Wenn man sich unwohl fühlt, aber trotzdem nicht der Gemeinde oder dem Verwandtschaftstreffen fernbleiben kann, dient als einziger Ausweg meist der Griff zur Maske mit Dauergrinsen. Als Sarah diese Spannung nicht mehr aushielt, legte sie ihre Maske ab und machte sich auf die Suche nach einer besseren Lösung.
„Heute ist mal wieder einer der Tage, an denen ich mich absolut miserabel fühle. Die Haare liegen irgendwie, aber nicht so, wie sie sollen. Die Haut mal wieder gerötet und über die nervigen Pickel müssen wir gar nicht reden. Und leider kann ich diesen Mangel an Aussehen auch nicht mit einem starken Selbstbewusstsein ausgleichen. Am liebsten würde ich mich ins Bett verkriechen. Doch gerade heute bin ich zu einem Geburtstag eingeladen, bei dem ich natürlich gerne glänzen würde. Meine Strategie: mega Styling, auffallen, Komplimente absahnen und damit zumindest auf der äußeren Anerkennungsskala hinaufklettern. Denn selbst kann ich mir diesen „Du bist wertvoll“-Zuspruch leider gerade nicht geben.
Als ich also – nach zig wechselnden Outfits – mit leuchtendem Top, enger Hose und natürlich zusammenpassendem Gürtel und Schuhen, fresh geschminkt und mit geglätteten Haaren vor dem Spiegel stehe, bin ich selbst überrascht, wie gut ich das wieder geschafft habe. Doch innerlich hat sich nichts verändert. Da bleibe ich der Trauerkloß, der ich bin. Ich versuche ein Lächeln zu erzwingen. Von glänzend ganz schön weit entfernt. Ich wäre so gerne die Sarah ohne Fehler, stets fröhlich, motiviert und mitreißend. Doch an so vielen Tagen bin ich in mich gekehrt, negativ denkend und lechze nach der Anerkennung der anderen, möchte Teil einer Gruppe und kein Außenseiter sein. Und dann setze ich eine Schicht Make-up und ein Lächeln auf. Doch die Diskrepanz zwischen Innen und Außen wird dadurch immer stärker.“
Heute – fast 10 Jahre nach dieser Situation – kenne ich diese Zweifel in mir immer noch. Diesen Druck, stets fröhlich, kontaktfreudig und schön sein zu wollen. Und gleichzeitig innerlich hin- und hergeworfen zu sein. Vor meinen Gefühlen wegzurennen, weil sie mir Angst machen. Mich mit anderen zu vergleichen und mich selbst in diesem Zustand kaum ertragen zu können. Doch über die Jahre habe ich auch ganz schön viel dazugelernt. Ich bemerke immer schneller, wenn ich wieder in so einer Abwärtsspirale unterwegs bin und versuche ehrlich zu mir und meinen Mitmenschen zu sein, anstatt eine Maske aufzuziehen. Hier einige Wahrheiten, die mir dabei begegnet sind:
1. Wir sind für den Rhythmus geschaffen
Dass wir jeden Tag gleich gut aussehen, gleich viel leisten, gleich gut gelaunt sind, ist ein Wunschtraum. Oder besser gesagt: gar nicht möglich. Weil wir Menschen nicht so geschaffen wurden. Wir sind emotionale Wesen und keine Maschinen. Eine Maschine kann im Takt laufen, immer die gleichen Wiederholungen machen. Wenn wir Menschen versuchen so zu leben, machen wir uns kaputt. Wir sollten lernen, im Rhythmus zu leben. Nach tagelangem Lernen für eine Klassenarbeit muss auch mal ein bisschen Ruhe oder eine coole Aktion mit Freunden drin sein. Diese Abwechslung brauchen wir.
2. Unsere Gefühle wollen uns weiterbringen
Es gibt Zeiten, da ist das innere Chaos so groß, dass man gar nicht weiß, wo man anfangen soll. Ein schneller Impuls kann dann sein, sich zuzuspammen oder in Action zu verfallen, um bloß den Gedanken zu entfliehen. Vor uns selbst wegzurennen bringt uns aber leider nicht weiter. Denn egal, wo wir hingehen, uns selbst nehmen wir ja immer mit. Außerdem gibt es für jedes Problem eine Lösung. Vielleicht nicht immer eine schnelle, aber auf jeden Fall eine bessere, als wegzurennen. Sonst wacht man nach Jahren des Wegrennens auf und bemerkt, dass man da, wo man jetzt steht, eigentlich nie hin wollte.
3. Ehrlichkeit schafft Begegnung
Manchmal versuchen wir, uns vor anderen zu verstellen, um unsere Gefühle nicht preiszugeben. Wir setzen ein Lächeln auf, um unsere Trauer zu verbergen oder spielen den Macker, um unsere Unsicherheit zu überdecken. Allerdings errichten wir damit eine Mauer zwischen uns und den anderen. Und mit dieser Mauer ist es unmöglich, aufrichtige Freundschaften zu führen. Ja, es braucht viel Mut, anderen zu zeigen, wie es im Inneren aussieht – und man sollte diese Menschen gezielt auswählen –, aber nur das ist der Schlüssel für wirklich tiefe Freundschaften, die einen auch dann tragen, wenn man sich selbst gerade gar nicht leiden kann.
4. Es gibt kein besser oder schlechter als – sondern nur MICH
Oft schauen wir andere an und vergleichen uns mit ihnen. Wir beneiden sie um ihr Aussehen, um ihre Klamotten, ihr Talent oder ihr Ansehen. Ein Fehler in unserem Denken ist oft, dass wir dann versuchen, mehr so zu werden wie sie. Das wird uns aber immer deprimiert zurücklassen, denn auch wenn wir uns noch so sehr bemühen, wir werden immer ein Abklatsch von ihnen bleiben. Gott hat verschiedene Interessen, Leidenschaften und Voraussetzungen in uns hineingelegt. Und er möchte sehen, was wir daraus machen. Ja, wir können uns von anderen inspirieren lassen. Aber wir sollten das finden, was zu uns passt. Und die anderen in ihrem Weg bestärken. Nichts ist attraktiver als ein Mensch, der bei sich selbst angekommen ist und nicht mehr versucht, anderen zu gefallen.
„Als ich vor dem Spiegel stehe und mein gefaktes Lächeln aufsetze, wird mir plötzlich klar, dass ich dieses Fake-Ich, das ich so oft versuche aufrechtzuerhalten, gar nicht bin. Und ich treffe eine Entscheidung: Ich will diesen Zwiespalt nicht mehr. Ich möchte ehrlich sagen können, wie es mir geht. Ich möchte herzhaft lachen, wenn mich etwas erfreut oder bitterlich weinen. Ich möchte gar nicht die perfekte Sarah sein, sondern die echte. Die mit den Ecken und Kanten. Ich ziehe mich erneut um: Eine Jeans, ein lockeres T-Shirt und meine Lieblingsjacke. Ich möchte nicht wegen meines Äußeren gemocht werden, sondern wegen meiner Art. Ich gebe mir die Freiheit, mich nicht zu verstellen und den Menschen um mich herum die Chance, mich völlig ohne künstliche Maske kennenzulernen. Von diesem Tag an habe ich drei Jahre eine Lederkette mit einem Holzanhänger getragen, egal, was ich anhatte, um mich daran zu erinnern, dass ich niemals perfekt sein werde und das auch gar nicht muss.“
Sarah Rauschenberger freut sich, immer mehr zu lernen,
ihren eigenen Rhythmus zu finden.