliche Richtung zu geben. Ich denke, wir als Gläubige dürfen uns auch organisieren, denn gemeinsam sind wir stärker.“
In der Mannschaft sind Azubis, Studenten und Berufstätige. Sie sind alle zwischen 20 und 33 Jahre alt. Etwa die Hälfte von ihnen sind Freikirchler wie Baptisten, Pfingstler, Brüder, FeGler, aber auch Katholiken. Wie der 25-jährige Ingenieur Dominik Robin. In einer kurzen Pause erzählt er: „Ich komme aus einer charismatischen Erneuerung der katholischen Kirche. Deswegen passt das auch gut zu den vielen Freikirchlern hier. Ich bin über Freunde aus meiner Gemeinde zur CSG gekommen.“ Er schätzt besonders das Zwischenmenschliche in der Mannschaft: „Die Atmosphäre ist sehr davon geprägt.“
Nach dem Joggen geht es mit einem Lauf-ABC weiter. Danach üben die Jungs in Dreierteams verschiedene Passkombinationen. „Super!“, „Mega Schuss!“, „Genau so!“ sind Motivationsrufe, mit denen sich die Spieler gegenseitig ermutigen. Dieses wertschätzende Miteinander lobt auch Stefan Hufen, zweiter Vorsitzender und Mitspieler der CSG: „Man merkt ja wie die Stimmung auf dem Platz ist, auch bei der gegnerischen Mannschaft. Da ist es schon so, dass wir deutlich positiver im Miteinander sind. Es gibt bei uns keine Beleidigungen“, erzählt der 30-Jährige. Diese positive Stimmung untereinander bekommen sie auch von Außenstehenden gespiegelt. „Wir hatten letztens ein Turnier hier und dazu einen Schiedsrichter angestellt. Am Ende hat er sich bei uns für den schönen Tag bedankt. Er meinte, er hat noch nie so eine positive Stimmung wahrgenommen. Und das ist genau der Punkt: ,An der Liebe untereinander werden sie euch erkennen‘ – da wollen wir hin. Dass die Menschen merken, dass wir anders sind“, sagt Stefan.
Trennung von Religion und Sport?
Ab und zu klopfen andere Mannschaften mal blöde Sprüche, wenn sie erfahren, dass in der CSG viele Christen spielen. „Wenn wir mal ein Foul machen, dann kriegt man schon öfters zu hören ,Oh, die Christen, die hauen aber ganz schön rein‘ oder ,Und sowas nennt sich christlich?!‘ Da wird uns so eine Doppelmoral vorgeworfen.“ Bei der Gründung habe es auf Social Media den ein oder anderen negativen Kommentar gegeben. „Da hieß es zum Beispiel ,Religion und Sport sollten nichts miteinander zu tun haben‘ – was auch ein valider Punkt ist. Wir zwingen keinem unseren Glauben auf “, erklärt Gerrit. Mittlerweile habe es sich so eingebürgert, dass die Mannschaft vor Spielen betet. „Jeder darf, keiner muss“, betont er.
Mittlerweile ist es dunkel geworden. Aus mindestens 16 Metern Höhe fluten zwei grellweiße Lichtkegel den Platz. Die Mannschaft teilt sich in zwei Teams auf und spielt ein Match. Am Sonntag steht das nächste Spiel an. „Grundsätzlich haben wir das Agreement, dass wir sonntags möglichst nicht vor 15 Uhr spielen. In unserer Mannschaft ist ein Pastor. Wir wollen die Spieler nicht vor die Wahl stellen: Kirche oder Fußball“, erklärt Gerrit.
Jung und Alt am Spielfeldrand
Außerhalb vom Fußball engagiert sich die CSG im sozialen Bereich. So haben sie im Sommer ein Fußballcamp für Kinder aus Hochwasserkatastrophen-Regionen veranstaltet. Regelmäßig finden Sponsorenläufe, Gemeindefeste und Open-Air-Gottesdienste statt. „Wir hatten hier letztens einen gemeinsamen Gottesdienst von zwei Gemeinden aus der Region. Ein Alt-Mitglied von uns, der 77 Jahre alt ist, saß hier dann das erste Mal in seinem Leben in einem Gottesdienst. Er war hier, weil danach ein Spiel von uns stattfand, das er sich ansehen wollte“, erzählt Gerrit.
Noch so ein Alt-Mitglied ist Reinhard Tschimmel. Er ist 69 Jahre alt, lebt schon immer in Bochum und spielte bereits als kleiner Junge auf dem heutigen Gelände der CSG Westpark. Mehrmals wöchentlich kommt er vorbei, so auch heute. Er wäscht die Trikots der Spieler und schaut nach dem Rechten. Von den Jungs ist er begeistert: „Wenn alle bei den Spielen dabei sind, dann sind die sicher die beste Mannschaft der Kreisliga C“, sagt er. Tschimmel wohnt allein, der Kontakt zu den Spielern tut ihm sichtlich gut.
Fußballer als Brückenbauer
Auch solche Menschen möchte die CSG erreichen. Menschen, die einsam sind. Sie wollen Brücken bauen und andere für Jesus begeistern. Auch wenn sie dabei manchmal an der Seitenlinie stehen. „Wenn ich mir die anderen Kreisligisten so anschaue, kommt mir das wie eine Subkultur vor, die keinerlei Berührungspunkte zu uns Kirchenchristen hat“, sagt Stefan Hufen. Und deswegen plädiert er dafür, dass Christen ihre sicheren Kirchengebäude verlassen. „Wir lieben unsere Arbeit hier! Aber wir kämpfen damit, dass wir nur wenige Mittel und geringes Ehrenamt haben. Wir könnten im Fußball noch so viel bewegen, aber dafür brauchen wir Menschen“, erklärt Gerrit.
Dieser Artikel ist im Magazin DRAN (Ausgabe 08/21) erschienen. DRAN ist ein Produkt des SCM Bundes-Verlags, zu dem auch Jesus.de gehört.