19 Paare haben am 22.2.2022 im Lübecker Dom spontan geheiratet oder wurden gesegnet. Die Skepsis war groß: Wird Segen unter Wert verkauft? Nehmen die Leute das ernst?
Die Idee: Spontane Trauungen und Segnungen für Paare an einem besonderen Datum. Ein bisschen Zeitaufwand. Ein wenig Deko. Viele helfende Hände. Das Ergebnis: acht verheiratete Paare. 13 Segnungen. Viele unfassbar glückliche Menschen. Ganz, ganz viel Segen.
„Wie ich soeben im Radio erfahren habe, besteht die Möglichkeit, am 22.2. unser Eheversprechen zu erneuern?“ Erste zaghafte Anfragen trudelten ein. Eine Woche vor dem großen Tag konnten wir uns vor Anfragen kaum retten: „Im Internet bin ich über Ihr Angebot für die spontane Trauung am 22.2. gestolpert. Wir sind schon standesamtlich verheiratet und haben drei wundervolle Kinder, aber der kirchliche Segen fehlt uns. Ist es wirklich so, dass man an diesem Abend einfach vorbeikommen kann?“
„Reinkommen und heiraten“
„Drop-in-vigsel“ und „Drop-in-dop“ steht in Schweden oft an Kirchen: „Reinkommen und heiraten“ oder „Reinkommen und taufen“. Dort ist das Format etabliert. Menschen können spontan heiraten oder Taufe feiern. Inspiriert davon kam die Kollegin von der Kasualagentur „segensreich“ des Kirchenkreises Lübeck-Lauenburg zu uns: Der 22.2.2022 sei für viele Menschen ein perfektes Hochzeitsdatum. Auch das Standesamt würde sich auf einen besonderen Andrang einstellen – ob wir mitmachen wollen?!
Die Skepsis kirchlicher Insider war groß: Verkaufen wir Segen unter Wert? Müssen wir uns so anbiedern? Nehmen die Leute das ernst? Wo bleibt bei einer Fließband-Segnung das persönliche Gespräch? Können wir in so kurzer Zeit Beziehung mit den Paaren aufnehmen? Nehmen Menschen ein einmaliges Event mit und tauchen danach nie wieder auf? Trotz aller Fragen und Zweifel überwogen Neugier und Zuversicht: Wir probieren es einfach!
Am meisten gestrahlt hat dabei der Küster: „In einer alten Kirche sind viele Sachen vorgegeben und immer gleich. Aber das gab es noch nie. Das macht richtig Laune!“ Ihn hat die Idee sofort überzeugt. „Wir müssen das richtig schick machen. Zu viele Kerzen kann es an dem Tag gar nicht geben!“ Er besorgte tatsächlich unzählige Teelichter und Kerzen, rote und weiße Herzluftballons, Stehtische mit festlichen Hussen (Überzug; Anm. d. Red.) sowie Schoko-Herzen.
Die „segensreich“-Kollegin organisierte eine Hochzeitssängerin samt befreundetem Organisten. Die beiden hatten ein Repertoire im Gepäck, das die Paare als Wunschliste zum Ankreuzen ausgehändigt bekamen. Eine Fotografin hatte verschiedene Schilder mit dem besonderen Datum und „Just married“ vorbereitet, mit denen die Paare sich fotografieren lassen konnten.
Kommt wirklich jemand?
Die Sekretärin nahm alle Daten für die Kirchenbücher auf und stellte umgehend die Urkunden aus. Dafür hatten wir verschiedene Stationen außerhalb des Kirchenraumes aufgebaut. Das war ideal, um die Wartezeit für die Paare zu überbrücken.
Aufregung, Zweifel, Spannung. Wie viele Paare würden tatsächlich vorbeikommen? Wie viele Trauungen und Segnungen würden wir anbieten können?
Auch Kirchenferne und Ausgetretene dabei
Die 20-minütigen Gottesdienste für ein bis drei Paare (Trauungen und Segnungen im Wechsel) haben wir zu dritt abwechselnd mit gemeinsamer Kurzliturgie gehalten. Gekommen sind Menschen aus der Kerngemeinde, Urlauber, Paare aus dem ganzen Bundesland, Kirchenferne, Ausgetretene, Konfi-Eltern und Menschen, die einfach keine Lust hatten, mit ihrem Hochzeitsfest die Erwartungen anderer zu erfüllen.
Mit allen 19 Paaren ergaben sich ganz berührende Gespräche und ganz besondere, stimmungsvolle Gottesdienste. Fast alle haben sich hinterher wieder gemeldet: haben Fotos geschickt, sind zur Osternacht aus anderen Städten angereist, haben Briefe geschrieben: „Wir wollten uns ganz herzlich bedanken für diese wunderschöne Trauung. Wir hatten beide eine Gänsehaut, und es war ein weiteres Highlight in unserem gemeinsamen Leben. Von der schönen Musik über den mit Kerzenlicht beleuchteten Dom bis hin zu Ihren berührenden Worten hat alles gestimmt. Wir haben es uns nicht annähernd so schön vorgestellt. Vielen Dank, dass Sie uns das ermöglicht haben!“
„So wird Kirche zukunftsstark.“
Diese und ähnliche Rückmeldungen ermutigen uns, dieses Format fortzuführen. Vielleicht ja schon am nächsten Valentinstag? Vor allem diese Nachricht bestärkt uns darin: „Wir möchten uns sehr herzlich für die wunderbare Idee des Segnens in dem neuen Format und die Durchführung bedanken. Es war wunderbar gestaltet. Wir haben uns mit hineinnehmen lassen in diese schöne Atmosphäre mit Kerzenschein, spirituellen Gedanken und Worten und schöner Musik und wurden tief berührt. Wunderbar. So wird Kirche zukunftsstark.“
Margrit Wegner ist Pastorin am Dom zu Lübeck und hat mit ihren Kolleginnen und Kollegen die Segnungs- und Traugottesdienste am 22.2.22 entwickelt und durchgeführt.
„Verkauft“ ist der richtige Ausdruck. Wie billig wird’s denn noch?
Kirche traut Paare spontan
Eine wunderbare Idee. Das Argument hier werde Segen unter Wert verkauft, halte ich nicht für logisch. Denn auch in der üblichen Länge von der Anmeldung bis zum kirchlichen Segen für die Ehe ist es praktisch nicht möglich, dass man Menschen ausschließen kann, die dies aus reiner Tradition tun. Warum sollte dies etwa bei einer spontanen Segnung bzw. Trauung anders sein ? Im Gegenteil: Vielleicht sind es hier vorwiegend jene Menschen, die eben positiv zu eigenem Vertrauen in Gott gerade dies durch die Spontanität untermauern möchten. Allerdings ist ja auch die Taufe keine Impfung gegen die Erbsünde, weil diese keine Krankheit ist und nichts, was irgendwie zu heilen wäre. In die Taufe muss man genauso mit seinem Leben eintreten wie in den Segen, welche die Evangelische Kirche Menschen gibt, die in Zweisamkeit zusammen leben möchten. Der Segen ist ein Zeichen, aber keine magische Kraft. Der Segnende gibt hier die begleitende Barmherzigkeit und Liebe sinnbildlich weiter, die der Himmel für jede und jeden bereit hält. Es macht dabei – meiner Meinung nach – überhaupt keinen Unterschied, ob nach katholischer Überzeugung die Ehe ein Sacrament ist, aber die Heirat eine weltliche Angelegenheit. Das mindert dabei nicht den Segen. Spontane Trauungen und/oder andere Segnungen sind auch wohltuende Handlungen und damit Möglichkeiten, auch die Zärtlichkeit Gottes zeichenhaft weiter zu geben.