Kirchensteuer und Missbrauchsskandale sind laut einer SWR-Umfrage die Hauptgründe für einen Kirchenaustritt. Die Befragten sagten auch, was sie zu einem Wiedereintritt bewegen könnte.
Probleme mit der Institution Kirche bewegen Menschen hauptsächlich dazu, aus der Kirche auszutreten. 87 Prozent wollen die Kirche nicht länger finanziell unterstützen und treten deshalb aus, wie eine Umfrage des SWR unter Ausgetretenen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz zeigt. Allerdings nicht aufgrund von Geldsorgen. Unter den katholischen Befragten gaben außerdem 91 Prozent den Umgang der Kirche mit den Missbrauchsfällen als Austrittsgrund an, unter den Protestanten 70 Prozent.
Rund die Hälfte der Befragten (48 Prozent) stimmten zudem der Aussage zu, keinen Bezug mehr zum christlichen Glauben zu haben. Über die Hälfte (55 Prozent) gab allerdings an, auch ohne Kirche religiös sein zu können. Ein Viertel der Teilnehmenden bezeichnet sich nach dem Kirchenaustritt weiterhin als katholisch bzw. protestantisch. Sie wollen weiterhin beten und ihre Kinder an kirchlichen Aktivitäten teilnehmen lassen.
Eine modernere und selbstkritischere Kirche könnte die Befragten laut SWR dazu bewegen, wieder einzutreten. Fast zwei Drittel wünschen sich als Bedingung für einen Wiedereintritt, eine Gleichstellung der Geschlechter, ein konsequenteres Vorgehen gegen Täter in Missbrauchsfällen und grundsätzlich ein „Mehr mit der Zeit gehen“.
Die nicht repräsentative Onlineumfrage ist ein Projekt des SWR unter wissenschaftlicher Begleitung durch den Religions- und Kirchensoziologen Gert Pickel. Befragt wurden Austretende in mehr als 20 ausgewählten Standesämtern in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz zwischen 1. April und 31. August 2022. Teilgenommen haben insgesamt 864 Menschen, davon waren etwa 66 Prozent in der katholischen und rund 34 Prozent in der evangelischen Kirche. Etwas mehr als die Hälfte (55 Prozent) der Teilnehmenden hat einen Hochschulabschluss und war beim Austritt im Median 31 Jahre alt.
Die Zahlen müssten erklärt werden
Wahrscheinlich lässt sich nicht herausfinden, was ich in diesem Zusammenhang für wichtig halte. Etwa sind die Austretenden in den Freikirchen die bisherigen aktiven Kirchenmitglieder ? Oder gehören die Austretenden in den beiden großen Mitgliedskirchen zu jenen, die von diesen nicht erreicht werden. Bekanntlich werden nur 3 – 5% der eigenen Mitglieder von beiden großen Konfessionen erreicht, leben ihren Glauben und praktizieren ihn im Rahmen kirchlicher Angebote. Wenn Menschen nur Kirchensteuer bezahlen, also mit Kirche und Glauben nichts anfangen können, habe ich eher Achtung vor solchen Austritten. Denn wer geht in einen Sportverein, wenn er keinen Sport treiben will. Oder in einen Literaturclub, wenn er zuhause nur ein Kochbuch verwaltet. Wesentlich wäre daher auch zu erfahren was sich hinter den Zahlen verbirgt. Auch müsste man (eigentlich) nach der Motivationslage fragen bei denjenigen, die wegen kirchlicher Skandale ade sagen. Wäre da nicht – wenn man mitarbeitete – nicht wichtiger im Inneren Reformen (lieber Reformation) anzustreben ? Da die Evangelische Kirche deutlich weniger Probleme tragen muss an mangelnder Demokratie, zu viel Dogmatismus und überbordender Skandale (die ich nicht kleinreden will) steht zu vermuten: Es treten hier im Wesentlichen die aus, die mit dem Glauben nichts anfangen können. Allerdings sind mir zwar öfters schon Atheisten begegnet, aber knochenharte Nihilisten trifft man außerordentlich selten. Ich halte es für zweifelhaft, dass man mit dem Gedanken mit dem Tode einfach wieder mit dem Universum zu verschmelzen, wesentlich Urvertrauen und Hoffnung schöpfen kann. Aber unmöglich ist nichts. Allerdings: Auch kirchliche Predigten können sinnstiftend und intelligent sein. Hinter manchem Nichtchrist könnte auch ein Mensch stecken, der ein falsches Gottesbild hat. Da scheint ein wenig Wahrheit zu liegen, denn sonst wären nichtkirchliche Menschen nicht selten so interessiert an grundlegenden Fragen der Existenz. Aber wer auf Erden könnte entscheiden, was da absolut falsch oder vollkommen richtig ist.
Herausfinden könnte man das schon, man müsste es nur intensiver untersuchen. Die Frage ist, ob das die Kirchen überhaupt wollen. Ist die Motivlage der Austretenden unklar, kann man die Zahlen halt besser im eigenen Sinne interpretieren.
Ich denke einfach, dass eine Mitgliedszahl wie früher von über 90 % oder auch heute von fast 50 % unrealistisch ist und nie den Anteil der Christen abgebildet hat.
Die Zahlen werden schlicht ehrlicher. Und wenn das so ist, wird den Schwund auch niemand aufhalten können.
Hallo Joerg: Es ist wahrscheinlich auch gar nicht möglich betroffene Kirchenaustreter*innen wirksam zu befragen. Denn sollte es bei manchen keine Gründe geben, außer dass man (vielleicht nie) mit Kirche/Glauben etwas anfangen konnte, dann erden sie sich dazu nicht outen. Außerdem sehe ich im Geiste schon die Proteste hier im Netz, die eine solche Befragung als Zumutung ansehen. Die Freiheit eines Christenmenschen besteht eben auch darin, dass er jederzeit durch eine Kirchentür gehen und mitglauben darf – aber auch mit der Erlaubnis uns wieder den Rücken zuzukehren. Die Beine die sonntags nicht mehr in die Kirche gehen wollen, haben auch ihre Gründe und die sind unterschiedlich. Es liegt an uns Christinnen und Christen, ob Menschen mit uns sozial kuscheln wollen, oder mit anderen.
> Zur Einverständniserklärung: Ich bin eigentlich nicht einverstanden, dass ich einfach geduzt werde.
Das Internet-Duzen, gerade in sozialen Medien, war für mich als Hamburger auch sehr gewöhnungsbedürftig. Ich schätze das ‚Sie‘. Ich finde, es drückt Distanz und auch Respekt aus.
Das Internet ist eher im universitären Bereich groß geworden. Das ‚Du‘ soll hier Gleichheit und Nähe ausdrücken.
Früher (und teilweise noch heute; Rezo hat dazu wohl auch mal ein Video gemacht) galt das ‚Sie‘ im Internet sogar als Beleidigung. In manchen Foren ist das noch heute so.
Allerdings ändert das sich seit ein paar Jahren etwas.
Ich hoffe auch auf den Einzug des ‚Sie‘ in die digitale Welt. Aber bevor sich jemand beleidigt fühlt, verwende ich halt das ‚Du‘. Mögen tue ich es aber immer noch nicht.
jesus.de verfolgt hier derzeit noch den Weg des Mainstream. Das kann man sicher machen.
Besteht die Möglichkeit, diese Studie im Detaillesen zu können?
Mich würde schon interessieren, was man – neben dem Thema „Gleichstellung der Frau“ -, die ja in der protestantischen Kirche allerdings gegeben ist, sonst noch unter dem Schlagwort: „mehr mit der Zeit gehen“ versteht.
Zur Einverständniserklärung: Ich bin eigentlich nicht einverstanden, dass ich einfach geduzt werde.
Hallo Herr Pospiech,
für die Studie müssten Sie beim SWR nachfragen. Uns liegt sie leider nicht im Detail vor. Zur Einverständniserklärung: Das können wir bedauerlicherweise nicht für jeden extra anpassen. Wir sehen Jesus.de als eine „Lagerfeuer“-Gemeinschaft, wo Platz für persönlichen Austausch sein soll. Das „Du“ hat für uns da wärmer und passender gewirkt.
Liebe Grüße,
Pascal vom JDE-Team
UPDATE:
Daten zur Umfrage – https://www.swr.de/swraktuell/das-bewegt-menschen-im-suedwesten-zum-kirchenaustritt-100.html
Zur Methodik
Die nicht repräsentative Onlineumfrage mit rund 20 Fragen ist ein Projekt von SWRdata unter wissenschaftlicher Begleitung durch den Religions- und Kirchensoziologen Prof. Dr. Gert Pickel von der Universität Leipzig.
Befragt wurden nur Menschen, die kurz zuvor in einem Standesamt ihren Austritt erklärt hatten, denn für die Befragten sollte der Eindruck von diesem Schritt noch frisch und präsent sein.
Austretenden in mehr als 20, nach geografischen und strukturellen Kriterien ausgewählten, Standesämtern in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz wurde in Zusammenarbeit mit den Standesämtern zwischen 1. April und 31. August 2022 direkt im Standesamt ein Flyer des SWR übergeben, in dem das Projekt und die Fragestellung erläutert wurde. Über einen individuellen Link, der nur einmal verwendbar war, konnten die Austrittsgründe in einem Online-Fragebogen anonym mitgeteilt werden. Mit diesem eindeutigen und nur einmal verwendbaren Zugangs-Schlüssel wurde sichergestellt, dass jede und jeder Befragte nur einmal teilnimmt.
Teilgenommen haben insgesamt 864 Menschen, davon waren 66,2 Prozent in der katholischen und 33,6 Prozent in der evangelischen Kirche. Im Erhebungszeitraum sind in den teilnehmenden Standesämtern etwas mehr als 9.500 Menschen ausgetreten, das heißt knapp 10 Prozent der Ausgetretenen haben an der Umfrage teilgenommen.
Einige Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben nach der Umfrage noch die Möglichkeit genutzt, dem SWR weitere Erfahrungen und Motive in einer Mail zu berichten.