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Yassir Eric: Vom Christenhasser zum Brückenbauer

PROLOG

„Zwei Jahre lang beteten wir täglich für die Vernichtung Zakarias. In dieser Nacht – in sha’a-llah – sollten unsere Gebete erhört werden. Mit meinen Freunden saß ich auf einem Baum. Der Trampelpfad unter uns wurde schwach vom Mondlicht beschienen. In der Ferne flackerte das Licht einer Taschenlampe, das immer näher kam. Bald war es nur noch wenige Meter entfernt. Mein Herz raste. Wir griffen nach unseren Gewehren, an deren Lauf wir Bajonette befestigt hatten. Als Zakaria direkt unter unserem Baum entlangging, sprang ich mit einem Freund herab und landete mit meinen Springerstiefeln direkt auf Zakarias Rücken. Auch die anderen sprangen vom Baum. Einer fesselte Zakarias Hände, einer presste seine Hände auf dessen Mund. Zakaria riss seinen Kopf hoch. In seinem dunklen Gesicht erkannte ich nur das Weiß seiner vor Angst und Schmerz aufgerissenen Augen. Mit unseren Gewehrkolben droschen wir auf seinen Körper ein. Dann stachen wir mit den Messerklingen in seinen Rücken, seine Beine und Arme. Das Zucken seines Körpers, die dumpfen Schreie wurden immer schwächer, bis sie ganz verstummten. Wenige Augenblicke später liefen wir zurück in unser Lager. Über uns färbte sich der Himmel rosa. Es war Zeit fürs Morgengebet.“

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YASSIR

Der Mann, der diese – seine – Geschichte dem Magazin lebenslust erzählt, heißt Yassir Eric. Er ist 1972 im Nordsudan geboren und aufgewachsen, in der Hauptstadt Khartum, in einer strenggläubigen muslimischen Familie, die dem sunnitischen Wahhabismus angehört. Sein Vater hat ihm den Vornamen bewusst gegeben, aus Verehrung für den früheren Palästinenser-Chef Jassir Arafat.

Der junge Yassir kommt als Achtjähriger für zwei Jahre in eine Koranschule, fernab von seiner Familie. Und bekommt dort Hass eingeimpft, vor allem gegen Juden und Christen. Das geschah schleichend, erzählt er: „Man lernt den Hass nicht systematisch, sondern er wird unbewusst geschürt.“ Täglich mussten er und seine Mitschüler stundenlang Koranverse über die „Ungläubigen“ rezitieren. Die Sure 1 des Korans wurde 17 Mal am Tag wiederholt, nach der Juden und Christen „Ungläubige, Feinde Gottes, des Propheten und der Muslime“ sind. Yassir bekennt: „Wenn Sie mich mit neun, zehn Jahren gefragt hätten, wer sind die allerschlimmsten Menschen auf der Erde, hätte ich gesagt: Die Juden! Und die Christen!“ Wieder daheim setzt sich die religiöse Erziehung des 10-Jährigen nahtlos fort. Er wächst auf in patriarchalischen Strukturen, die unbedingte Loyalität verlangten, selbst dann, wenn sie sich gegen andere Familienmitglieder richtete. Yassirs Mutter etwa gehört einer mystischen Glaubensrichtung des Islam an, sie lebt „nicht nach dem Schrift-Islam“ – und wir Kinder „wurden von klein auf gelehrt, gegen die Familie meiner Mutter zu sein“. Der Sohn lebt danach. Nicht in dem Sinne, „dass man sich hingesetzt und das reflektiert und gesagt hätte: Das ist meine Position. Sondern es war die feste Überzeugung der Familie und damit nicht zu hinterfragen. Man wurde so erzogen – Punkt.“ In der Familie wird die „sichtbare Trennung von Mann und Frau“ gelebt, strenge religiöse Riten wie das tägliche Beten und das Fasten praktiziert. Auf der anderen Seite betont Yassir, dass er eine „sehr geschützte Kindheit“ hatte. Seine Familie hat unbedingt zu- sammengehalten, ein starkes „Wir-Gefühl“ hat ihm „Sicherheit und Geborgenheit vermittelt“, kurz: „Ich habe damals das Beste bekommen, was ein Kind bekommen konnte“ – abgesehen vom „religiösen Fanatismus“, wie er heute sagt.

„Wenn Sie mich mit neun, zehn Jahren gefragt hätten,
wer sind die allerschlimmsten Menschen auf der Erde, hätte ich gesagt:
Die Juden! Und die Christen!“

Die Hauptstadt der Republik Sudan, 2,7 Millionen Einwohner, im Norden des Landes, ist Yassirs Geburts- und Heimatstadt, in der er später, als Mitglied der Muslimbruderschaft, Islamisches Recht und Politikwissenschaft studiert hat. Noch immer hat er bleibende, positive Erinnerungen daran, an die „Prägung in meiner Kindheit, die Freundschaften, den Nil, die Gerüche der Stadt. Ich vermisse das sehr!“, bekennt er. „Wenn ich könnte, würde ich sofort wieder dorthin – noch heute!“

Eine dramatische Wende in seinem Leben ist der Grund dafür, dass das auf absehbare Zeit unmöglich scheint. Sein Onkel Khaled ist der Auslöser. Ausgerechnet er! Der Ex- Geheimdienstmann observiert und verhört einen Pastor, einen Christen – und konvertiert infolge der Begegnung mit ihm zum christlichen Glauben. Yassir kann das nicht glauben, macht sich seinerseits daran, der Geschichte auf den Grund zu gehen – und hat dann ein eigenes „Schlüsselerlebnis“.

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Fouad, ein Cousin, der todkrank im Krankenhaus liegt, erhält Besuch von zwei ägyptischen Christen, die intensiv für seine Heilung beten. Das Wunder geschieht: Fouad wird vollständig gesund – und Yassir bekommt dadurch den entscheidenden Impuls, der sein Leben verändert. Bis zum frühen Morgen spricht er mit Ibrahim, einem der ägyptischen Christen – „er war der erste Christ, mit dem ich jemals über den Glauben gesprochen habe, das kannte ich vorher nicht“ – und wird anschließend selbst Christ.

Als er seiner Familie davon erzählt, ist das für sie ein Schock. Es kommt zum völligen Bruch: Yassir wird symbolisch beerdigt, Freunde erzählen ihm nur Tage später, dass seine Familie einen Sarg mit seinem Namen durch Khartum und den „verlorenen Sohn“ zu Grabe getragen habe. Sein Vater adoptiert einen Großcousin an Sohnes statt. Nur ansatzweise lässt sich erahnen, was das für Yassir persönlich heißt. „Eine Katastrophe!“, sagt er heute. Denn Familie, das bedeutete auch Sozial- und Krankenversicherung. Und alle Sicherungen sind plötzlich verschwunden: „Das ist etwas anderes, als wenn ein 18-Jähriger in Deutschland nach dem Abi sagt, jetzt ziehe ich weg!“ Yassir begreift, dass er die Stadt, ja das Land nach diesen Ereignissen verlassen muss.

Im Sudan gilt seit 1985 das islamische Scharia-Gesetz – und auf „Abfall vom Glauben“ steht die Todesstrafe! Er verlässt seine Heimatstadt 1995. „Seitdem war ich nie wieder dort.“

EINE NEUE FAMILIE

Auf Umwegen kommt er nach Kenia, beginnt dort ein Theologiestudium, wird wie ein eigenes Kind aufgenommen in der deutschen Familie von Christel und Walter Eric, die im Land arbeiten – und als er nach Jahren einen neuen Pass beantragen muss, nimmt er deren Nachnamen an. „Niemand kann wirklich die eigene Familie ersetzen – aber die Erics sind meine echte Ersatzfamilie geworden“, sagt Yassir. Und dann lernt er in Nairobi auch Maren kennen, eine Deutsche, „die Frau, die mir den Kopf verdrehte“, nennt er sie. Es dauert eine Weile, es gibt viele ungewisse Monate des Zweifels. Bis Yassir schließlich im Frühjahr 1999 in Deutschland landet, „der erste Schwarze in Bernloch auf der Schwäbischen Alb“, lächelt er.

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Er und Maren heiraten im August 1999. Und Yassir gründet danach das Europäische Institut für Migration, Integration und Islamthemen (EIMI). Immer stärker entdeckt er, wie auch seine Mutter ihn geprägt hat, mit ihrer „großen Barmherzigkeit, ihrem Menschenverständnis, ihrer Toleranz“. Sein Vorname gewinnt für ihn noch einmal ganz anders an Bedeutung: „Yassir“ ist das Gegenteil von „kompliziert“, erklärt er, ein einfacher Mensch. „Das ist für mich wichtig“, sagt Yassir Eric: „Ich will nahbar sein für die Menschen.“

Fragt man nach seinen Überzeugungen heute, erzählt er auch von seinem neuen Verständnis des Begriffs „Ehre“, das heute von einem „tiefen Respekt“ geprägt ist – allen Menschen gegenüber. Außerdem: „Als Christ will ich Gott ehren: wie ich rede, wie ich lebe, in der Beziehung zu meiner Frau, welche Entscheidungen ich treffe.“

Entscheidend für seinen inneren Wandel war ein grundlegend neues Verständnis für sein Leben: Selbst als überzeugter Moslem war Allah früher für ihn „ein unberechenbarer Gott. Ich wusste nie, ob ich gut genug war“. Inzwischen hat er „einen Weg gefunden zu einer Beziehung zu Gott, wie ihn der Islam nicht ebnet“. Kurz gesagt: „Als Moslem bin ich ein Knecht Gottes, als Christ bin ich ein Kind Gottes. Dieser Glaube trägt mich.“

Yassir Eric (Foto: privat)

Und er hat handfeste Auswirkungen: Trotz der radikalen Entscheidung seiner Eltern damals „habe ich in meinem Herzen keine Bitterkeit, im Gegenteil: Ich sehne mich täglich nach ihnen. Ich bete für sie. Und wenn ich meine Lebensgeschichte erzähle, erwähne ich immer auch die guten Seiten.“

Yassir Eric trinkt heute auch „selbstverständlich“ mal ein Glas Wein. „Nur ein – schwäbi- sches – ‚Viertele‘ schaffe ich nicht ganz“, sagt Yassir und lacht. Wein gehört zur Kultur, ist „nicht etwa vom Teufel“. Ebenso wenig wie Filme im Kino, die früher für ihn verboten waren: „Ich gucke inzwischen sehr, sehr gerne Filme mit meinen Kindern“, gesteht er.

BRÜCKEN BAUEN

Noch wichtiger ist ihm, Brücken zu bauen, „nicht nur gegenüber Juden oder Christen, sondern auch gegenüber Muslimen“. Respekt zu zeigen – „ohne zu bewerten“, betont er – und erst mal zu verstehen versuchen: Warum trägt diese Frau ein Kopftuch? Warum gibt es Ehrenmorde? Warum …?“ Der zweite Schritt „auf mein Gegenüber zu“ kann sein, deutlich zu machen: Wir glauben unterschiedlich – und doch können wir als Bürger dieses Landes, in Deutschland, zusammenleben. Und dann heißt Brücken bauen auch, von meinem Glauben zu erzählen, von dem Frieden in meinem Herzen – ohne jemanden zu zwingen, dass er meinem Glauben nachfolgt. Wir leben in dieser Vielfältigkeit“, sagt Eric. Und schließlich, setzt er hinzu, muss man auch „die schwierigen Fragen“ ansprechen. „Es hilft nicht zu sagen, alles ist okay – obwohl wir wissen, dass nicht alles okay ist –, sondern dass wir die schwierigen Fragen auch miteinander diskutieren. Und sie nicht den Extremisten und den Menschenhassern überlassen.“

Eine der schwierigen Fragen lautet – sie liegt in diesem Gespräch nah: Gehört der Islam zu Deutschland? Oder nicht? „Diese Frage kann man nicht einfach mit Ja oder Nein beantworten“, sagt Eric nachdenklich. Und gibt eine differenzierte Antwort: „Ich würde sagen, Muslime – ja! Die hier geboren worden sind, das Gesetz respektieren und hier so leben wie Sie und ich. Selbstverständlich! Jeder, der etwas anderes behauptet, irrt!“ Das „Aber“ folgt: „Der Islam als Dogma, als konservative Ideologie gehört, glaube ich, nicht zu dieser Gesellschaft. Denn dieser dogmatische Islam war noch niemals Teil von etwas. Er ist nicht integrierbar in eine offene, liberale Gesellschaft.“ Das ist noch nicht das Ende der Antwort: Yassir möchte „mit muslimischen Freunden diskutieren über Gewalt und Terrorismus und versuchen, einen Weg miteinander zu finden“.

Denn schädlich findet er, wenn „nur die Rechtsradikalen, diejenigen, die Muslime hassen, über dieses Thema reden“. Vor allem ist Yassir Eric das wichtig, was er „wirkliche Begegnung“ nennt: „Wenn ich muslimische Freunde nach Hause einlade; wenn sie meine Frau und meine Kinder kennenlernen. Begegnung geschieht, wenn Menschen aus ganz unterschiedlichen Kulturen sich füreinander öffnen und sich erklären: Wer bin ich?“

Von Jörg Podworny


Buchtipp:

Yassir Eric: Hass gelernt – Liebe erfahren. Vom Islamisten zum Brückenbauer (Verlag adeo).

–> Rezension auf Jesus.de

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