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Livestreams und Nabelschau: Arne Kopfermann über das Musikerleben in Coronazeiten

Normalerweise ist Arne Kopfermann neben seiner Tätigkeit als Produzent und Songwriter landauf landab bei Konzerten unterwegs. Corona hat ihn ausgebremst. Wie er damit umgeht und was er über Anbetungsmusik und Kirche nach Corona denkt, das erzählt er hier.

Arne, wie ist es dir seit März ergangen?
Das letzte Dreivierteljahr verlief bei mir in Phasen. Im Februar habe ich zusammen mit meiner Frau an der Willowcreek-Konferenz teilgenommen. Als die wegen eines Coronafalls abgebrochen wurde, haben wir geahnt, dass da etwas Düsteres auf uns zurollt. Im März habe ich den ersten Teil meiner Buchungen noch wahrgenommen, danach hagelte es Absagen.

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Bist du überhaupt noch aufgetreten?
Ich konnte nur ein einziges Konzert unter freiem Himmel geben und ein „hybrides“ mit wenigen Besuchern und Livestream „indoor“. 50 weitere Liveauftritte mussten verschoben werden, was nicht nur aufwendig ist, weil man viele Musiker, Techniker und Veranstalter unter einen Hut bringen muss, sondern durch die allgegenwärtige Unsicherheit erschwert wird, wann eine Nachholveranstaltung wieder risikofrei und gesetzeskonform möglich sein wird.

Welche Alternativen gab es für dich?
Es folgte mein neuer Aufbruch in die digitale Welt. Ihr habt ja im April über den Wir stehn auf-Song berichtet, den Yasmina Hunzinger und ich am Anfang des ersten Lockdowns geschrieben und dann mit 30 christlichen Künstlern – jeder bei sich zu Hause – aufgenommen haben. Den hat sogar die BILD-Zeitung aufgegriffen, und auch deswegen hat er ein bisschen die Runde gemacht.

In den folgenden Monaten habe ich in zahlreichen Online-Gottesdiensten gespielt, mehr als 50 Songs für meine Gemeinde gemischt, mein Buch Auf zu neuen Ufern zu Ende geschrieben und die dazu gehörige CD fertiggestellt. Ich habe mehr Videos dazu produziert als jemals zuvor bei einem Release und noch dazu ein Dutzend Interviews gegeben.

Meine Lernkurve in Bezug auf Livestreams war steil

Meine Lernkurve in Bezug auf Livestreams seit dem ersten Küchenkonzert in der „Hope Songs“-Reihe von Judy Bailey war steil, und diese Expertise ist natürlich ein bleibender Wert. Sie ist nur möglich durch permanentes Lernen durch YouTube Videos und Artikel. Daher verbringe ich weiterhin sicher ein bis zwei Stunden pro Tag mit Fortbildungsmaßnahmen neben meinen normalen Aufgaben.

Wie hat sich die Krise finanziell für dich ausgewirkt?
Der überwiegende Teil meiner Aktivitäten 2020 war unentgeltlich. Und natürlich fallen nicht nur die Live-Gagen weg. Auch die Medienabsätze, die Teil meiner Umsatzplanung sind, verringern sich trotz des Online Shops ganz gewaltig – ein sehr undankbarer Zustand, wenn man gerade veröffentlicht und größere Mengen an Büchern und CDs selbst abgenommen hat, die sich nun im Keller stapeln und auf bessere Zeiten warten.

Im März hat keine der Soforthilfen für mich gegriffen. Am Anfang habe ich mich noch durch einige seitenlange Anträge gekämpft, hauptsächlich für meine noch härter gebeutelten Bandmitglieder. Das war komplett für die Füße, da ist kein Cent geflossen. Ansonsten galt das Motto: Hauptsache ich bin gesund, und meine Frau hat Arbeit“. Dadurch, dass sie als Bankerin einen gut bezahlten Job hat, ist unsere Existenz nicht gefährdet. Da kann ich vielleicht etwas ruhiger schlafen als einige meiner Kollegen. Daher habe ich im Herbst nicht einmal mehr Anträge gestellt. Andere brauchen die Hilfen gerade auch dringender.

Gab es in den zurückliegenden Monaten besondere Momente für dich? Außergewöhnliches, was ohne Corona so nicht passiert wäre?
Wenn ich einen Moment herausgreifen soll, der für mich sehr emotional war, dann Anfang August ein Gottesdienst auf Korsika, in dem ich in einer Freiluftarena Lobpreis geleitet habe – und zum ersten Mal nach Monaten wieder eine ganze (Ferien)-Gemeinde zu Gott singen hörte. Da fiel mir wie Schuppen von den Augen, was mir in den Monaten zuvor gefehlt hatte.

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Vor einigen Wochen wurde ich dann von einer kirchendistanzierten Freundin der Familie gefragt, die Trauerfeier für ihre verstorbene Mutter zu gestalten – mit Liedern UND Ansprache, ein „first“ für mich in einem solchen Rahmen. Ein Trauergottesdienst zu Zeiten von Corona ist doppelt traurig. Die engste Familie saß in der Trauerhalle, ca. hundert Freunde standen – mit Abstand und Maske, versteht sich – draußen und folgten dem Gottesdienst über externe Lautsprecher. In einer solchen Extremsituation sind Fingerspitzengefühl, das Ringen um die richtigen Worte und Lieder von besonderer Bedeutung. Aktives Zuhören und der Dreiklang aus persönlicher Erinnerung, persönlicher Trauer und ewiger Hoffnung. Das waren bewegende eineinhalb Stunden für mich.

Ach, und gestern ging zum ersten Mal das Online-Adventssingen für die Commerzbank mit Florian Sitzmann und Lena Belgart über die Bühne. Das habe ich vorbereitet, am Montag mit den beteiligten Musikern aufgenommen und dann in zwei Tagen gemischt. So was wäre vor einem Jahr noch nicht möglich gewesen …

Generell empfinde ich als jemand, der sich sehr intensiv ehrenamtlich in die Musikarbeit unserer Frankfurt CityChurch eingebracht hat, eine große Dankbarkeit für viele Mitarbeiter in unserer Kirche, die mit größter Hingabe und erstaunlicher Souveränität in einem für sie absolut neuen Betätigungsfeld die Online Gottesdienste am Laufen halten. Klar gab es auch da Erschöpfung, Überlastung und zum Teil frustrierende Momente, so wie im richtigen Leben auch … Aber es überwiegt das Positive, die Aufbruchsstimmung, und darüber freue ich mich sehr.

Was denkst du über Gottesdienste in der Zeit mit und nach Corona?
Mich beschäftigen im Moment viele Themen. Werden Kirchgemeinden nach Corona wieder zu reinen Präsenzveranstaltungen zurückkehren, oder wird das Meiste in der Folge „hybrid“ stattfinden? Online gelten andere Gesetzmäßigkeiten für die Hörerwartung an Musik. In der Folge sind alle Aktivitäten mehr von Produktions-Gesichtspunkten geprägt, was ja an sich nicht zwingend negativ ist. Aber Spontanität, einfach zu Gott singen und den Moment auskosten, ist dann schwerer möglich. Für den Gottesdienstbesucher macht es einen riesigen Unterschied, ob man Zuhause zur Musik im Online Gottesdienst relativ alleine „vor sich hin grummelt“ oder in Gemeinschaft von vielen anbetet – ein Schelm, wer aus dem Satz eine Wertung abliest.

Es besteht eine nicht zu unterschätzende Tendenz, ungesund viel „eigene Nabelschau“ zu betreiben.

Auch hat das beständige Singen vor einer Kamera Auswirkungen auf das Bewusstsein eines Künstlers. Durch die eh schon ausgeprägte Notwendigkeit unserer Zeit, sich als bekannterer Musiker in den sozialen Netzwerken regelmäßig zu Wort zu melden und im Gespräch zu halten, besteht eine nicht zu unterschätzende Tendenz, ungesund viel „eigene Nabelschau“ zu betreiben. Und das setzt sich nun auf der „hybriden“ Bühne auf andere Weise fort, wo man stärker noch als beim reinen Live Geschehen gezwungen ist, auf Aspekte der Visualisierung zu achten – auf Fehlerfreiheit, möglichst perfekter Intonation etc. Denn wir müssen jetzt in zwei unterschiedlichen Medien funktionieren – Bühne und YouTube -, die sehr unterschiedlichen Gesetzen folgen. Da bleibt manchmal das Rohe, Kraftvolle, Ungeschönte einer Live Performance auf der Strecke.

Sicher stellt sich hier mit der Zeit auch Routine ein; aber das Schöne an Musik ist, dass sie nicht allezeit auch für die Nachwelt Relevanz zu haben braucht. Manchmal wird sie auch nur für den Moment geschaffen, in dem wir gerade sind. Und das bleibt gerade vermehrt auf der Strecke. Damit opfern wir manchmal auch Persönlichkeit, selbst wenn wir im besten Fall an Kunstfertigkeit zulegen.

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Auf welchem Weg siehst du die christliche Musikszene?
Ich entdecke da seit geraumer Zeit zwei Tendenzen: die eine ist, eigentlich in der säkularen Musikwelt bestehen zu wollen und die Bühnen christlicher Gemeinden dafür eher als eine Art Sprungbrett zu sehen, auch wenn für viele der Schritt in den Mainstream am Ende eher ein „Sprung ins eiskalte Wasser“ war – textlich zu „geprägt“ für die Unkirchlichen und zu „weltlich“ für die Frommen. Die andere Tendenz ist, bewusst im kirchlichen Bereich musikalisch prägen zu wollen, aber dabei auf eine sehr dominante Worship-Kultur zu stoßen, die die Gemeinden vor Ort schon mit immer höherer Qualität selbst abdecken.

Ich wünsche mir für „Nach-Corona-Zeiten“ mehr Mut zum weniger „Stromlinienförmigen“. Lothar Kosse hat diese Stromlinienförmigkeit mal „Parteikunst“ genannt, bezugnehmend auf den Zwang von Komponisten in kommunistischen Ländern, Musik zu schaffen, die im weitesten Sinne das politische Regime stützt. Das zu schreiben, was wenig herausfordert, aneckt, auch im guten Sinne provoziert. Aber das ist und bleibt die Aufgabe von Kunst. Auch von frommer Kunstfertigkeit. In Bezug auf die musikalische Eigenart. Aber auch textlich und inhaltlich, denn wir bewegen uns nun mal in einem „Message-Business“. Und nach Corona wird das nicht weniger so sein.

Und die Kirche an sich? Was sind da deine Beobachtungen?
In unserer deutschen Gemeindelandschaft entdecke ich das wachsende Bedürfnis, zu „schwarz-weiße“ Glaubenssätze und vereinfachte Gottesbilder und -erwartungen zu hinterfragen. Den Wunsch, nicht nur einen offenbaren, sondern auch einen verborgenen Gott anzubeten, der sich immer wieder unseren Gebeten und Erwartungen zu entziehen scheint und keinen einfachen Reiz-/Reaktionsschemata folgt.

Dazu hat sicher auch die teils groteske Unterstützung Trumps einer Vielzahl von amerikanischen Evangelikalen im US-Wahlkampf beigetragen, die den Twitter-König aufgrund von vermeintlich göttlicher Offenbarung öffentlich schon „in die Wiederwahl gebetet hatten“ und nun vor dem Rätsel der Wahlschlappe stehen. Na ja, dann eben 2024 … Oft dieselbe Art von Christen, die keine Maske im Gottesdienst tragen will, weil Gott ja seinen Schutz zugesagt hat. Weil das ja klar ist!?

Unsere Anbetungslieder brauchen ergänzende Inhalte, die die Unverfügbarkeit und Souveränität Gottes ins Auge fassen

Viele steile Sätze kindlicher Erwartung in Bezug auf Gott stehen auf dem Prüfstand, manche sind schon im Ansatz zum Scheitern verurteilt. Unsere Anbetungslieder brauchen ergänzende Inhalte, die die Unverfügbarkeit und Souveränität Gottes ins Auge fassen und ihn Gott sein lassen, anstatt weitgehend ein Wohlfühl-Evangelium zu befeuern.

Ein reflektierter Glaube hält der Ambivalenz des Lebens stand; der Spannung zwischen dem, was wir schon erleben und verstehen, und dem, was unseren Verstand übersteigt, weil wir „nur“ Geschöpfe sind. Und wir Songschreiber gerade in der Worship-Welt müssen der Kirche musikalische Gebete zur Verfügung stellen, die dieser Spannung Rechnung trägt. Als Kirche müssen wir zum Thema Leidbewältigung eine reflektiertere Perspektive einnehmen und in der Begleitung von Trauernden eine Christus-ähnlichere Haltung der Barmherzigkeit gewinnen.

Danke für das Gepräch!

Arne Kopfermann, Jahrgang 1967, ist Singer-/Songwriter, Gitarrist, Musikproduzent, studierter Soziologe, Referent und Buchautor. Er lebt mit seiner Frau Anja im Vordertaunus.

Homepage: Arne Kopfermann


An diesem Sonntag (3. Advent) tritt Arne Kopfermann mit rund 40 weiteren Musikschaffenden beim Online-Benefizkonzert zugunsten von christlichen Künstlerinnen und Künstlern auf, dem HOPE SONGS FESTIVAL.

 

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