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Reicht es nicht aus, ein Mensch zu sein?

Out of the Box – Weil wir wunderbar gemacht sind

Die zweiwöchentliche Kolumne von Tom Laengner


Kleine Dinge können manchmal große Wirkung haben. Dies gilt gerade für das Thema Menschlichkeit, meint Tom Laengner.

Es gab Zeiten, in denen ich mit dem Namen „Bach“ in erster Linie den Friseur meiner Kindheit auf der Überruhrstrasse in Essen verband. Schande über mich! Aber um qualifiziertes Wissen über klassische Musik habe ich mich bis heute nicht bemüht. Ich weiß, dass eine Geige vier Saiten hat und noch weit mehr Bogenhaare. Gezählt habe ich diese leider nie.

Und da habe ich doch neulich ein Konzert des legendären Herbert von Karajan im Fernsehen geschaut. Was mich umgehauen hat, war seine Arbeit mit dem Taktstock. Der wiegt nur wenige Gramm und ist so lang wie ein Lineal. Doch wie viel Berührendes und Freude kann er schaffen. Und wie viel Musiker kann ein Orchesterchef mit seinem zerbrechlichen Stöckchen zu etwas Wundervollem anleiten! Dabei ist er so winzig, dass er sich in einem Altbau zwischen zwei Dielenritzen verlieren kann. So zierlich ist er. Und dann diese enorme Kraft! Wie wunderbar!

Ungefähr da ploppte ein Gedanke in mir auf, den Jesus mal geäußert hat: „Nur wer im Kleinen treu ist, wird es auch im Großen sein“.

Zeit ist wichtiger als Geld

In dem Text ging es ihm wesentlich um den Umgang mit Geld. Aber vielleicht ging es dem Mann aus Nazareth auch um die Wertschätzung der Dinge, die allgemein unscheinbar sind und leicht übersehen werden.

Größe und Wachstum müssen schließlich keine zwingenden Kategorien für mehr Qualität sein. Ich denke zum Beispiel an Beförderungen im Berufsleben. Sind die immer ein Geschenk Gottes? Ist ein muskulöser Dienstwagen, der mit den Augen zwinkert, ein Segen von oben? Wohin führt ein Aufstieg eigentlich? Vielleicht zu noch mehr „Qualitätszeiten“ vor dem Hotel-PC. Und der Druck gäbe Vollgas. Ach ja, was ist mit den Menschen, die wir am meisten lieben? Begeistern wir die mit noch mehr Geld? Oder sind gemeinsam verbrachte Zeit und ein aufrichtiges Ohr nicht die höheren Trümpfe zur erfüllenden Pflege von Beziehungen?

Kann gut sein, was nicht glänzt?

Während Karajan seinen Taktstock schweben lässt und die Musik flirrt, sinne ich weiter nach: Treue im Kleinen. Weder scheint sie gedacht als Instrument in den Händen kirchlicher Machtmenschen noch als christlicher Karrieretipp. Im Sinne von klein anfangen, um dann ganz groß rauszukommen. Und Jesus war kaum ein Promoter der westlichen Leistungsgesellschaft. Ist es nicht ein Mythos zu glauben, dass jeder Mensch, der viel leistet, auch viel dafür erhält? Mittlerweile könnte uns bewusst sein: Menschen im globalen Süden leisten viel, damit wir uns soviel leisten können.

Auf der Suche nach dem, der im Kleinen Treue zeigt, schweben meine Gedanken auf den Münsteraner Markt. Da begegnete meine Frau einem Händler, der regionale Obst- und Gemüsesorten vertreibt. Der Mann setzt auf Qualität, nicht auf Optik. Viele Menschen sind skeptisch, sie zaudern. Kann gut sein, was nicht glänzend aussieht? Einer der Zweifler ist ein stadtbekannter Unternehmer. Ihm schenkt unser Freund einen Apfel, damit „er mal was richtig Leckeres schmeckt“. Dann ist es mal selbst gekochtes Kompott, „weil der sich sowas doch nie kaufen würde“.

Was mich rührt, ist, dass der Marktmann nicht den wohlhabenden Geschäftsmann sieht. Er sieht den Menschen. Nicht mehr und nicht weniger. Und das tut er immer wieder aufs Neue. Darin ist er treu. Kleiner gehts nicht, finde ich. Könnten Menschen das von mir auch sagen, frage ich mich? Und was könnte ich tun, um das zu ändern? Die Treue im Kleinen erscheint mir wie ein Muskel, der trainiert werden will.

Es dämmert allmählich, als Herbert von Karajan seinem Taktstock Ruhe gönnt. Er hinterlässt mich nachdenklich. Treu darin zu sein, im Menschen einen Menschen zu sehen und respektvoll mit ihm umzugehen. Das hätte schon was!

Der Friseur meiner Kindheit hat mir übrigens immer einen kurzen Faconschnitt verpasst. Wahrscheinlich waren für den kleinen Preis keine langen Haare drin. Und der Marktmann? Dem schenkte der Unternehmer eines Tages und ohne großes Tamtam eine Obstpresse für die Plantage, obwohl es dem Gemüsemann um sowas nie gegangen ist.

Alle Kolumnen von Tom Laengner findet ihr hier.


Tom Laengner ist ein Kind des Ruhrgebiets. Nach 20 Jahren im Schuldienst arbeitet er journalistisch freiberuflich und bereist gerne unterschiedliche afrikanische Länder. Darüber hinaus arbeitet er als Sprecher für Lebensfragen und Globales Lernen. In seiner Kolumne „Out of the Box – Weil wir wunderbar gemacht sind“ schreibt er regelmäßig über Lebensfragen, die ihn bewegen.

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2 Kommentare

  1. Begegnung auf Augenhöhe

    Die kleinen Dinge zu lieben, auch im Detail des Lebens Werte zu leben, scheint mir viel Sinn zu machen. Auch in der Uralt-Geschichte des Turmbau zu Babel ging es überhaupt nicht (nur !!) darum, mit den Höhe eines Turmes den Himmel zu erreichen und dann einen deshalb eifersüchtigen Gott zornig zu machen. Diese Erzählung berichtet von unserer Realität, auch der modernen. Es sind die überzogenen Hierarchien, allerdings auch in kirchlichen Institutionen. Sowie die leitenden Menschen, die nicht selten wie in einem Elfenbeinturm thronen. Angebliche und wirkliche Macht kann sehr einsam machen.

    Ich erlebte es wie man in mehreren Ausschüssen, und auch mittels bestimmter Gesprächsmethoden, die Abflachung von Hierarchien in der Diakonie voranbringen wollte. Nach mehreren Jahre war das Ergebnis geradezu entgegengesetzt: Mehr Zentralismus. Kein Vorstand und keine anderen Leitungsorgane möchten gerne ihre eigene Macht reduzieren. Auch nicht Staaten und Regierungen und schon gar nicht die undemokratischen Herrscher unserer Tage.

    Das Programm Jesu war jedoch ein ganz anderes: „Wer unter euch groß sein will, der sei euer aller Diener“! Es kommt zentral auf innere Größe an. Die äußere Größe, auch manche Beförderung, nicht umsonst „Aufstieg“ genannt, kann uns vom gewöhnlichen Fußvolk entfernen. Menschen die miteinander ein Team bilden, denen auch bei bescheidenen bzw. niederen Tätigkeiten eigene Kompetenz und Selbständigkleit geschenkt wird, sind nachgewiesener Weise nicht nur produktiver und motivierter, sondern praktizieren ein viel besseres Miteinander. Vor allem bei uns Christen ist die Geschwisterlichkeit ein angebrachtes Ideal, aber oft wird sie einfach nicht gelebt. Dabei kostet sie kein Geld, niemand benötigt dafür mehr Bürokratie und es müssen keine neuen Vorschriften erfunden werden. Menschlichkeit, ein Stück weit aber jene die Jesus vorlebte, ist heute auch vielerorts vonnöten. Dass sich Menschen auf Augenhöhe begegnen, ist oft schon ein großer Wert an sich. Wenn es mehr geschehen würde, wären wir auf Erden schon fast wie im Paradies. Meine Ev. Kirche ist in keiner Hinsicht vollkommen, ideal und es menschelt auch in negativer Hinsicht. Allerdings kann man ihr nicht unbedingt nachsagen, in ihr herrsche nicht ausreichend Demokratie, Meinungs- und Gedankenfreiheit, auch über Glaubensfragen. Auch im Bäume im Wald wachsen nicht wie Kunsttannen. Gottes Kirchen und damit sein Bodenpersonal dürfen deshalb die Buntheit eines Biogartens wiedergeben. Eben weil wir verschieden sind und auch so sein dürfen. Sonst wäre es sehr langweilig. Auch wenn alle gleichgeschaltet denken und ticken.

  2. Hey, du groovst dich ein! Das ist eine wunderschöne Kolunme. Ich lass den Fehler mal, der ist schön. Ja, toll, dass Jesus uns das gezeigt hat, wie Gott sich das vorgestellt hat mit dem Menschsein.
    Liebe Grüße!

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