Out of the Box – Weil wir wunderbar gemacht sind
Die Kolumne von Tom Laengner

Wie werde ich hundert Jahre alt?

Durchgetaktete Tage garantieren weder ein langes, noch ein erfülltes Leben, weiß Tom Laengner. Inspiration holt er sich bei Jesus, einem Skispringer und den „Ritchie Boys“.

Sei ehrlich: Du kennst die Ritchie Boys auch nicht, oder? So nannte sich eine Gruppe meist junger, deutschsprachiger Geflüchteter. Sie waren dem Dritten Reich entkommen und wurden im Camp Ritchie im US-Bundesstaat Maryland ausgebildet, um anschließend für den militärischen Nachrichtendienst am Zweiten Weltkrieg in Europa teilzunehmen. Einer von ihnen war Günther „Guy“ Stern aus Hildesheim. Stern wurde später Professor für Literaturwissenschaften und lebte in Detroit. Mitte Januar 2022 veröffentlichte er seine Autobiografie. Während einer Autofahrt hörte ich auf WDR 3 ein Interview mit ihm. Ich war zutiefst überrascht. Stern war nämlich gerade 100 Jahre alt geworden! Statistisch gesehen haben Menschen in diesem Alter für ein solches Werk nicht mehr die nötige Energie. Stein offenbar schon. Er genehmigte einer Statistik nicht die Deutungshoheit über sein Leben. Eine kluge Entscheidung.

Und ich selber? Ich komme aus einer Familie, in der die Großeltern wie aus Prinzip recht früh gestorben sind. Opa Ferdinand zum Beispiel: Eine Steinstaublunge brachte ihn unter die Erde, bevor er seine silberne Taschenuhr richtig aufziehen konnte. Die hatte er von der Bergwerksdirektion für sein Lebenswerk in Staub und Dreck erhalten. Seine Frau war nie unter Tage eingefahren. Das war ihrem Darmkrebs egal. Ergraut verließ meine Oma ihre Bismarckstraße im Alter von 60 Jahren. Statistisch gesehen ist das eine Ansage. Doch ich halte es da lieber mit Guy Stein und seiner Lebenshaltung zur Datenauswertung für Hundertjährige.

Jeden Tag für sich leben

Wie werde ich nun selber hundert Jahre alt? Von den Ritchie Boys kann ich ein langes und erfülltes Leben nicht mehr lernen. Und ehrlich gesagt weiß ich nicht, ob ich überhaupt so unfassbar alt werden will. Mit diesen Gedanken stolperte ich in den Skisprung-Weltcup im polnischen Zakopane hinein. Da überflügelt Stefan Kraft aus Österreich durch seinen 37. Sieg gerade den finnischen „Skisprung-Gott“ Janne Ahonen. Krafts Geheimnis: Sport ist mehr als eine Trophäenjagd, jeder Sprung für sich ein Ereignis. Meine Lehre daraus: Ich lebe vertrauensvoll den einzelnen Tag. Das finde ich gar nicht so einfach. Ein voller Terminkalender und dicht getaktete Tage garantieren noch lange kein erfülltes Leben. Nicht einmal einen einzelnen Tag!

Außerdem birgt unser Leben jede Menge Unwägbarkeiten. Vor 27 Jahren suchte ich einen Arzt auf. Der seufzte und sagte es dann frei heraus. Meine Blutwerte seien schlecht. Er würde sich nicht wundern, wenn ich auf der Stelle tot umfallen würde. Das ließ ich mal bleiben. Stattdessen fing ich mit dem Joggen an. Was aus meinen Blutwerten wurde, weiß ich gar nicht. Aber ich bin noch da! Wie lange noch? Keine Ahnung. Schon Jesus sagte: “Wer von euch kann durch Sorgen sein Leben auch nur um einen Tag verlängern?“ Der Mann hatte es unvergleichlich drauf und dabei nicht einmal studiert.

Mein persönlicher Held

Vor Jahren entdeckte ich beim Lesen der Bibel schließlich meinen persönlichen Helden: Kaleb. Dieser Kaleb war beim Aufbau seiner Nation von Anfang an dabei. Er hatte schon Unglaubliches mitgemacht, als er in hohem Alter aufhorchen ließ: „Ich bin heute fünfundachtzig Jahre alt und bin noch heute so stark, wie ich an dem Tage war, da mich Mose aussandte. Wie meine Kraft damals war, so ist sie noch jetzt!“ Alter Verwalter! Mich erinnerte das immer an meine Freundin Klara. Die zeigte sich immer leicht genervt, wenn sie in diesem Alter zu Kaffee und Gebäck in den Seniorenkreis eingeladen wurde. Was sie da denn solle? Das wusste ich auch nie und fragte sie für Wichtigeres um Rat.

Mir machen solche Geschichten Mut. Ich bin zwar nicht naiv genug, um zu glauben, dass ein Leben planbar und buchbar ist wie ein Mallorca-Urlaub. Mit Rechtsanspruch auf gute Behandlung, milde Brise und angemessen temperierte Cocktails. Aber ist es nicht, wie meine Frau sagte, als sie erleichtert und mit frischen Gedanken in die Küche trat: „Die Ärzte sorgen sich um meine Krankheit. Ich selber kämpfe für meine Gesundheit!“ Amen dazu!

Guy Stein starb am 7. Dezember 2023. Er wurde 101 Jahre alt. Mit Verblüffung habe ich ein aktuelles Foto gesehen. Wenn ich mit 80 so aussehe wie der Ex-Ritchie Boy mit 100, wäre das für mich ein Grund zu großer Freude.

Out of the box - weil wir wunderbar gemacht sind

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Tom Laengner

Tom Laengner ist ein Kind des Ruhrgebiets. Nach 20 Jahren im Schuldienst arbeitet er journalistisch freiberuflich und bereist gerne afrikanische Länder. Darüber hinaus arbeitet er als Sprecher für Lebensfragen und Globales Lernen.

In seiner Kolumne „Out of the Box – Weil wir wunderbar gemacht sind" schreibt er alle 14 Tage über Lebensfragen, die ihn bewegen.

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4 Kommentare

  1. Jeder hat zum Ende des Lebens so seine eigenen persönlichen Gedanken. Ich bin fast 88 Jahre alt und erschauere selbst beim Anblick dieser Zahl und sage oft: ich weiß garnicht wer mir all meine Jahre gestohlen hat. So kommt es mir vor. Ich befinde mich nun in einer Welt die ich nicht mehr verstehe und sage mir: sollte das alles gewesen sein? Unmöglich! Ich vertraue meinem Schöpfer und seinen Verheißungen und bitte ihn um einen guten Tod so wie ihn mein Mann geschenkt bekommen hat. Er hat ihn nichtmal wahrgenommen. Gott helfe mir, ich bin immer mit ihm verbunden und das ist so tröstend im Alter.

    • Vielleicht liebe Rosemarie Schmick ist es so, dass wir alle mit zunehmenden Alter das Gefühl haben, die Zeit würde uns durch die Finger rollen. Das sagen Sie ja auch, vielleicht sogar etwas humorvoll „ich weiß garnicht, wer mir all die Jahre gestohlen hat“.

  2. Es fängt mich jemand auf

    Manche Leute werden sehr alt, sind dabei geistig immer noch fit, sowie nicht selten auch körperlich. Andere wie ich die 74 Jahre alt werden, hassen bereits die vielen Treppen die sie laufen müssen, wenn ein Lift nicht eingebaut wurde. Vielleicht müssen wir uns als Christinnen und Christen daran gewöhnen, dass dieser schöne Planet, die wir unbedingt schützen müssen, trotzdem nur ein Umsteigebahnhof zur Ewigkeit darstellt. Wir gehen eines Tages, der bald kommen kann, wieder zu Gott zurück. Manchmal habe ich den Eindruck, wenn man den Mitmenschen zuhört die sich sogar als sehr gläubig betrachten, dass der Zweifel an der Ewigkeit des Lebens mit Gott wohl schwer zu glauben ist und mir oft ausgeblendet scheint. Ich versuche mich mit der Endlichkeit meines Lebens auf Erden abzufinden. Das geht ganz gut, wenn man etwas Freude übriglässt und auch eine gewisse Spannung, was dann folgen wird. Ich bin aber gewiss, aber Ende meines Lebens nicht in Bodenlose zu fallen. Es fängt mich jemand auf. Im übrigen glaube ich nicht, dass am Ende unser aller Leben ein Scharfrichter steht, sondern jemand der alles wieder in Ordnung bringt, was wir so in einem langen Leben angerichtet haben. Ich denke, es gibt kaum jemand, der keine Leichen im Keller hat. Wenn Gott besser ist als unsere weltlichen Eltern, dann wird er uns korrigieren, also wieder neu (aus-)richten, aber nicht hinrichten. Gut, wenn wir uns hier auf Erden bereits mit Gott versöhnten, ohne dass wir hierdurch je perfekt sein könnten. Perfekte Menschen vergessen, dass sie Sünder sind. Nicht perfekte Menschen können ebenso vergessen, Sünder zu sein. Dafür hat aber Jesus sein Leben am Kreuz gegeben, damit wir leben können. Gibt es größere Liebe?

  3. Danke, Tom Laengner, für Ihre Kolumnen! Ich lese sie immer mit großer Freude. Mal so ganz anders auf ’s Leben schauen, das tut gut – und macht zuversichtlich! Persönlich will ich trotzdem nicht 100 Jahre alt werden – die Wenigsten werden so gesund alt wie Guy Stein. Gut, daß der Vater im Himmel das entscheidet!
    Schreiben Sie gern fröhlich weiter!
    Herzliche Grüße, Johanna M.

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