Die offizielle Zahl der Opfer von Menschenhandel ist laut EU zwischen 2008 und 2010 um 18 Prozent gestiegen. Eine diakonische Beratungsstelle im rumänischen Temeschwar versucht, Frauen im letzten Moment vor Prostitution und Sklaverei zu bewahren.
Für Frauen aus Nigeria, Pakistan oder Nepal hat Rumänien den Schimmer des Paradieses. Das Land gehört zur Europäischen Union, und damit verbinden die Flüchtlinge Arbeitsmöglichkeiten und Wohlstand. Dass sie in einen Staat fliehen, in dem der durchschnittliche Monatslohn zwischen 300 und 350 Euro liegt, wird ihnen erst vor Ort bewusst. Das rumänische Sozialsystem kann sie nicht auffangen, sagt Elena Timofticiuc, Koordinatorin der Frauenarbeit in der ökumenischen Initiative „AIDRom„. Die Initiative wird von der Aktion „Hoffnung für Osteuropa“ in Württemberg mitfinanziert.
Die Not von Flüchtlingen und armen Rumäninnen nutzen Menschenhändler gewissenlos aus. Inzwischen bieten sie ihre Dienste halboffiziell im Internet an und versprechen Jobsuchenden Stellen in Westeuropa mit 1.000 Euro Monatslohn bei freier Kost und Logie – und das ohne den Nachweis irgendwelcher Ausbildungszeugnisse. Wenn sich Menschen darauf einlassen, werden ihnen erst mal die Papiere abgenommen. Manchmal sagt man ihnen, sie müssten erst ein paar Wochen auf dem Schwarzmarkt arbeiten, bevor sie ins Ausland gehen können. Die eigentliche Funktion dieser Zwischenbeschäftigung: Die Männer und Frauen machen sich strafbar und können, wenn sie später den Betrug ihrer „Arbeitsvermittler“ merken, nicht mehr rechtlich dagegen vorgehen. Sie sind im System gefangen.
Die ökumenische „AIDRom“-Beratungsstelle in Temeschwar macht es möglich, dass zumindest manche Frauen quasi in letzter Minute abspringen. Bei der Einreise an der Grenze oder am Flughafen finden die Betroffenen eine Broschüre mit der Nummer des Nottelefons – und rufen an, wenn sie merken, dass sie sich in Gefahr befinden. Sie können sogar vorübergehend in Notunterkünften aufgenommen werden, um sich dem Zugriff der Menschenhändler zu entziehen. In der Beratungsstelle werden sie über ihre Rechte aufgeklärt, erhalten Informationen und manchmal sogar eine Arbeitsstelle. Einige der Betroffenen können auch dazu gebracht werden, Menschenhändler anzuzeigen und gegen sie vor Gericht auszusagen.
Während die Vermittlung in die Zwangsprostitution nach wie vor ein florierendes Geschäft ist, nimmt nun auch die Zwangsarbeit zu. Elena Timofticiuc schätzt, dass inzwischen 80 Prozent der gehandelten Frauen und Männer in einer modernen Form der Sklaverei geschickt werden – in Gastronomie und Hotelbetriebe, Landwirtschaft, Baugewerbe und Forstwirtschaft. Müssen Frauen in einem Haushalt schuften, kommt die sexuelle Ausbeutung oft noch dazu. Genaue Zahlen sind nicht zu bekommen, aber nach Schätzungen der EU-Kommission werden alleine 120.000 Frauen und minderjährige Mädchen aus Rumänien und Bulgarien alljährlich für sexuelle Dienstleistungen nach Westeuropa geschleust.
Ein weiteres Projekt der Beratungsstelle in Temeschwar ist „Fair Care“. Es soll dafür sorgen, dass Frauen keinen Job als billige und fast rechtlose Altenpflegerinnen in Deutschland annehmen. Auch hier steht Information an erster Stelle – verbunden mit dem Appell, nichts zu unterschreiben, was man nicht vorher überprüft hat. „Eine informierte Frau ist eine geschützte Frau“, sagt Projektmanagerin Elena Timofticiuc. Die Beliebtheit von „Fair Care“ hält sich bei deutschen Familien mit Pflegebedürftigen allerdings in Grenzen. Die Fair-Care-Frauen arbeiten acht Stunden pro Tag und bekommen 2.300 Euro im Monat. Die schwarz vermittelten Pflegerinnen machen ihren Job teilweise für das halbe Geld, stehen dafür aber 24 Stunden an sieben Wochentagen zur Verfügung.
(Quelle: epd)