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Ist „Liebe“ das wesentliche Prinzip der Bibel?

„Von der Bibel gilt nur das, was Jesus wollte – die Liebe!“ Viele Denkweisen über die Bibel sind bei Christen fast zu Glaubenssätzen geworden. Das gilt gleichermaßen für Konservativ-Fromme wie für Liberal-Aufgeklärte. Doch es lohnt sich, genau hinzuschauen. Faszination-Bibel-Chefredakteur Dr. Ulrich Wendel nimmt den obigen Glaubenssatz unter die Lupe.

„Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!“ – „Zieht keine Kleidung an, die aus zwei verschiedenen Materialien gewoben ist.“ Die Bibel ist vielfältig und detailliert in ihren Aussagen. Gelten alle von ihnen auch heute noch gleichermaßen? „In Demut achte einer den andern höher als sich selbst.“ – „Gebt Bier denen, die am Umkommen sind, und Wein den betrübten Seelen, dass sie trinken und ihres Elends vergessen und ihres Unglücks nicht mehr gedenken.“

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Soll man alle diese Sätze gleich wichtig nehmen und heute noch befolgen, so wie sie da stehen? Zu Recht haben viele Christen den Eindruck, es gebe doch Unterschiede zwischen den Aussagen der Bibel. Aber wie würde man dann sortieren können, was heute noch gilt und was nicht? Häufig stößt man auf folgenden Vorschlag: Gott hat sich am deutlichsten in Jesus gezeigt. Jesus ist der vollmächtige Ausleger der Bibel. Und was war es, das Jesus mehr als alles andere wollte? Die Liebe! Wer also heute danach fragt, was die Liebe gebietet, der tut das, was Jesus meinte. Aus der detaillierten Vielfalt biblischer Aussagen ist demnach das gültig, was dem „Prinzip Liebe“ entspricht. Taugt dieser Leitsatz, um die Bibel heute anzuwenden? Ist das ein Verstehensschlüssel für alle Verse von damals und für alle Situationen von heute? Auf der einen Seite – ja: Jesus ist „das eine Wort Gottes“, wie klar denkende Theologen einmal zutreffend formuliert haben. Ja, Christus ist die Mitte der Schrift, und wir tun gut daran, das, was wir in der Bibel lesen, um Christus herum anzuordnen. Und – jawohl, Gott ist Liebe. Liebe entspricht seinem tiefsten Wesen.

Instant-Lösungen sind zu fade!

Doch auf der anderen Seite: Was Jesus wollte und wofür er mit seinen Taten und mit seinen Worten eingestanden ist, das ist mehr als ein „Prinzip Liebe“. Es wäre zu schmalspurig gedacht, wenn wir aus der Fülle des Lebens von Jesus und seiner Verkündigung nur ein einziges Prinzip herausdestillieren würden und fortan nur noch nach diesem Prinzip leben wollten. Da würde zu viel auf der Strecke bleiben. Mir kommt das so vor wie die Herstellung von Instantkaffee: Aus aromatischen, frisch gemahlenen Bohnen werden die löslichen Bestandteile herausgezogen, verdichtet, getrocknet – und das kann man dann später mit heißem Wasser zu einem Getränk aufgießen. Aber kein Kaffeekenner würde sagen, Instantkaffee wäre vergleichbar mit echtem, frisch gebrühtem Kaffee! Wenn man ein Konzentrat als „Transportmittel“ verwendet, kann man eben nicht alles mittransportieren, es kommt am Ende nur eine mehr oder weniger fade Angelegenheit heraus. Ebenso ist es mit der Bibel. Man kann kaum das Wesentliche als Konzentrat herausziehen und es danach in ganz anderem Zusammenhang wieder aufgießen – zu viel würde verloren gehen.

Jesus hat nicht nur ein einziges Prinzip

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Bei näherem Hinsehen ist es Jesus selbst, der widersprechen würde, wenn man all das, was er wollte, in ein „Prinzip Liebe“ zusammenpressen würde. Denn Jesus hat zwar einerseits klar gesagt: Gott zu lieben und den Nächsten wie sich selbst ist zusammengenommen das höchste Gebot. Aber andererseits hat Jesus noch eine Reihe von weiteren Grundsätzen genannt:

■ In der „Goldenen Regel“ (Matthäus 7,12) sind das ganze Gesetz und die Schriften der Propheten enthalten.

■ Das Gebot, vollkommen zu sein, wie Gott vollkommen ist (Matthäus 5,48), fasst die Gesetzesauslegung von Jesus zusammen.

Über diese Grundsätze hinaus macht Jesus deutlich, dass mit ein paar wenigen Prinzipien keineswegs alles gesagt ist. Beim Abschied von seinen Jüngern trägt er ihnen auf: „Lehrt sie [die Menschen, die ihr erreichen werdet] alles, was ich euch befohlen habe!“ (Matthäus 28,20). Alles – das soll in ganzer Breite „mittransportiert“ und nicht etwa auf ein Konzentrat eingedampft werden.

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Brennpunkte bei Paulus

Blicken wir hinüber zu Paulus, so ergibt sich ein ähnliches Bild. Einerseits verankert Paulus alles, was er für die Gemeinden will, in Christus. Jesus ist der Dreh- und Angelpunkt. „Habt diese Gesinnung in euch, die auch in Christus Jesus war“, sagt er, und dann folgt eine Beschreibung von Jesus (Philipper 2,5-11). Doch wenn man Paulus nach weiteren Prinzipien fragen würde, dann kämen Sätze und Themen wie diese:

■ „Das Ziel der Unterweisung aber ist Liebe aus reinem Herzen und aus gutem Gewissen und aus ungeheucheltem Glauben“ (1. Timotheus 1,5) – das ist schon deutlich mehr als „nur“ Liebe, es ist zumindest eine um den Glauben angereicherte Liebe. ■ Der Glaube, der in der Liebe tätig ist (Galater 5,6).

■ Glaube, Liebe, Hoffnung (an ganz vielen Stellen bei Paulus).

■ Eine „neue Schöpfung“ als „Richtschnur“, der man folgen muss (Galater 6,15-16).

Das Denken von Paulus hat also nicht einen einzigen Brennpunkt (Christus oder das „Prinzip Liebe“), sondern mehrere (und ich habe noch längst nicht alle genannt). Um den Leitsätzen der Bibel auf die Spur zu kommen – sie gibt ja immer wieder selbst solche Leitsätze an – muss man also in der Bibel lesen. Viel lesen. Damit man nicht vorschnell auf einer einzigen Schmalspurbahn fährt.

Lesen statt nach Stichwörtern suchen

Lesen – genau das ist es auch, was Jesus erwartet. Einmal führten Pharisäer eine Debatte mit Jesus über das Thema Ehescheidung (Matthäus 19,1-8). Jesus will ihnen die Augen dafür öffnen, was Gott als Schöpfer von Beginn an eigentlich im Sinn gehabt hat. Aber er weist sie nicht auf ein „Schöpfungsprinzip“ hin, sondern er fragt sie: „Habt ihr nicht gelesen?“ Am Lesen führt nichts vorbei! Wie also erkennen wir nun inmitten all der vielfältigen und detaillierten Aussagen der Bibel das Wesentliche? Wer nach nur einem einzigen Prinzip – und sei es das Jesus-Prinzip der Liebe – sucht, macht es sich zu einfach. Man muss schon das ganze Text-„Gewebe“ der Bibel lesen und dabei beobachten, welche Muster sich herausbilden. Das ist kein einfacher Weg. Es kommen auch nicht alle, die lesen, zu denselben Ergebnissen. Aber es gibt keine andere Methode, um den Reichtum der Bibel und den Reichtum der Absichten Gottes herauszufinden.


Der Artikel ist zuerst in der Zeitschrift Faszination Bibel erschienen und ist Teil der Serie „Fragwürdige Glaubenssätze unter der Lupe“. In jeder Ausgabe geht Chefredakteur und Theologe Dr. Ulrich Wendel einem vermeintlichen Glaubensgrundsatz auf den Grund.

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