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Jesus am Kreuz: 7 Blickwinkel

Zu Beginn der Passionszeit blicken wir voraus auf die (sieben) Worte Jesu am Kreuz. Sie spiegeln unterschiedliche Perspektiven wie Gottesferne, Trost und Vergebung.

Von Albert Frey

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Der Spielfilm „8 Blickwinkel“ mit Dennis Quaid und Forest Whitaker erzählt achtmal dieselbe Geschichte: ein Anschlag auf den amerikanischen Präsidenten in Salamanca. Immer wieder von vorne, jedes Mal aus dem Blickwinkel einer anderen Person. Erst am Ende versteht man, was wirklich passiert ist. In gewisser Weise sehe ich so auch die „7 Worte vom Kreuz“, die letzten Worte oder Sätze, die Jesus in der Zusammenschau aller vier Evangelien spricht – bevor er am Kreuz stirbt.

Wir haben nicht nur vier Erzähler (in den vier Evangelien), die unterschiedliche Akzente setzen, sondern sogar sieben verschiedene „letzte Worte“, die uns jeweils aus einer anderen Perspektive das Kreuzesgeschehen erhellen können. Das hat über die Jahrhunderte viele Künstler inspiriert. Vertont wurden die sieben Worte unter anderem von Heinrich Schütz (Frühbarock), Joseph Haydn (Klassik) und César Franck (Romantik). Auch ich habe mich an eine zeitgenössische Vertonung gewagt. Dabei reizte mich die künstlerische Dynamik, die in diesen sieben Aussagen steckt. Mehr aber noch der Inhalt, der mich schon mein ganzes Leben begleitet und begeistert: Jesus aus Nazareth, seine Person und seine Botschaft, sein Leben und Sterben.

Mein Interesse ist dabei in erster Linie spirituell, nicht so sehr theologisch oder gar wissenschaftlich. Meine Frage ist: Welche Bedeutung haben diese Worte für mich, für uns heute? Die Wissenschaft ist daran interessiert, zu unterscheiden: Was stammt aus welcher Quelle? Was ist Original, was später hinzugefügt? Welche Probleme entstehen bei der Übersetzung? Gibt es Widersprüche? Die Spiritualität muss aber nicht „entweder oder“ denken, sondern kann im „sowohl als auch“, ja sogar in den Widersprüchen tiefe Wahrheit finden.

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Und sie kann alle Ebenen gelten lassen: das, was Jesus ursprünglich gesagt hat. Das, was die Evangelisten so wichtig und bedeutsam fanden, dass sie es an solch zentraler Stelle erwähnen. Und schließlich das, was bei uns heute ankommt, was wir verstehen, was uns berührt. In all dem erkenne ich das Wirken des Heiligen Geistes, der inspiriert.

Die „Heldenreise“

Ich habe mich viele Jahrzehnte mit moderner geistlicher Musik beschäftigt, die in vielen Kreisen „Worship“ genannt wird. Dort ist das Kreuz ebenfalls ein großes Thema, aber leider nicht alle sieben Worte. In Worship- Songs wird überwiegend, ja fast ausschließlich eines zitiert: „Es ist vollbracht!“ (Johannes 19,30). In der traditionellen Reihenfolge, die ich beibehalten habe, steht es an sechster Stelle. Und ja: Es ist der dramaturgische und geistliche Höhepunkt. Es geht von allen sieben Worten am stärksten in die Deutung des Kreuzesgeschehens und lässt schon anklingen, dass dieser Tiefpunkt sich ins Gegenteil verkehren wird.

Wenn aber nur dieses Wort zitiert wird, deckt das einen Mangel auf, den ich in der Worship-Szene und in der oft dahinterstehenden Theologie finde: Die Fragen, die Klagen, das Leiden – all das wird übersprungen. Wir lassen das Kyrie („Herr, erbarme dich“) weg und wollen nur Gloria singen, wir blättern direkt zum letzten Kapitel, zum Sieg!

So lässt sich aber keine gute Geschichte erzählen. Die „Heldenreise“, das archetypische Muster vieler (oder aller?) großer Geschichten, führt immer zuerst nach unten, dann erst nach oben. Und in gewisser Weise ist die Jesusgeschichte die größte aller Geschichten und die heldenhafteste aller Reisen.

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Das Kreuz in allen Facetten

Und so einseitig lässt sich auch langfristig kein gesundes geistliches Leben aufbauen. Im Englischen gibt es für das deutsche Wort „Opfer“ mehrere mögliche Übersetzungen. Sacrifice steht für die Deutung des Kreuzes als Sieg, Erlösung, stellvertretender Sühnetod. Aber am Kreuz ist Jesus auch Victim, Opfer von Macht und Religion, von Eigeninteressen und Ignoranz – und damit ein Zeichen der Solidarität und des Trostes für alle, die auch Opfer von Ungerechtigkeit werden. Und in seiner Selbsthingabe ist er auch „Offering“: Er selbst ist die Botschaft, er selbst ist die Gabe und damit auch das große Vorbild, zu dessen Nachfolge wir aufgerufen sind. Wenn ich diese anderen Deutungen hinzunehme, kann ich für mich nach wie vor die Sacrifice-Deutung in meinen Glauben integrieren, die mich von Liturgie bis Worship so viele Jahre geprägt hat: das Opferlamm, das „Lamm Gottes, das die Sünde der Welt trägt“ (Johannes 1,29). Für eine Lebensentscheidung, für den Start in den Glauben, für die ersten Jahre (und auch wieder für die letzten!), ist das gut und wichtig: Es ist vollbracht! Jesus hat das Entscheidende schon getan!

Wir haben uns in unserer Kultur schon so an das Kreuz gewöhnt, dass wir kaum mehr seine ungeheure Provokation erkennen.

Albert Frey

Aber dann kommen die Fragen und Krisen des Lebens. Und dann werden uns vielleicht andere Worte wichtig: „Mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Matthäus 27,46 und Markus 15,34) oder „Mich dürstet“ (Johannes 19,28). Jesus ist am Kreuz ganz Mensch, der körperlich und seelisch leidet. Damit sind wir nicht allein mit unserer Bedürftigkeit, unserem Lebensdurst, unserem Leiden. Und wenn wir glauben, dass in Jesus Gott selbst Mensch wurde, dann ist sein Leiden die ultimative Solidarität mit allen leidenden Menschen bis hin zur Gottesferne. Gott von Gott verlassen? Der Verstand kann es nicht fassen, das Herz erkennt die tiefe paradoxe Wahrheit, betrachtet staunend und anbetend die Liebe, die bis zum Äußersten geht.

Wir haben uns in unserer Kultur schon so an das Kreuz gewöhnt, dass wir kaum mehr seine ungeheure Provokation erkennen: Ein so liebevoller, gewaltloser Mensch wie Jesus wird so ungerecht verurteilt, grausam gefoltert und auf die schlimmstmögliche Art hingerichtet. Diese himmelschreiende Ungerechtigkeit muss doch alles in uns aufwühlen! Und in dieser Situation betet Jesus für seine Mörder: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“. Die Feindesliebe, die er in der Bergpredigt fordert, lebt er bis zum Schluss. Und vielleicht dreht sich ja die Erschütterung über die Ungerechtigkeit der Welt in eine Erschütterung über mich selbst: Weiß ich denn letztlich, was ich tue, was ich verursache? Wo trage ich zum Unrecht dieser Welt, zur Spirale der Gewalt bei?

Und so gilt das Wort an den Schwerverbrecher, der neben Jesus gekreuzigt wird, am Ende mir: „Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein“ (Lukas 23,43). Vergebung und Gnade brauchen wir alle. So kann uns das Kreuz auch zur Gemeinschaft „ganz unten“ auf den ehrlichen Boden der Tatsachen führen. Mit dem Wort „Sieh, dein Sohn, sieh, deine Mutter“ (Johannes 19,26 + 27) kümmert sich Jesus nicht nur rührend bis zum Schluss um seine Angehörigen, sondern er stiftet eine neue Familie, Jung und Alt, Mann und Frau auf Augenhöhe „unterm Kreuz“. Die Künstler vieler Jahrhunderte hat das inspiriert: Johannes, der „Lieblingsjünger“, und Maria, seine Mutter, rechts und links unterm Kreuz.

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Raum für das Geheimnis

In all diesen Worten können wir einseitig sein: das Leiden überbetonen, auf Schuld und Sünde fixiert sein, Gewaltlosigkeit als Passivität missverstehen, mit vorschneller Vergebung Ungerechtigkeit überdecken. Deshalb ist ein multiperspektivisches Kreuzesverständnis so wertvoll. Es lässt Raum für andere Zugänge, Raum für Entwicklung, Raum für das Geheimnis. Die Reihenfolge der sieben Worte zeigt einen Aufbau, einen Weg für eine ausgewogene Kreuzesdeutung und eine gesunde Spiritualität: Die ersten drei gehen an andere Menschen, die in dieser Szene beteiligt sind, der Mitmensch bleibt auch angesichts des Kreuzes wichtig. Worte vier und fünf zeigen den leidenden Jesus und öffnen so einen großen Raum für Ehrlichkeit, Mitleiden, Solidarität. Erst das sechste Wort weitet den Blick für die kosmische Bedeutung und bleibt dabei doch deutungsoffen. Was ist vollbracht? Der Weg von der Krippe bis zum Kreuz? Der Weg des Gerechten? Das Erlösungswerk? Das Ende aller Opfer, aller Bemühungen, aus eigener Kraft vor Gott zu bestehen?

Ja, wir brauchen alle sieben Blickwinkel, auch den letzten: Das siebte Wort spricht Jesus nach Lukas (23,46) unmittelbar vor seinem Tod: „Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist“. Jesus stirbt im tiefen Vertrauen auf seinen Vater im Himmel. Die sieben Worte sind am Ende eine große Einladung, zu vertrauen: auf den Vater im Himmel, auf die große Liebe, die uns der Gekreuzigte zeigt, im Leben und im Sterben. Und auf die Hoffnung, dass am Ende die Liebe siegt und selbst den Tod überwindet.

Albert Frey ist Autor und Komponist des Chormusicals „7 Worte vom Kreuz“ und gehört zum freien Redaktionsteams der Zeitschrift AUFATMEN.


Dieser Artikel ist im AUFATMEN-Sonderheft „7 Worte vom Kreuz“ erschienen, einem Gemeinschaftsprojekt des SCM Bundes-Verlags mit der Creativen Kirche und midi (Evangelische Arbeitsstelle für missionarische Kirchenentwicklung und diakonische Profilbildung).

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3 Kommentare

  1. Wir haben uns zu sehr an das Kreuz gewöhnt

    „Wir haben uns in unserer Kultur schon so an das Kreuz gewöhnt, dass wir kaum mehr seine ungeheure Provokation erkennen. (Albert Frey). Wie wahr. Es hat sich ja Gott selbst in das Menschsein begeben und gewissermaßen ganz im Menschensohn Jesus gelebt. Dies heißt doch, er ist der „Gott mit uns“. Da wird deutlich, dass er dort ist wo oft niemand mehr an unserer Seite stehen könnte. Ich denke da an die vielen Menschen, die in den Konzentrationslager der Nazis meist ihr Leben verloren. Mein Vater, der sich fast glücklich schätzte (er war beim Nachschub), im 2. Weltkrieg keinen Schuss abgefeuert zu haben. Aber er verlor als junger Mann seinen Glauben nach dem Erleben in Stalingrad, als dem neben ihm liegenden Soldat die Därme aus dem Leib quollen, als er noch zum Hilfe rief. Ein mir noch bekannter älterer Mann war sogar in des Führers Hauptquartier Wolfsschanze in Ostpreußen, sah Hitler jeden Tag mit seinem Schäferhund, aber er ließ sich lieber an die Front versetzen, weil er das völlig gottlose Tun der SS-Nazis zutiefst verachtete und es ihn anekelte. Die Welt ist nicht heil und man kann sie nicht – völlig vereinseitigt – als die wunderschöne Schöpfung Gottes bezeichnen, wenn sie doch von uns selbst so in den Schmutz getreten wird. Die Idee, Gott werfe Feuer vom Himmel, oder habe eine Sintflut generiert um die ganze Weltbevölkerung auszurotten, ist absurd angesichts den Worten und Werken von Jesus. Er ist die Liebe Gottes in einer Welt, in der es gerade an Liebe, Achtsamkeit, Empathie und an der Akzeptanz der 10 Gebote sowie auch der Bergpredigt mangelt. So wird also die Sintflut-Geschichte, in richtiger Auslegung, eine Errettungsgeschichte durch die Liebe Gottes. Und die Schöpfungsgeschichte zu einer Art von Antiken Glaubensbekenntnis. Wir sollen nämlich möglichst der neue Mensch in Jesus sein – und nicht mehr jener in Adam. Denn Adams Sohn erschlug seinen Bruder wegen einer religiösen Empfindungskrise und die Machtpolitik seit Jahrtausenden manifestierte sich in einem Turmbau zu Babel, der uns doch deutlich erzählt, dass sich die Menschen in machtbesessenen Regimen nicht mehr verstehen und das Werk des Despoten misslingt.

    Das Kreuz ist das antizyklische Wirken Gottes an uns. Er straft uns mit der Liebe am Kreuz. Er ist nicht wie wir, weil er Bösartigkeit nicht mit böser Strafe vergilt. Er ist barmherzig und gnädig. Deshalb ist Jesus auch als ein Friedefürst auferstanden und wird als solches wiederkommen, bevor ein Neuer Himmel und eine Neue Erde wird: Als ein neues Universum, in dem es nur noch die Liebe Gottes gibt als allesumfassende Wirklichkeit. Aber vorher müssen wir auch hier in Gottes unendlichem Universum, auf einem völlig unbedeutenden Planeten, es noch im leider allgemeinen bösen Karfreitagsmodus aushalten. Allerdings: Auch wenn die Welt nicht heil ist, so können wir doch selbst schon ein wenig Paradies praktizieren: Es kann mit einem einfachen freundlichen Lächeln beginnen und mit einer Umarmung einstweilen enden. Jedenfalls ist dies besser, als heute noch die Welt zu retten. Wer für die Rettung des Klimas protestiert, ist dann auch eine fünfte Kolonne Gottes, denn der Klima-Kollaps ist unser Werk

    • Jesaja 53, 5 Aber er (Jesus) ist um unserer Missetat (Vergehen, Treuebrüche gegenüber Gott) willen verwundet und um unserer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten…
      Lieber Herr Hehner, Sie können dem heiligen Gott niemals gegenübertreten, weil Sie wie alle Menschen Sünde begehen. Und Sünde und Gott ist wie Feuer und Wasser, beides kann nicht nebeneinander existieren. Entweder verdampft das Feuer das Wasser oder das Wasser löscht das Feuer. Wir Menschen hätten den Tod verdient, den Jesus stellvertretend für Sie und mich erlitt. Ihr Satz „Er straft uns mit der Liebe am Kreuz.“ ist theologisch nicht haltbar, denn er erlöst uns am Kreuz von unserer Schuld. Der unschuldige Reine wird für uns zur Sünde gemacht. 2. Korinther 5,21 Er (Gott) hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm die Gerechtigkeit Gottes würden.

      • Die Bibel ist da nicht einheitlich. Schaut man sich das AT an, dann finden sich noch solche Traditionen, in denen Menschen Gott tatsächlich anschauen konnten. Gott tritt zunächst noch sehr antropomorph auf, das ändert sich jedoch schon im Laufe des AT. Im AT ist Gott zunächst „sichtbar“, hat einen „Körper“. Im NT heißt es mehrmals, er sei unsichtbar. Da zeigen sich griechisch-philosophische Einflüsse. Einheitlich ist die Bibel in dieser Frage, wie auch in anderen, nicht. Da wird rückwirkend ein (sehr viel neures) Dogma über die biblischen Texte gelegt und versucht, alles „einzupassen“.

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