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Bischof Abromeit im Interview: „Jetzt ist in unserer Kirche Mission angesagt – in allen Bereichen“

Auf der EKD-Zukunftswerkstatt in Kassel traf sich am vergangenen Wochenende eine „Kirche im Aufbruch“. Unzählige Impulse, Foren, Podien und vor allem begeisterte Menschen machten den Reformprozess in der evangelischen Kirche konkret. Rolf Krüger sprach im Zuge des Kongresses mit dem pommerschen Bischof Jürgen Abromeit über die Quellen des Selbstwertgefühls, über landeskirchliche Großgemeinden und über die Frage: Wann werden Gemeinden missionarisch ineffektiv?

Herr Bischof, angenommen, Martin Luther würde noch leben und wäre heute Journalist. Was würde er über die Zukunftswerkstatt in Kassel schreiben?

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Martin Luther würde sich an diesem Perspektivkongress freuen. Ich halte das für eine sehr zeitgenössische Form des Umgangs mit Kirche. Wenn man heute Impulse senden will, dann ist so ein Kongress genau das richtige.

Ich finde besonders gut, dass hier ein gemeinsames Bewusstsein gebildet wird, eine „Corporate Identity“. Das haben wir in der Evangelischen Kirche sehr nötig. Ich bin richtig glücklich darüber, dass Wolfgang Huber in seinem Impuls so eindeutig die Grundaufgaben der Kirche umrissen hat. Manche sagen ja, er hat uns damit sein Testament hinterlassen. Der Ratsvorsitzende sagt ganz deutlich: Jetzt ist in unserer Kirche Mission angesagt – und zwar in allen Bereichen. Das zeigt, dass wir verstanden haben, was die Stunde geschlagen hat.

Bischof Huber hat auch über die latent vorhandenen Vorbehalte gesprochen, die gegen ein Streben nach Wachstum bestehen. Wie kann man diese Vorbehalte auflösen?

Im Grunde freut sich ja jeder, wenn seine Gemeinde wächst. Die Frage ist eher: Wie gehe ich damit um, wenn ich feststelle: Wir werden immer weniger – im Gegensatz zu unserer Nachbargemeinde. Das empfinde ich als ein Grundproblem.

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Wenn ich in meinem Selbstbewusstsein angeknackst bin, empfinde ich es eher bedrohlich, wenn andere Gemeinden zahlenmäßig größer sind. Anders ist das, wenn ich in mir ruhe und weiß: Ich habe auch Gaben, die mir Gott geschenkt hat. Mein Selbstwertgefühl hängt nicht davon ab, wie viele Leute in den Gottesdienst kommen und wie viel sie spenden. Vielmehr hänge ich davon ab, dass ich mich im Angesicht Gottes meines Lebens freuen darf.

Das heißt, wir müssen bereits in der Ausbildung und in der Fortbildung von haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auf eine Stärkung der Persönlichkeit und auf eine Stärkung der individuellen, persönlichen Gaben setzen.

Bischof Huber sprach auch von seiner Bewunderung für die Hausgemeinden in Nordkorea, fügte aber unter viel Applaus an, eine Verwohnzimmerung des Protestantismus in Deutschland sei „kein Konzept kirchlichen Handelns“. Gibt es so etwas wie eine ideale protestantische Gemeindeform?

Diese Frage kann man nur einschätzen, wenn man auf unsere Kultur blickt. In den USA kommen in den sogenannten Megachurches Zehntausende an einem Wochenende zusammen. Das ist sehr beeindruckend. Das ist wie ein permanenter Kirchentag. Innerhalb einer Event-Kultur ist das etwas Glaubensstärkendes. In der Gesellschaft stehe ich mit meiner Überzeugung vielleicht alleine, aber wenigstens am Wochenende sind wir ganz viele. Das festigt.

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In den Großstädten oder Ballungszentren könnte ich mir gut vorstellen, dass wir auch mal innerhalb der Landeskirchen eine oder mehrere Großgemeinden entwickeln. Denn für die Leute, die auch sonst zu Fußballspielen und Konzerten gehen und sich gerne in der Masse bewegen, wäre das sicher eine entgegenkommende und stützende Kultur.

Allerdings haben wir in Deutschland meiner Einschätzung nach momentan noch eine etwas andere Kultur. Bei uns fühlt sich die Mehrheit der Menschen in einer erfahrbaren und überschaubaren Gemeinde wohl.

Wenn ich an die ländlichen Gebiete denke, dann gehört dort auch zum Gottesdienst dazu, dass ich einen Gutteil derjenigen kenne, die mit mir Gottesdienst feiern.

Wir sollten also keine Antworten geben, die für den ganzen Erdball gelten, sondern auf die jeweilige Kultur sehen. Für junge Leute würde ich zum Beispiel auch bei uns durchaus zentrale Gottesdienste anbieten, denn nur so können wir diese Kultur erreichen. Aber für die kleinen Dörfer brauchen wir ein Stück Heimeligkeit. Schwierig wird es, wenn die Zahlen zu gering werden. Denn Gottesdienst erleben heißt auch Gemeinschaft erleben.

Mission heißt, vom Glauben zu erzählen. Protestanten haben traditionell einen großen Respekt vor der Position des Gegenübers. Manchen erscheint das als Gegensatz zu allzu missionarischen Bemühungen. Gibt eine Balance zwischen begeisterter Weitergabe dessen, was mich bewegt, und der üblichen respektvollen, protestantischen Zurückhaltung in persönlichen Glaubensfragen?

Bis auf ganz wenige, die ganz bewusst auf der Suche sind, will niemand bekehrt werden. Das ist eine ganz normale Grundhaltung. Deshalb ist es ganz kontraproduktiv, auf andere in einer vereinnahmenden Art und Weise zuzugehen.

Was wir aber brauchen, ist eine eigene Glaubensbegeisterung. Wenn ich selbst den Glauben als Hilfe erfahren und in der Kirche eine begleitende und stützende und tröstende Gemeinschaft gefunden habe, dann ist es für mich gar keine Frage, ob ich meinen Freunden und Nachbarn auf geeignete Weise davon berichte und sie einlade.

Das richtige Augenmaß bedeutet hier: Auf der einen Seite meine eigene Begeisterung spüren, gleichzeitig aber auch den Respekt vor jedem anderen Menschen als Geschöpf Gottes empfinden und wissen, dass ich lediglich Wegweiser sein kann. Werde ich drängelnd, mache ich viel kaputt und vielleicht lehnt die Person dann nicht nur meine heutige Einladung ab, sondern bleibt auch für viele weitere Jahre distanziert.

Da ist einfach viel Sensibilität gefragt. Manche erwarten sogar, dass sie mit einem gewissen Nachdruck eingeladen werden, andere sind so sensibel, dass sie schnell für zehn Jahre zu machen. Da zu unterscheiden hat etwas mit der Wertschätzung zu tun, die ich dem anderen gegenüber zeige.

Daran dachte Wolfgang Huber sicher auch, als er von der Evangelischen Kirche als „Gemeinschaft von Suchenden und Glaubenden“ sprach. Für viele Gemeinden ist das eine Herausforderung. Entweder, man bietet denen, die es „noch nicht erkannt“ haben, lediglich die Gästebank an oder man nimmt sie voll mit hinein. Dann fehlt aber oft die Atmosphäre, die ein persönliches Festmachen des Glaubens und sichtbare Glaubensschritte fördert.

Problematisch wird es dann, wenn ich den Glauben, den ich selbst als rettend erfahren habe, dem anderen unbewusst als einen Besitz signalisiere. Wenn mein Gegenüber merkt, dass ich es habe und darüber verfügen kann, dann ist der nächste Gedanke oft „Aber ich kann nicht darüber verfügen!“. Das ist negativ.

Ich denke, es gehört zum Wesen des christlichen Glaubens, dass immer deutlich wird: Jesus ist die größere Figur, er ist der Herr. Ich kann für mich selbst keine Hand ins Feuer legen. Dass ich immer noch mein Vertrauen in Gott haben werde, wenn meine Frau plötzlich stirbt oder meinen Kindern etwas passiert, kann ich nicht garantieren.

Wenn ich anderen vom Glauben erzähle muss immer deutlich werden: Nicht ich habe „es“, sondern ich kenne jemanden, der mich hat. Wenn dieser feine Unterschied nicht beachtet wird, ist eine Gemeinde missionarisch ineffektiv – so fromm und aktiv sie auch sein mag.

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