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Kirche sein in einer Gott-tauben Welt

Er gilt als Mahner, Querdenker, aber auch Liebhaber des Glaubens: Prof. Dr. Paul Zulehner. Ein Gespräch über „gott-taube“ Menschen, das Ende der Pastorenkirche und die brennende Flüchtlingsfrage.

Wie würden Sie die gegenwärtige Situation der Kirche beschreiben?

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Zulehner: Ich könnte natürlich eine Menge Stärken aufzählen, die die Kirchen haben. Dass es in den Kirchen Oasen gibt, die eine Kultur des Vertrauens und der selbstlosen Nächstenliebe darstellen. Dass die Kirchen für das Leben der Menschen von der Geburt bis zum Tod eintreten und es für niemanden Zugriff auf das Lebensrecht und die Würde des Menschen gibt. Ich glaube, das sind riesige Stärken, die die Kirche heute im gesellschaftlichen Diskurs einbringt.

Und was fehlt Ihnen?

Wir sind eine Kirche, die die Herausforderung der Gegenwart nicht ausreichend zur Kenntnis genommen hat, weil wir hier in Europa nicht nur in einer Ära vielfältiger Wandlungsprozesse leben, sondern die Ära sich selber wandelt. Wir hinken diesem Wandel achtlos hinterher. Wir achten zu wenig die Freiheitsrechte der Menschen, wir sehen möglicherweise auch zu wenig, dass auch vielen Kirchenmitgliedern die gegenwärtige politische und menschliche Entwicklung Angst macht, wir sind zu sehr im innerkirchlichen Bereich auf die Fragen der familiären Moral konzentriert, der individuellen Liebe des Menschen. Wir müssen als Kirchen mehr Anwältinnen einer gerechteren und friedlicheren Welt werden, die auch die Schöpfung bewahrt. Das wird nur gelingen, wenn wir uns dabei nicht von Äußerlichkeiten leiten lassen, sondern von dem Herzstück des Evangeliums herkommen. Also aus dem tiefen Wissen, dass es nur einen Gott und wegen der tiefen Einheit aller Menschen eine universelle Solidarität gibt. Dieses große Werk müssen wir heute in den gesellschaftlichen Kurs der Welt einbringen.

Welche Sprache braucht Kirche heute? Redet sie zu kompliziert?

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Ich habe das Gefühl, dass es nicht eine Frage der Komplexität der Sprache ist, sondern ob das menschliche Leben mit seinen jeweiligen Hoffnungen und Ängsten mit dem zusammenpasst, was wir erzählen oder den Leuten zusingen. Ob sie sagen: Das stimmt mit meinem Leben überein. Diese Überlegung setzt natürlich voraus, dass die Saiten der Kirche gut gestimmt sind und dass sie das Lied Christi als Hoffnungslied spielt. Es nützt nichts, den Leuten besserwisserisch die Wahrheit vermitteln zu wollen – vielmehr muss die Kirche ihnen die Anwesenheit Gottes vor Augen malen.

Brauchen wir mehr Mystik?

Ja! Mein großer Lehrer Karl Rahner sagte: „Der Fromme von morgen wird ein Mystiker sein, einer, der etwas erfahren hat, oder er wird nicht mehr sein.“ Die Mystiker sind diejenigen, die dem eigenen Geheimnis ihres Lebens, das Gott ist, auf die Spur kommen. Egal, ob die Sprache kompliziert ist oder nicht, es ist entscheidend, ob der Weg richtig ist, den man mit einem Menschen geht, und ob man ihm Erfahrungsräume gibt. Ich liebe auch sehr ein Zitat des Papstes Benedikt XVI, der sagt, dass wir in einer ganz lauten Welt, die uns alle „gott-taub“ macht, die leise Musik Gottes nicht mehr hören. Das ist aber fast eins zu eins Teresa von Ávila, die sagt: Gott, der ganz im Innersten ist, der macht sich wie ein Hirte vernehmlich bei den Menschen durch ganz leises Pfeifen. Und dazu muss man still werden. Sonst hört man es nicht. Ich glaube, dass wir durch den lauten Trubel unseres schnellen alltäglichen, uns überfordernden Lebens doch irgendwie „gott-taub“ geworden sind.

Kirchen befinden sich im Wandel. Welche Fragen müssen sich die Kirchen und Gemeinden stellen?

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Der große Fehler der traditionsgestalteten Kirche ist ihr Klerikalismus. Den gibt es auch in protestantischen Kirchen, dort heißt das dann Pastorenkirche, bei uns hingegen Priesterkirche. Leider haben wir immer das Gefühl, als wären diese für sich allein schon nicht Kirche! Die sind etwas an der Kirche, sind ein Dienst an der Kirche. Ein Dienst, damit die Spurtreue der Gemeinschaft im Evangelium gesichert bleibt. Dazu braucht es Priester und Pastorinnen, sonst nichts. Es bedarf jedoch einer Aufwertung des ganz normalen Kirchenmitglieds. Wir sollten aufhören mit diesem pastoralen Schisma zwischen den einen, die betreuen, und den anderen, die betreut werden. Aus der Ordination der einen folgt keine Subordination der anderen. Sonst ist das keine zukunftsfähige Kirche! Es braucht die Kirche des Volkes, wo alle eine Verantwortung haben, sich auf ihre Art am Leben und Wirken der Kirche beteiligen. Das natürlich durchaus im geordneten Zusammenspiel mit ordinierten Personen. Das sind die Schlüsselparadigmen für die künftige Kirchenentwicklung, und dass diese Kirche dann nicht eine Kirche für sich selbst ist, sondern an die Ränder der Gesellschaft zu den Armen geht. Das ist dann eine arme Kirche mit den Armen zusammen: Eine Kirche der Welt, die nicht in sich selbst implodiert, sondern in die Welt hinausexplodiert.

Wie sieht das ganz praktisch aus?

Das bedeutet natürlich auch, dass Christen sich nicht zu abgehoben vorkommen, in die Politik, die Unternehmen, Wirtschaft und Schulen zu gehen. Sie dienen nicht als „Rufer“ in die Welt hinein, sondern sind selber immer Teil der Welt, die von und mit ihnen gestaltet wird. Also gesellschaftliches und politisches Engagement in allen Bereichen, der Kunst, Bildung, Wissenschaft, Wirtschaft und in den Gewerkschaften sowie natürlich auch in der Politik. Ich sage immer zu den Vertretenden der Jugendbewegungen, wenn ich mit ihnen zusammentreffe: Ich glaube, dass das Kriterium eures Erfolgs darin besteht, dass morgen ein Drittel von euch Bürgermeister sind, im Bundestag sitzen, in der EU einen Dienst übernehmen, zur UNO gehen oder irgendwo politisch tätig sind. Das ist das Markenzeichen der jungen Christenheit! Nicht, dass wir „Halleluja-Schlümpfe“ sind und uns vor lauter leuchtenden Augen nicht mehr zurechtfinden.

Warum ist Ihnen die Ökumene so wichtig?

Wir sind in einer Welt, die zusammenwächst und trotzdem zerrissen ist. Das Zweite Vatikanische Konzil hat dazu einen sehr klugen Gedanken. Ich würde es als eine sehr moderne Lehre von der Kirche, also eine Ekklesiologie, verstehen: „Wir sind in dieser Welt aus göttlicher Perspektive ein Zeichen der Einung der Welt und wir stehen gegen die Zerrissenheit.“

Wie kann man das glaubwürdig leben, wenn man selber zerrissen ist?

Das ist genau der Widerspruch. Wir haben uns etwas zum Programm gesetzt, was wir selber durch Spaltung sabotieren. Und außerdem ist es eines der wichtigsten Gebete Jesu, wenn er in Johannes 17,21 spricht: „Ich bete für sie alle, dass sie eins sind, so wie du und ich eins sind, Vater.“ Ich halte die Spaltung der Kirche für einen derartig flagranten Ungehorsam gegenüber den innersten Absichten Jesu. Das ist ein Affront gegenüber dem Gründer der Kirche, der ja nicht eine gespaltene, sondern eine geeinte Kirche wollte. Deshalb braucht es die Ökumene. Daher ist es für uns notwendig: Wir müssen alle wieder unsere eigene Identität ganz klar im Evangelium verankern. Dann bin ich zunächst erst einmal ein bisschen evangelisch. Aber das macht auch Papst Franziskus immer, wenn er sagt, dass ihm das „Evangelium ohne Zugaben“ wichtig ist. Jedoch sage ich, dass aber diese evangelische Christenheit, die ans Evangelium gebunden ist, zugleich katholisch werden muss.

 

 

 

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