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Armenbegräbnis: Wenn der Tod zum Fall für das Ordnungsamt wird

Es ist einer der letzten sonnigen Herbsttage in diesem Jahr. Die Blätter auf dem Heilbronner Hauptfriedhof sind bunt gefärbt. Die Sonnenstrahlen fallen glitzernd auf den Boden. Vor der Aussegnungshalle sitzt eine Frau auf der Bank. Sie ist eine von fünf Trauergästen. Die vielen Stühle in der Halle bleiben leer. Es gibt keinen Blumenschmuck, keine Musik. An der Wand steht in schwarzen Lettern: „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst.“ Erlöst vom Leben in Einsamkeit?

Es ist die Beerdigung von Viktor Müller (*Name geändert), 97 Jahre, verstorben in einem Pflegeheim in Heilbronn. Einsam, ohne Familie und Freunde. Ein Friedhofsmitarbeiter trägt die schlichte braune Urne in die Aussegnungshalle und platziert sie in der Halle auf einem kleinen Podest, auf dem sechs weiße Kerzen brennen.

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„Wer Abschied nimmt, muss loslassen“, sagt Diakon Johannes Bläsi zu den Trauergästen. Im Pflegeheim galt Viktor Müller als hilfsbereit und freundlich, sagt Bläsi über den Verstorbenen. Schon viele Jahre lebte er dort. Vor fünf Jahren starb seine Lebensgefährtin, seine Stiefkinder wollten nichts mit ihm zu tun haben. Aufgrund von Familienstreitigkeiten ist er damals ins Heim gezogen. Er liebte Pflanzen, die Natur und kam – wie seine Lebensgefährtin – aus Oberschlesien. Viel mehr über Müllers Leben weiß Diakon Bläsi nicht. „Die Predigt vorzubereiten ist immer ein bisschen Detektivarbeit“, erzählt Bläsi nach der Trauerfeier. „Was mir immer hilft: Wenn ich weiß, wo der Verstorbene gewohnt hat. Dann kann ich zu Nachbarn gehen und mehr über ihn erfahren.“

Gegründet hat sich der Arbeitskreis „Würdige Armenbestattung“ 2008. In diesem Jahr starben mehrere Menschen, die keine Angehörigen mehr hatten. Da zu helfen, nahmen sich unter anderem Vertreter von Diakonie, Mitternachtsmission, Drogenberatung und Bahnhofsmission vor. „Zwischen 25 und 35 Armenbestattungen finden jährlich im Durchschnitt statt“, bilanziert Diakon Bläsi. Bevor das Armenbegräbnis stattfindet, kümmern sich Diakone und Sozialarbeiter darum, Bezugspersonen aus der Nachbarschaft, dem Bekanntenkreis oder der ehemaligen Arbeitsstelle zu finden. „Es soll die Möglichkeit gegeben werden, dass die Menschen Abschied nehmen können“, erklärt Sozialarbeiterin Alexandra Gutmann, Leiterin der Mitternachtsmission.

Sterben in Einsamkeit ist kein Einzelfall

Ohne den ökumenischen Arbeitskreis „Armenbestattung“ würde ein Friedhofsmitarbeiter im laufenden Betrieb, gewissermaßen zwischen Grabpflege und Laubkehren, die Urne eingraben. Doch genau das wollten die Mitternachtsmission und die St. Augustinus Gemeinde nicht: „Für mich hört die Würde nicht mit dem Tod auf. Mir ist es ein Anliegen, dass Menschen, die vereinsamt sind, die vielleicht auch kein gutes Leben hatten, einen würdevollen Abschied bekommen“, erklärt Johannes Bläsi seine Arbeit. „Außerdem soll dem Umfeld ermöglicht werden, an der Bestattung teilzunehmen“, fügt Alexandra Gutmann, hinzu. „Selbst wenn wir keinen Angehörigen oder Bekannten finden, soll eine Bestattung in Würde ablaufen. Dazu gehört auch, dass das Friedhofspersonal bei der Bestattung Uniform trägt, auch wenn niemand dabei ist.“

Sterben in Einsamkeit ist kein Einzelfall. Mehr als die Hälfte der über Achtzigjährigen leben in Deutschland allein, so eine Statistik des Statistischen Bundesamts aus dem Jahr 2016. Das zeigt sich auch in Heilbronn. Die meisten leben in Pflegeheimen, sind lange krank oder dement. Wenn diese Menschen sterben und kein Angehöriger ausfindig gemacht werden kann, kontaktiert das Pflegeheim das Ordnungsamt. Das prüft, wer die Kosten für die Beerdigung trägt. Sofern es keine Rücklagen gibt, springt das Sozialamt ein. Eine „einfache Bestattung“ kostet in der Regel rund 1.500 Euro. In diesem Fall wird der Leichnam verbrannt und in einer einfachen Urne beerdigt. Zwischen 43.000 Euro und 53.000 Euro bringt die Stadt Heilbronn pro Jahr insgesamt auf. Im Vergleich zu einer „normalen“ Beisetzung, die oft mit mehr als 7.000 Euro zu Buche schlägt, ist eine Armenbestattung eine Beerdigung zum „Schnäppchenpreis“. Doch auch das ist vielen Gemeinden zu teuer. „Wir wissen von anderen Kommunen, die ihre Verstorbenen in Krematorien ins Ausland bringen lassen, wo die Einäscherung günstiger ist. Und dann wird die Person auch an diesem Ort bestattet“, erzählt Alexandra Gutmann.

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Nach der Aussegnung trägt ein Friedhofsmitarbeiter die Urne ins Freie. Die kleine Trauergemeinde macht sich auf den Weg zur letzten Ruhestätte. Das Laub der Blätter fällt auf den Boden, in der Ferne ist ein Rasenmäher zu hören, ansonsten Stille. Die bunten Herbstblätter machen das Vergängliche sichtbar, wie der Kreislauf des Lebens. Für Viktor Müller endet er in einem Rasengrab. Ein großes Reiterdenkmal thront über der Rasenfläche. Neben einem Baum findet die Urne des Verstorbenen seinen Platz. Der Diakon spricht die letzten Worte, dann wird die Urne ins Loch abgelassen. Die Trauergäste, zwei Bekannte, zwei Betreuerinnen und der Pflegeheimleiter legen kleine Blumensträuße ab. Einer zündet ein kleines Grablicht an. Wenn das kleine Urnengrab geschlossen wird, wird keiner wissen, dass Viktor Müller hier begraben liegt. Kein Kreuz, kein Schild, nichts wird daran erinnern. Der Verstorbene wird zu einem Aktenzeichen in den Unterlagen des Friedhofamtes.

Der Arbeitskreis „Würdige Armenbestattung“ ist deutschlandweit einzigartig. Martin Heier, Leiter der Friedhofsverwaltung in Heilbronn, sieht den Arbeitskreis als wichtige Einrichtung: „Wenn im Tod doch alle Menschen gleich sind, umso mehr sollte es doch so sein, dass jeder Mensch mit Würde, mit Anstand und Respekt bestattet wird“.

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