Out of the Box – Weil wir wunderbar gemacht sind
Die Kolumne von Tom Laengner

Auch schon zerstreut?

Einfach mal zu sich selbst finden, das wäre schön. Aber wie? Tom Laengner sinniert über Küchenmixer, Fußball-Legende George Best und den verlorenen Sohn.

„Kaputt gehen die Sachen von ganz alleine“, sagte mein Vater gelegentlich. Dann nahm er noch einen tiefen Zug von seiner Ernte 23 und fügte hinzu: ‚Zusammensetzen ist das Schwierige‘. Aus diesen Worten sprach der lebenserfahrene Pragmatiker. Während ich kürzlich Rosenblüten für eine Fotogestaltung durch den Küchenmixer jagte, erinnerte ich mich wieder an die Worte meines Vaters. Als er noch lebte und rauchte, brachten mein Bruder und ich gelegentlich alte Radios von einer wilden Müllhalde nach Hause. Unsere Neugier war unbezähmbar. Und so knallten wir die unbrauchbar gewordenen Stücke so lange auf den Schotter, bis das Gehäuse aufgab. Es offenbarte sich das technische Herz des Geräts. Diesen Akt wertschätzten wir durch Begeisterung. Was für schöne Drähte! Und diese vielen Wunderteile, für die wir nicht einmal Namen hatten. Wir hätten sie alle Heinz nennen können. Aber darauf sind wir als Kinder nicht gekommen. Zusammen gesetzt bekamen wir ein Gerät nie wieder. Wir waren zu unerfahren und die Teile zu zerstreut.

Ohne Rücksicht auf meine Erinnerungen sirrte der Motor des weißen Mixers unaufhörlich weiter. Wie ein erfahrener Zahnarztbohrer, der jegliche Ablenkung missbilligen muss. Geschwind klebten Blüten in Orange und Rosa an den Kunststoffwänden des Auffangbehälters. Es war noch alles vorhanden, was zu einer Blüte gehörte. Doch selbst Menschen, die Puzzles mit 5.000 Teilen zur inneren Sammlung nutzen, würden verstört abwinken. Kein Mensch bekäme das Durcheinander wieder in die ursprünglich prachtvolle Gestalt. Es gab nicht den geringsten Luftzug. Doch die ursprüngliche Blütenpracht war in alle Winde zerstreut.

Zu sich selber finden

Solange es um zermixte Rosenblüten geht, mag das nicht weiter schlimm sein. Im Menschenleben wird Zerstreuung schon mal zu einer Herausforderung. Das Frauenmagazin Brigitte schrieb im Sommer 2023, dass „wir uns, ohne den geringsten Aufwand zu betreiben, zerstreuen können, dass es manchmal schwer ist, sich nicht in dieser Galaxie aus Informationen und Unterhaltungsangeboten zu verlieren.“ Sich dann wiederzufinden, kann verzwickt sein. Im Juli und bei durchschnittlichen 18,7 Grad empfahl das Frauenmagazin, „unsere Kapazität und Aufmerksamkeit manchmal einfach bei und für uns“ zu nutzen. Einfach mal zu sich selber finden. Das wär doch was!

Der verlorene Sohn

Doch wie war das noch? Ich habe mich auf meinem Lebensweg immer wieder zerstreut. Vielleicht ging ich unterwegs sogar verloren. Wie soll ich mich jetzt wieder finden? Doch halt: Gleicht das nicht der Lage des Mannes aus der Geschichte vom verlorenen Sohn? Die Fußballlegende George Best muss diesen Sohn bewundert haben. Jedenfalls sagte er mal: „Ich habe viel Geld für Alkohol, Frauen und schnelle Autos ausgegeben, den Rest habe ich einfach verprasst“. Wie es die Zerstreuung so an sich hat, bleiben dann vom Leben nur Krümel übrig. So auch in der uralten Erzählung. Doch dann geschieht etwas Eigenartiges. Der Mann kam zu sich, er ging in sich oder er schlug in sich. Je nach Bibelübersetzung ist die Wortwahl verschieden. Wie auch immer! Seiner ganz persönlichen Zerstreuung zeigte er die rote Karte. Leider fehlte ihm das Frauenmagazin aus Hamburg für Tipps zu einem neuen Leben. Ihm halfen auch keine Zaubersprüche und keine gute Fee. Er musste den ganzen Weg zu seinem Ursprung, seinem Zuhause, zurück.

Den Weg zum Vater gehen

Mitten in diesem Gedanken dämmerte es bei mir. So was hatten Autoren der Bibel wohl auch im Sinne, als sie Gott zitierten: „Mich, die Quelle frischen Wassers, hast du verlassen. Stattdessen gräbst du Löcher für Regenwasser, die auch noch rissig sind und das Wasser nicht halten“. Ein Bild der Zerstreuung aus dem zweiten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung. Alter Schwede! Wie blöd kann man sein! So blöd kann man sein. Also ich kann so sein: Denn noch bevor ich meinen Satz innerlich zu Ende gedacht hatte, fiel mir ein Instagram-Post ein. Und Boom! Es war Schicht im Schacht mit mir und Bibelgeschichten. Ich war ein wenig zerstreut. So schnell kann’s gehen und ich war weg von meinem Ziel. Nach zwei Minuten gelang es mir zu meinem Glück, zurückzurudern.

Ich bin immer wieder überrascht, wie sich Menschen über alle Jahrtausende hinweg gleichen. Eins hat sich aber doch entwickelt. Die Methoden, sich selber zu zerstreuen, sind raffinierter geworden. Hingegen ist der Weg zum Ursprung, zum Vater, der Gleiche geblieben.

In wenigen Momenten bin ich mit der mir genehmigten Kaffeepause fertig. Dann könnte ich noch den Restkanten Nusskuchen durch den Mixer drehen. Als gestalterische Alternative zu den Rosen sozusagen. Da sieht mein Sohn das Eckstück, lächelt glücklich und schiebt es sich in den Mund. Für Rosenblätter scheint es doch keine Alternative zu geben.

Out of the box - weil wir wunderbar gemacht sind

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Tom Laengner

Tom Laengner ist ein Kind des Ruhrgebiets. Nach 20 Jahren im Schuldienst arbeitet er journalistisch freiberuflich und bereist gerne afrikanische Länder. Darüber hinaus arbeitet er als Sprecher für Lebensfragen und Globales Lernen.

In seiner Kolumne „Out of the Box – Weil wir wunderbar gemacht sind" schreibt er alle 14 Tage über Lebensfragen, die ihn bewegen.

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1 Kommentar

  1. Falsche Propheten sind schlimme Zerstreuung

    Ich bin noch nicht zerstreut, zumindest nicht im jetzigen Moment. Was der Schreiber dieses guten Textes völlig richtig sieht: Wir können unser inneres Selbst ganz schnell vergessen. Es gibt so etwas wie ein Inneres Licht, eine fast gefühlte Gewissheit dass Gott mit seiner Liebe in mir wohnt. Aber wir haben unsere Abgründe, nämlich die Sünde. Zwar wurde uns die Sünde vergeben, also Jesus hat unsere Sünde auf Golgatha ein für alle mal getilgt. Auf deutsch und in einfacher Sprache: Gott hat den Verlorenen Sohn wieder aufgenommen, ohne Vorbehalte. Für uns bedeutet dies, wenn wir Gott nicht kennen, dürfen wir jederzeit zu ihm kommen. Sind wir ihm weggelaufen, nimmt er uns gerne wieder an. Auf Golgatha wurde die Versöhnung mit allen Menschen – gewissermaßen am Stamm des Kreuzes wie in einer himmlisch-notarielle Urkunde – eingeschrieben. Aber diesen Freispruch sollte jeder nach Möglichkeit auf Erden auch annehmen und sich ebenso mit dem Schöpfer aller Dinge versöhnen. Dabei muss man aber berücksichtigen, dass eines der wichtigsten Geschenke neben unser Gabe zur Liebe und Empathie darin besteht, dass wir eine völlige Freiheit haben. Auch daher andere Lebensinn-Angebote der Konkurrenz zu nutzen, uns vielleicht statt für das Gute für das Böse und Destruktive zu entscheiden – oder in summa sumarum nicht für sondern gegen Gott. Der ist nämlich wie jemand der uns einen Rettungsring zuwirft und den sollte man auffangen. Natürlich hat jemand wie Gott unendliche Möglichkeiten, dass sich alle Menschen mit ihm freiwillig versöhnen. Denn sonst hätte Jesus nicht die Wichtigkeit betont, dass er nicht zu kommen ist zu richten, sondern zu erlösen. Aber wie der Himmel dies praktizieren will, ist nicht mehr unserem gedanklichen Zugriff möglich. Dies ist so unmöglich wie eine Formel für alles, die alles erklärt oder wegerklärt, Gott, das Ewige Leben, warum wir hier sind und welcher Sinn Leid und Tod haben.

    Der Mathematiker Frank J. Tippler schrieb vor Jahrzehnten den Welt-Bestseller unter dem Titel „die Physik der Unversterblichkeit“. Aber all dieses Komplizierte an diesem Werk lässt sich fast einfach erklären: Das riesige fast unendliche Universum ist wie ein gigantischer Computer, in dem unsere und die Quantenzustände aller Lebewesen und auch der Pflanzen gespeichert sind. Wenn das Programm zum Ziel kommt, also das Universum den Omagapunkt erreicht, werden diese Dateien im Universalrechner einfach wieder hochgeladen, zum Paradies und ewigen Leben. Diese Gedanken ist aber bereits uralt. Es gab auch den Thriller „die Welt die Draht“ mit der Botschaft, in Wirklichkeit seien wir auch selbst nur computergeneriert“, wie etwa 1980 dieser Film auf Absurdistan einschwörend unterhalten wollte. Leider existieren heute auch Ablenkungen, die keine Zerstreuung bewirken wollen, sondern uns in Form von Verschwörungstheorien mit abstrusen Ideen beeeinflussen möchten. Wer etwa verbreitet, hinter der Weltbühne würden böse und geheimnisvolle Mächte ihre Drähte ziehen und uns ihren Willen aufzwingen, der untergräbt bei Leichtgläubigen und Menschen mit extremen Weltanschauungen deren Bereitschaft, mit anderen Menschen in der Gesellschaft zu kooperieren. Mitunter sind Verschwörungsüberzeugungen gut geeignet, Feindschaft zu erzeugen, das Vertrauen in Ehrenamtliche und Berufspolitiker zu zerstören, vorallem in dem sie eine eigene – wenn auch absurde – Meinung vertreten und diese mit Wahrheit verwechseln. Nicht einmal etwas andere zu denken und zu tun ist schlimm, sondern sich von falschen Propheten verführen zu lassen. Ob ich ins Kino, Konzert oder sonstwo meine Zeit genieße, dürfte kein Problem sein. Den Kopf frei zu bekommen, nicht für immer sondern nur für den Moment, ist durchaus sehr gesund.

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