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Eine Entdeckungsreise auf dem Vaterunserweg

Pastor Daniel Plessing lädt dazu ein, das bekannte Gebet auf eine besondere Art und Weise neu zu erleben.

Vor zwei Jahren ging für mich ein kleiner Traum in Erfüllung: Der Vaterunserweg wurde eingeweiht – ein circa drei Kilometer langer öffentlicher Wanderweg rund um unser Kirchengebäude. An verschiedenen Stellen werden Aspekte des Vaterunser-Gebets erfahrbar gemacht (etwa durch ein Labyrinth, durch einen großen Gong o.ä.). Die Idee dahinter: ein missionaler Wanderweg. Für mich war dieser Weg ein echtes Herzensprojekt, denn in ihm kommt vieles zusammen, was mir kostbar ist: die Worte von Jesus (hier das Vaterunser aus der Bergpredigt), meine schöne Heimatregion am Bodensee und das kontemplative Gebet.

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Im Rückblick staune ich über das Timing: Der Wanderweg ist wie gemacht für die Coronazeit. Er ist draußen in der Natur, bietet viel Platz und ermöglicht geistliche Erfahrungsräume. Familien, Paare und Einzelpersonen besuchen diesen Weg gerne und häufig. Für Gruppen bietet unsere Gemeinde darüber hinaus Führungen an. Das klingt vielleicht langweilig wie eine Museumsführung, ist aber letztlich eine Art Anleitung zum gemeinsamen Gebet. Inzwischen habe ich verschiedenste Gruppen über den Weg geführt: Pfarrer, Hauskreise, Landfrauen, Senioren, Pfadfinder … Die kleinste Gruppe war ein Ehepaar, die größte eine ganze Gemeinde. Was kann ich nach zwei Jahren Vaterunser-Führungen als Zwischenstand festhalten?

Erfahrung 1: Das Vaterunser nutzt sich nicht ab

Ich hatte die Sorge, dass es irgendwann langweilig werden könnte, das Vaterunser so zu beten – dass das Vaterunser sich abnutzt wie es mir bei manchen Lobpreissongs geht. Meine Erfahrung: Das Vaterunser ist anders. Es nutzt sich nicht ab. Es liegt eine sonderbare und zeitlose Kraft in diesem Gebet.

Klar, die Gebetserlebnisse, die ich mache, sind nicht immer gleich intensiv. Manchmal ist die Erfahrung so fein wie ein flüchtiger Kuss. Ich muss ganz wach sein, um ihn überhaupt zu spüren. Ein anderes Mal ist die Erfahrung intensiv und stark. Die Impulse sind sehr unterschiedlich: Bisweilen ist klar, es gibt etwas zu tun (etwa nach Hause gehen und mich bei meiner Frau entschuldigen …), an anderen Tagen geht es einfach darum, beim Vater im Himmel zu chillen, wie meine Kinder sagen würden. Manchmal habe ich eine beglückende Erkenntnis im Kopf, an anderen Tagen spüre ich einfach einen zarten Frieden in meinem Herzen.

Fast jedes Wort im Vaterunser erschließt ein neues Thema, bei dem ich betend verweilen kann.

Erfahrung 2: Das Vaterunser ist ein Gebetsweg

Das Vaterunser ist tatsächlich ein Weg. Das wird mir immer bewusster. Es ist keine magische Formel, keine Wolke von Worten – sondern ein Pfad, ein Geländer, an dem entlang es absolut Sinn macht zu beten. Die Legende sagt, dass Klaus von der Flüe, der Schweizer Nationalheilige (der für das Gebet allerdings sogar seine Familie verließ …), vier Tage pilgerte und in dieser Zeit nur ein einziges Vaterunser gebetet hat. Ein Vaterunser, vier Tage! Es ist ein echtes Phänomen, wie viel Räume das Vaterunser öffnet. Fast jedes Wort im Vaterunser erschließt ein neues Thema, bei dem ich betend verweilen kann.

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Erfahrung 3: Ankommen ist der schwierigste Teil

Egal, ob bei mir oder den Menschen, die ich führe: Im Gebet – und damit in der Ruhe und Betrachtung – anzukommen ist eine echte Herausforderung. Obwohl ich einen geistlichen Beruf habe, brauche ich viel Zeit, aus dem Lärm, der Hektik und der Überflutung meines Alltags auszusteigen und ins Gebet einzusteigen. Ich kann nicht auf Knopfdruck meine Sorgen loslassen und mich auf den Vater im Himmel ausrichten. Deswegen bitte ich die Teilnehmer einer Führung auch, vor dem Gebet das Handy auszuschalten und sich abzuschneiden vom ständigen Fluss der Nachrichten, WhatsApps und Push-Meldungen. Heutzutage ist allein das schon fast ein prophetischer Akt!

In der Regel gehe ich mit einer Gruppe den ersten Kilometer schweigend. Oft starten wir im Stechschritt, um dann nach einiger Zeit langsamer und bewusster zu gehen. Es gibt Menschen, die halten das Schweigen nicht aus, die müssen sich mitteilen, reden oder irgendwie laut sein. Und manchmal, wenn ich aus der Hektik oder einem Konflikt komme, würde ich am liebsten selbst schreien oder mich mit einem Gespräch ablenken. Dann kostet es richtig Kraft, mich auf das Gebet einzulassen. Denn selbst wenn ich schweige, redet in mir ein Heer von Stimmen durcheinander.

Vielleicht ist in unserer Zeit nicht das eigentliche Gebet die große Herausforderung, sondern das Verlassen des lauten und hektischen Alltags. Ja, vermutlich scheitern viele Gebete bereits beim inneren Ausrichten auf Gott. In einer Gruppe auf dem Vaterunserweg unterwegs zu sein hilft enorm, diesen manchmal unangenehmen, aber wichtigen Teil des Gebets durchzustehen und in der Ausrichtung auf Gott, den Vater im Himmel, anzukommen.

Die Umstände fürs Gebet sind nie perfekt. Die Kunst ist schlicht und ergreifend, es trotzdem zu tun.

Erfahrung 4: Es gibt immer Ablenkungen

Das ist skurril: Praktisch bei jeder Führung über den Gebetsweg gibt es Ablenkungen, die mich aus dem Gebet reißen und meine Aufmerksamkeit einfordern. Seien es Drohnen über dem Maisfeld, Baumfäll-Arbeiten, Reiter, die ihre Pferde nicht im Griff haben, Wildtiere, Hundeprobleme, Bienen und Wespen, das Wetter in allen Variationen. Man sollte es nicht glauben, was man im scheinbar einsamen Wald und Flur so alles erleben kann. Es ist wie im echten Leben: Es gibt kein Beten ohne Ablenkungen.

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Die Umstände fürs Gebet sind nie perfekt. Die Kunst ist schlicht und ergreifend, es trotzdem zu tun. Sich immer wieder neu auf den Vater im Himmel, das kommende Reich, das tägliche Brot oder die Führung in der Versuchung auszurichten.

Und auch ohne eigenen Gebetsweg: Das Vaterunser bewusst Häppchenweise zu beten, geht überall.
Hier zeigt Mitinitiator und Autor Daniel Plessing, wie es gelingen kann.


Diesen Artikel schrieb Pastor Daniel Plessing für die Zeitschrift Aufatmen. Aufatmen erscheint regelmäßig im SCM Bundes-Verlag, zu dem auch Jesus.de gehört. 

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1 Kommentar

  1. Wir Christ*innen müssen uns geistlich häuten

    Der Vater-Unser-Weg ist eine wirklich gute Idee: Vom ewig gleichen Format des Missionarischen abzuweichen und so etwas wie einen Weg der Besinnung in den Wald zu verlegen. Vielleicht neigen wir als Einzelpersonen und Kirche Jesu Christi dazu, uns in Routine zu ergehen. Nun könnte ja die Corona-Pandemie, die übrigens noch lange nicht (weltweit) zu Ende ist, vielleicht ein wenig unseren „Schlaf der Sicherheit“ in einen Ruck verwandeln. Auch das uralte Gebet Jesu in der Bergpredigt, „Vater Unser“ genannt, versinkt meist in der Gewöhnung bei mir, und ich vermute bei anderen auch. Den Namen meines Gottes zu heiligen ist zwar wichtig, aber da wäre relevant zu definieren, was normalerweise unter Heiligung zu verstehen ist. Dass Gottes Reich kommt und sein Wille geschieht, hat oft wenig mit Alltagsrealität zu tun. „Ich hatte die Sorge, dass es irgendwann langweilig werden könnte, das Vaterunser so zu beten – dass das Vaterunser sich abnutzt wie es mir bei manchen Lobpreissongs geht“, schreibt Pastor Blessing. Dies erinnert mich wieder an die viele Jahrzehnte zurückliegende Schulzeit mit dem damals stattfindendem Schulgebet. Der Lehrer absolvierte es so, als stehe er auf einem Bein im Gebetsmodus, während er im Realitätsmodus nur die Anwesenheit der Schüler*innen feststellte. Ein Mensch, der als junger Mann ob der traumatischen Kriegserlebnisse seinen Glauben an seinen Gott, schon gar nicht an einen liebenden, völlig verloren hatte, wurde von seinen Eltern gewissermaßen zum Tischgebet gezwungen: „Sonst gibt es keine Nudeln“! Dies mag etwas lustig und komödienhaft klingen, aber es hat damit zu tun, dass viele gute Rituale, die mich auch zu einer geistlich guten Ordnung zwingen, im Alltagskampf oder -krampf verloren gehen können. Oder aber zu einer leeren Hülle geworden sind und nichts mit Glauben und Vertrauen zu Gott zu tun haben. Es wäre lobenswert, etwa Losung und Lehrtext morgens zu lesen und/oder sich 10 Minuten für eine stille Zeit selbst stillzulegen, oder jeden Tag über einen Bibeltext nachzudenken, was er für mich bedeuten könnte. Für eine stille Zeit für Gott fehlt objektiv immer die Zeit, und andere dies als ein wenig zu fromm bzw. leicht geisteskrank ansehen. Aber vielleicht ist es wichtig, doch Gott mir mehr Zeit zu lieben.

    Allerdings habe ich als Aktivist des himmlischen nichttheologischen Bodenpersonals gelernt, dass etwa NUR die neuen und wunderschönen Gottesdienstformen, oder andere kreative Aktionen, so sehr sich die Gemeinde hierüber freut, nicht wirklich etwas verändern. Seit den 1970er Jahren hat sich auch nichts daran geändert, dass außer dem heute grassierenden Traditionsverlust, in meiner Ev. Kirche nur 3 – 5% der Menschen mit dem Evangelium erreicht werden können. Der Rest zahlt Kirchensteuer, oder tritt aus, letzteres ist wenigstens ehrlich. Auch wenn wir morgen gemeinsam um den Altar tanzen: Auf Dauer kann man für die Nachfolge Jesu nur weitere Menschen finden, wenn wir als Christinnen und Christen unser Leben mehr mit ihnen teilen, und wirklich Salz der Erde und Sauerteig der Gesellschaft sind. Sodann wieder mehr an den Hecken und Zäunen der Welt stehen und nicht erwarten, dass die Leute unsere Heiligen Hallen plötzlich vermehrt aufsuchen, weil wir – so schön das ist – wunderbaren Lichtergottesdienste begehen. Vielleicht ist dabei wichtig, selbst etwas mehr Licht zu sein. Also dass zu leben, woran geglaubt und vertraut wird. Dies zusammen mit dem Meditationsweg im Wald – eine wunderbare Idee – macht es wirklich Sinn. Dass selbst freikirchliche Gemeinde den grassierenden Traditionsverlust beklagen, lässt die Frage aufkommen, ob wir noch unerkannte Fehler begehen und wo wir dem Heiligen Geist Knüppel zwischen die Beine werfen. Auch in meiner damaligen Kirchengemeinde haben wir von Zeit zu Zeit Evangelisationen durchgeführt und schöne gutbesuchte Gottesdienste gefeiert. Aber ich bin in meiner Gemeinden bei allen Aktivitäten immer nur den gleichen Menschen begegnet. Unter dem Altar saßen die gleichen Senioren, wenig Mittelalter und im Jugendgottesdienst die üblichen Teenager. Alles Leute mit fester Clubmitgliedschaft. Wir müssen uns geistlich häuten und den Christusmodus mit dem Alltagsmodus verbinden. Dies ist nicht immer konfliktfrei. Aber es wurde auch die Bergpredigt nicht gesprochen, damit alles beim alten bleibt, sondern ein neuer Wind weht.

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