Out of the Box – Weil wir wunderbar gemacht sind Die Kolumne von Tom Laengner

Out of the Box – Weil wir wunderbar gemacht sind Die Kolumne von Tom Laengner

Out of the Box – Weil wir wunderbar gemacht sind
Die Kolumne von Tom Laengner

Was fehlt eigentlich, wenn die Kritik fehlt?

Egal, ob Fußball oder Nachhaltigkeit: Immer muss in Deutschland kritisiert werden. Tom Laengner hält das für schädlich.

Beim Auerwirt ist der Blick auf die hochwertige Alpenlandschaft umsonst. Dafür kostet die Buttermilch, betont schlicht ganz in Weiß,  3,50 Euro. Jonas konnte das kaum glauben. Trinkt der schon wieder Buttermilch! Eine neue Dimension des Trinkgenusses oder einfach nur zum Totlachen? Hatte ich doch diese Milchvariante bereits vor vier Tagen auf der Fischunkelalm am Königssee bestellt. Wir waren insgesamt zu siebt zum Urlaub in Berchtesgaden. Hätten wir alle stets frank und frei unsere Meinungen kundgetan, dann hätte es mindestens acht unterschiedliche gegeben. So verschieden waren wir. Wenn nicht noch mehr!

Und dennoch: Ich hatte unsere wunderschönen Erlebnisse und intensiven Gespräche vor Augen. Da rollten meine Frau und ich bereits in Richtung Ruhrgebiet auf der A70. Ungefähr bei Bamberg stellte dann eine weibliche Radiostimme den FC Internationale vor. Amateurverein aus Berlin-Schöneberg. 1.300 Mitglieder. Fußball aus der sechsten Liga. Das klingt schon ein bisschen nach: „Was soll aus Nazareth Gutes kommen“, nicht wahr?

Schwer beeindruckt, aber …

Ein paar Momente später waren wir jedoch froh, dem Kanal die Treue gehalten zu haben. Den Zukunftspreis der DFB-Stiftungen hatte der Verein im Herbst 2022 gewonnen. Und eben ganz frisch hatte es den „Großen Stern des Sports“ in Gold gegeben. Das ist sowas wie der Oscar des Breitensports. FC Internationale punktet mit Nachhaltigkeit. Der Verein setzt auf Wildblumenwiesen am Vereinsheim, kickt mit fair gehandelten Bällen und diskutiert basisdemokratisch auch über das Bier. Bio sollte es sein und möglichst regional. Der Gedanke schmeckt nicht allen und so wird halt debattiert. Mit Mitgliedern aus 70 Kulturen verspricht das lange Nächte. Bis dahin war ich schwer beeindruckt.

Aber kritischer Radio-Journalismus würde seine Arbeit nicht hinreichend wachsam machen, wenn sich nicht etwas Unperfektes fände. War denn da nicht was mit Mängeln an der Solaranlage? Bingo! Wer hätte das gedacht! Ein für Nachhaltigkeit ausgezeichneter Amateurverein, der nicht perfekt ist! Ist das jetzt eine überraschende Weltneuheit oder soll ich den Mangel zur Inspiration im Ohr behalten? So im Sinne von: „Da siehste es wieder; die kochen alle nur mit Wasser.“ Anschließend kann ich mich mit selbst erteilter Absolution zurücklehnen.

Warum immer diese Kritik?

Also, da habe ich dann doch umgeschaltet und mich gefragt: Können wir vor lauter Kritik überhaupt noch laufen? Als handele es sich um deutsche Folklore, ohne die eine Nation nicht sein kann. Aber was würde denn eigentlich fehlen, wenn die Kritik als ständiger Begleiter fehlt?

Die deutsche Nationalmannschaft hatte am Vorabend gegen Sambia verloren. Bloß weil die dunkelgrüne Trikots tragen, bedeutet das doch nicht, dass die nicht wissen, dass das Runde ins Eckige gehört. Mit dem 3:2 von Kapitänin Barbra Banda in der zwölften Minute der Nachspielzeit hatten die Frauen aus Zentralafrika den Ball einmal mehr über die Linie transportiert. Dazu meinte das ZDF: „Mit einer herben Enttäuschung im Gepäck reisen die deutschen Fußball-Frauen zur WM.“ Ich hoffe für die Frauen, dass sie die Enttäuschung zu Hause lassen. Meine Erfahrungen dieser Art regen mich selten zu neuen Heldentaten an. Ob das bei einer WM anders ist, wage ich zu bezweifeln.

Die deutsche Trainerin musste noch den Hinweis loswerden, dass „die Fehler sehr effektiv bestraft“ worden seien. Das tut mir für die Mädels doch sehr leid. Wozu muss ich das als Trainerin öffentlich herausposaunen, worunter die Spielerinnen ohnehin leiden?

Nur Positives

Als wir unsere Abschiedsrunde in Berchtesgaden hatten, kamen uns nur positive Dinge in den Sinn. Das war bestimmt nicht sehr kritisch. Hätten wir nicht ein Haar in die Suppe legen müssen, wenn wir schon keines gefunden hätten? Allein in Anerkennung der Kritik als klassischem Bestandteil deutscher Folklore. 

Aber so, wo alles nur in einem milden Licht erschien? Ja, so können wir uns vorstellen, wieder einmal zusammen etwas Wunderbares zu unternehmen. Und wie gesagt: Wir waren sieben Leute aus drei Generationen, mit mindestens acht Meinungen. Da spielte die Buttermilch nur eine Statistenrolle.

Out of the box - weil wir wunderbar gemacht sind

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Tom Laengner

Tom Laengner ist ein Kind des Ruhrgebiets. Nach 20 Jahren im Schuldienst arbeitet er journalistisch freiberuflich und bereist gerne afrikanische Länder. Darüber hinaus arbeitet er als Sprecher für Lebensfragen und Globales Lernen.

In seiner Kolumne „Out of the Box – Weil wir wunderbar gemacht sind" schreibt er alle 14 Tage über Lebensfragen, die ihn bewegen.

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2 Kommentare

  1. Lieber Tom,

    mir sind Menschen suspekt, die keine Kritik mögen. Kritik ist etwas positives. Kritik ist sogar oft positiv. Ein Buchkritiker, der ein Buch in den höchsten Tönen lobt, übt damit auch Kritik.

    Es gibt immer mehr Menschen, die wenn man ihre Aussagen kritisiert, sagen, dass man nichts mehr sagen darf (obwohl sie es dauernd machen). Sie können die Normalität von Kritik gar nicht mehr verstehen.

    Wenn ich deinen Text so lese, denke ich, Du meinst auch gar nicht Kritik. Du meinst ’nörgeln‘. Und dann hättest du Recht.

  2. Immer muss in Deutschland kritisiert werden. Tom Laengner hält das für schädlich. Meint er das so , oder eher das Gegenteil ? Ich glaube der Theologe Paul Tillich war es, der vor langer Zeit postulierte: „Wichtig ist, was mich unbedingt angeht“! Der Vorrang des Unbedingten scheint mir im Glauben und damit im Vertrauen auf Gott unbedingt Priorität zu haben. Gottesliebe ist nur glaubhaft, wenn sie Menschlichkeit generiert.

    Sieben Menschen haben über ein gleiches und möglicherweise relativ unwichtiges Themen bisweilen 12 Meinungen. Da ist es schon eher wie bei einigen Politikern, die im Wahlkampfmodus gerne nicht nur zuspitzen, sondern auch vereinfachen und an den Stellschrauben von Wahrheit und Klarheit drehen. Da will uns dann angeblich die moderne Partei mit einer gesunden Naturfarbe nicht nur umerziehen, sondern geht uns auch mit dem „gendern“ auf den Geist. Dabei ist doch ein solides, unaufgeregtes und hilfreiches Befassen mit der Thematik der Sexualität gegenüber jungen Menschen von hoher Wichtigkeit. Vielleicht gerade dann, wenn wir doch unabhängig von der politischen Richtung, die Werte mehr noch als die Normen, (wertkonservativ) für wichtig halten. Der Streit in der Politik, wenn sie auch nur funktionieren kann mit guter Friedlichkeit und der Absicht einer Kompromissfähigkeit, scheint mir wesentlich zu sein. Niemand kann eigene Widersprüchlichkeit verhindern, wenn er einerseits die Demokratie für einen wichtigen Wert hält, andererseits aber genevt wird durch den meist vielfältigen Meinungssalat, der dann in mancher Seele widerhallt wie das Geschnatter der Enten auf dem Bauernhof.

    Doch oft regen mich die schief hängenden Bilder an den Wänden leider mehr auf als die in unmenschlichen Kriegen sterbenden Menschen. Oder wenn Menschen wegen ihrer sexuellen Orientierung, des Glaubens, der Hautfarbe oder der Herkunft nur noch mit Hass, Häme und auch Spott überzogen werden. Selbstverständlich funktioniert in Kirche und Staat nicht alles einfach und holzschnitzartig bei einem falsch-banalen Weltbild. Alles hat zwei oder mehr Seiten. Doch manche Reden Jesu sind immer noch hoch aktuell. Etwa sich auch gezielt manchmal zu beschränken auf das eindeutige Ja-ja-sagen, oder auch das klare Nein-nein-antworten. Wenn ich mir eine Auffassung und hoffentlich eine feste Meinung zugelegt habe, dann sollte sie eine gewisse Nachhaltigkeit haben. Was Politik im Auge des Betrachters im grundsätzlichen unbeliebt macht ist der oft durchsichtige Versuch, die Fakten sowie die Deutung der Wirklichkeit immer wieder so zu ändern dass es passt, um dem geneigten Wähler die eigene Wiederwahl nicht abspenstig zu machen. Natürlich kann ich mich irren und ich tue es wie jede/r auf Erden ständig.

    Deshalb kann es keine absoluten Wahrheiten geben und auch gesellschaftliche Normen sind nicht über Jahrtausende unveränderbar, es sei denn wir lernten sozial nicht mehr dazu. Dass die Kriege morgen alle aufhören ist zwar biblische Prophetie, aber steht wohl Anfang des 21. Jahrhunderts noch nicht auf der himmlischen Agenda. Aber auch wenn wir den Klimawandel nicht endlich so entschlossen anpacken als wenn wir wirklich die Letzte Generation wären, wird uns allen das Wetter völlig aus den Fugen geraten. Gott wird uns nur retten, wenn wir dazu unsere Mitverantwortung für die irdische Schöpfung an die erste Stelle jeder Prioritätenliste setzen. An zweiter Stelle kommt der Frieden, weil der Atomkrieg möglicher wird.

    Natürlich sind Leute die sich auf Straßen festkleben oder gar einbetonieren lassen nicht der Inbegriff eines Bemühens, Solidarität vor allem für die Klimarettung zu generieren. Aber sie ebenfalls nur mit Hass und dem Strafrecht zu überziehen scheint mir nicht dazu angetan zu sein die Rüge des Bundesverfassungsgerichtes wirklich ernst zu nehmen, dass die gewählten Vertreter*innen des Volkes nicht den Knall wirklich gehört haben. Der politische Streit muss sein, wenn auch friedlich, aber er sollte doch in jenem Bereich absolut eingestellt werden, wo es wirklich um unser aller Überleben auf diesem Planeten geht.

    In Sachen Klima ist eine so erlaubte und notwendig empfundene Allparteienkoalition durchaus ein sehr bitter schmeckendes Heilmittel. Aber man sollte den aktuellen Elefant in unserem Porzellanladen, der sich eindeutig immer rechtsradikaler und absolut unsachlich generiert, nicht noch bestärken und noch mehr destruktiv streiten in Existenzfragen. Eine Partei die eine schwarze Null an allen Lösungsvorschlägen beiträgt und sich schlimmer benimmt als jeder Teenager in der Hochzeit des Erwachsenwerdens, sollte man für die Infantilität nicht noch belohnen. Eher wäre die Haltung: Wir nehmen euch erst wieder ernst und reden mit euch, wenn ihr euch anständig benehmt. Man darf bei Gefahr im Verzug durchaus in Kirche und Welt die Tische der Wechsler im Tempel umwerfen, aber nicht die Menschen die auf den Stühlen sitzen. Vor allem dann, wenn es um die furchtbare Katastrophen geht, die irgendwann nicht mehr abwendbar sind. Dann hätten wir lieber ja ja oder nein nein gesagt – also seien eindeutig gewesen. Die Klimakleber sind keine Terroristen und mit Kanonen auf Spatzen zu schießen lässt kein einziges Windrad entstehen und freut nur die AfD. Auch wer in den Neuen Bundesländern die Rechtsaußenpartei noch überholen zu versucht, landet schnell dabei im Graben.

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