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Wie weit ist für mich richtig weit?


Out of the Box – Weil wir wunderbar gemacht sind

Die zweiwöchentliche Kolumne von Tom Laengner


Einmal um den Küchentisch laufen – starke Leistung für einen Einjährigen. Aber im Leben und Glauben gibt es Entwicklungen. Hoffentlich. Wie weit komme ich und wo liegen meine Grenzen, fragt sich Tom Laengner.

Es gibt drei Kategorien, in denen bei #rideFAR gefahren werden kann. Die Wohltätigkeitsausfahrt umfasst 90, 180 und 360 Kilometer. Die kleinste Distanz ist sozusagen als Kaffeefahrt fürs faule Volk gedacht. Oder, um es mit den Worten der radaffinen Dominikanerin Schwester Kerstin Marie zu sagen: „90 Kilometer? Das kriegt ja jeder hin.“ So, oder ähnlich, hat sie das auf Instagram geschrieben!

Du kannst dein Rad schieben, tragen oder die Kette mit Nutella schmieren. Alles erlaubt. Nur Stromfahrräder sind tabu. Die Startgebühr legen die Fahrerinnen und Fahrer individuell fest. Die so eingefahrenen Euros sind für soziale Projekte gedacht. Also eine allerfeinste Sache, die der Ultralangstreckenfahrer Raphael Albrecht da ins Leben gerufen hat.

Ich fahre am Samstag gegen acht los und frage mich, wie weit für mich eigentlich richtig weit ist? Vielleicht sind 90 Kilometer für mich schon zu weit? Egal, was die Ordensfrau mit ihrem wunderbaren Leben dazu meint. Ich werde es bald sehen. Entlang der Ruhr kurbel ich in Essen-Steele fast an meiner alten Schule vorbei. Dort habe ich so ganz nebenbei gelernt, dass ich keinerlei kreative und sportliche Fähigkeiten habe. Außerdem sei bei dem Laengner Hopfen und Malz verloren. Und potztausend: eine Zeitlang habe ich diesem Erfolgskonzept geglaubt.

Bis zum Baldeneysee begleitet mich noch der Staub von Tafelkreide und auch ein Wort von Jesus. Der Handwerker aus dem Nahen Osten sagte in etwa: ‚Als meine Nachfolger werdet ihr die Wahrheit erkennen. Und die Wahrheit wird euch frei machen.‘ Wahrheit und Freiheit! Klingt das nicht äußerst beglückend und erfrischend? Und besser noch; ich habe das auch so erlebt. Es begann ein Prozess, in dem den Lebenslügen meiner Schulzeit die Luft ausging.

Am Stauwehr des Baldeneysees in Essen-Werden habe ich auf einem Mäuerchen zwei Bananen vermümmelt.  Für meine Verhältnisse war ich schon weit gekommen. Jetzt musste ich nur noch zurück. Das würde Kraft kosten. Die zweite Hälfte ist immer länger als die erste. Das ist mathematischer Unsinn. Aber es ist gesichertes Erfahrungswissen. Sollte ich also nicht lieber die S-Bahn nehmen?  Ich fragte mich, wo ich die Kraft denn investieren würde, die ich einsparen würde?

Ist es beim Leben mit Jesus nicht ganz ähnlich?

Also, einmal durchgestöhnt und los geht’s. Und eigentlich ist es doch auch super! Ich laufe doch auch nicht mein Leben lang um den Küchentisch, bloß weil ich das als Einjähriger mal für das Nonplusultra gehalten habe. Ist es beim Leben mit Jesus nicht ganz ähnlich? Petrus zumindest geht von Entwicklungen aus, wenn es um Integrität geht. Das ist, wenn ich das Gute tue, auch wenn es mich etwas kostet. Was reitet mich, zu vermuten, dass Reife durch Predigten und Konferenzen allein zu haben sein könnte?  Können sie einen einzigen Schritt im Leben ersetzen?

Heute und für mich sind 90 Kilometer schon richtig weit. Aber wer sagt mir denn, dass das immer so bleiben muss? Und das sollte doch für alle Bereiche meine Lebens gelten.

Dann freue ich mich noch ein wenig am Glitzern des Flusses und der milden Frühlingssonne. Bis ich dann spüre, dass mir der Stecker gezogen wird. Aber zum Glück ist es nicht mehr weit. Und als ich später den Schweiß aus meinem Unterhemd wasche, kann ich die knapp hundert Kilometer noch einmal einzeln riechen. Lecker!

Alle Kolumnen von Tom Laengner findet ihr hier.


Tom Laengner ist ein Kind des Ruhrgebiets. Nach 20 Jahren im Schuldienst arbeitet er journalistisch freiberuflich und bereist gerne unterschiedliche afrikanische Länder. Darüber hinaus arbeitet er als Sprecher für Lebensfragen und Globales Lernen. In seiner Kolumne „Out of the Box – Weil wir wunderbar gemacht sind“ schreibt er regelmäßig über Lebensfragen, die ihn bewegen.

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1 Kommentar

  1. Der eigentliche Sieg geschieht am Kreuz

    Tom Laengner schreibt von Entwicklung im Glauben. Allerdings ohne eine perfekte und fertige Antwort zu geben. Da fühle ich mich doch sehr mitgenommen. Oft schwanke ich zwischen zwei Standpunkten oder Modien, die beide für sich richtig sind. Einmal sehe ich mich – wie im Gleichnis Jesus – als armer Sünder hinter den Säulen des Tempels versteckt: Es ist nur ein Bild vom möglichen seelischen Zustand. Allerdings eine durchaus ehrenwerte Haltung. Sie erkennt an, dass ich jeden Tag aus der Vergebung leben kann, weil Gott mir 77×7 (also immer) vergibt. Ein Leben aus der Vergebung ist möglich, ich muss nicht perfekt sein, ich darf scheitern und ich bekomme die Gnade und Liebe des Himmels sowohl unverdient als auch kostenlos. Aber bin ich so (immer ?) Der andere Seelenzustand lässt es zu im Glauben zu wachsen. Daher liebe ich die Bergpredigt, weil sie mit so wenig betulichen Sätzen daherkommt, im Prinzip für alle Menschen dieser Welt bestimmt ist und zudem noch einfach: Friedlich zu sein, barmherzig, zu vergeben, die Fußwaschung Jesu verinnerlichend und im Auge behaltend dass die mögliche Apokalypse nicht stattfindet. Die Menschen werden die Schwerter zu Pflugscharen machen und jeder kann die Atomraketen dann im Museum bewundern. Aber das bedeutet für mich als Christ vielleicht auch mehr politisch zu denken, radikaler für Gewaltlosigkeit zu leben, eher ein Revolutionär zu sein als jemand, der mit Meditation, Besinnung und Anbetungsstunden beschäftigt ist. Also: Wachsen, stärker zu werden, auf dem Weg zur Quelle gegen den Strom zu schwimmen und den guten Kampf des Glaubens zu kämpfen: Wie ein olympischer Langstreckenläufer gegen die eigene Beharrungskraft anzukämpfen. Der Glaube ist dann Leistung und Gott misst mich an ihr. Oder nicht ? Ich gebe zu, beides ist wohl richtig. Aber was nicht richtig ist, zumindest öfters, zwischen den beiden Möglichkeiten irgendwo im Nirgendwo festzuhängen. Sich machtlos zu fühlen. Nicht nur gegenüber der Endlospandemie, sondern auch bezüglich der furchtbaren Geschehnisse in der Ukraine. Was kann ich da tun ? Was in Luther vorging als er vor dem Weltuntergang noch das Apfelbäumchen pflanzen wollte, ist mir in diesem Seelenzustand nicht mehr greifbar. Trotzdem: Diese beiden Möglichkeiten sind zutiefst menschlich. Denn am Ende meines Lebens wird Gott nicht wie ein erbsenzählender Buchhalter meine guten gegen meine schlechten Seiten gegeneinander aufrechnen. Am Kreuz war Jesu Sieg gegen die Welt und dort ist auch mein Heil passiert: Dass Gottes Liebe völlig unverdienbar bleibt. Sonst wäre es keine Liebe. Der Dauerlauf für den guten Sieg des Glaubens ist nützlich, aber er ist keine Währung zum Ankauf himmlischer Liebe. Die gibt es gratis. Gott ist eben nicht die Welt. Noch wichtiger: Der christliche Glaube ist im strengen Sinne keine Lehre, keine Aufzählungen von guten und schlechten Dingen und Möglichkeiten, sondern eine Haltung. Nämlich in allen stillen Stunden oder den ganz aktiven Momenten im Glaubens Jesu Haltung nachzuahmen. Der barmherzig und sanft war, aber auch richtig menschlich wütend die Tische der Wechsler im Tempel umwarf.

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