Out of the Box – Weil wir wunderbar gemacht sind
Die Kolumne von Tom Laengner

Wo sind die verlorenen Worte?

Die richtigen Worte in schwierigen Situationen zu finden, ist nicht leicht. Tom Laengner begibt sich auf die Suche.

Also, ich solle in den nächsten Tagen einfach mal essen, wonach mich so leckerte, riet der Stationsarzt und klopfte mir butterweich auf die Schulter. Leider hatte ich keinen Appetit. Das lag wohl daran, dass ein Tumor in meinem Darm schwer damit beschäftigt war, dieses mir über Jahrzehnte lieb gewordene Organ dauerhaft zu verschließen.

Mit treffenden Worten scheint es verzwickt zu sein. Der gute Mediziner hatte sich möglicherweise gar keine Gedanken gemacht, welche Wirkung seine Worte auf mich haben könnten. Überdachte Worte hätte ich aber sehr zu schätzen gewusst, denn schließlich war ich ja nicht sein Rollenspielpartner in einer Übung für feinfühlige Patientengespräche. Wenn das Leben mit seinen rauen Seiten anklopft, erlebe ich viele Menschen als überfordert. Doch in meiner Lage hätte ein knuspriger Gänsebraten mit einem noch besseren schweren Roten mich meinem Grab möglicherweise ziemlich nahegebracht.

Ziemlich dummes Zeug

Das ziemlich Richtige und Wohlgemeinte war in meiner Situation leider ziemlich dummes Zeug. Dem Mann in seinem blauen Kittel war ich nicht böse. Denn ehrlicherweise muss ich bekennen, dass ich solche hilflosen Sätze gut kenne. Von mir selber. Für so Vieles habe ich keine Worte oder es sind die Falschen. Wo sind sie nur hin, die verlorenen Worte?

In den sozialen Medien ersetzen wir sie durch Zeichen: Herzen, Krönchen und Pokale. Für die Religiösen gibt es noch gefaltete Hände. Mir hilft das wenig weiter. Indessen hat mich mein Schwiegersohn an meinem Krankenhausbett beruhigt, der wortlos lange meine Hand in der Seinen hielt. Zu Tränen rührte mich der Freund, der mir sagte, dass er mich liebe. Worte und Taten des Herzens tun mir besser als WhatsApp-Blumensträuße. Vielleicht bin ich da ein wenig Old School, aber das stört mich auch nicht.

Auf der Suche nach den verlorenen Worten

Auch frage ich mich, wie ich Verantwortlichen aus der Politik vertrauen soll, wenn sie einander mit großem Eifer angiften, sich auf Kosten ihres Kollegiums größer machen und es ihnen schier unmöglich scheint einzuräumen, wenn etwas in die Hose gegangen ist. Auch das ist mir vertraut. Aber diese Strategien helfen meines Erachtens nicht dabei, ein gemeinsames Ziel gelingend zu erreichen. Ich muss die verlorenen Worte finden.

Auf meiner Suche trage ich, seit wie viel Zeit auch immer, den Hunger des Torjägers in mir. Ich frage mich, wo ich lernen kann. In der Bibel bin ich einen Schritt weiter gekommen. Einer der ganz großen Architekten dieser Schriften ist Paulus von Tarsus. Er sagt: „Lasst ja kein giftiges Wort über eure Lippen kommen!“ Nun, das wäre ja mal ein Anfang. Allein damit wäre in meiner Welt schon viel gewonnen.

„Wenn dir zu einer Person so gar nichts Wertschätzendes einfällt; dann halte einfach die Klappe!“

Und während ich noch auf dem kurzen Satz rum kaute, war es mir, als sagte der Mann aus Nazareth: „Wenn dir zu einer Person so gar nichts Wertschätzendes einfällt; dann halte einfach die Klappe!“

Und dann zeigt dieser kluge Theologe, dass die Worte der Bibel nicht gut sind, weil sie in der Bibel stehen. Nein, weil sie gut sind, stehen sie da. Jetzt wird es nochmal sehr lebensnah: „Seht lieber zu, dass ihr für die anderen, wo es nötig ist, ein gutes Wort habt, das weiterhilft und denen wohltut, die es hören“. Das sind schlichte Worte und alles andere als schwer zu verstehen. Aber wie die meisten großen Dinge sind sie anspruchsvoll und nicht zum Nulltarif zu haben. Aber wäre das wichtig?

Mir kam der Stationsarzt nicht aus dem Sinn und ich habe ihm dann am nächsten Tag ein Exemplar meines Buches „Unterwegs“ geschenkt. Das ist das mit den Lebensfragen und Reportagefotos. Und siehe da; er hat sich sehr gefreut.

Out of the box - weil wir wunderbar gemacht sind

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Tom Laengner

Tom Laengner ist ein Kind des Ruhrgebiets. Nach 20 Jahren im Schuldienst arbeitet er journalistisch freiberuflich und bereist gerne afrikanische Länder. Darüber hinaus arbeitet er als Sprecher für Lebensfragen und Globales Lernen.

In seiner Kolumne „Out of the Box – Weil wir wunderbar gemacht sind" schreibt er alle 14 Tage über Lebensfragen, die ihn bewegen.

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3 Kommentare

  1. Frieden und Liebe als langwierige Aufgabe

    Bravo Tom Laengner: Nicht nur eine sehr gute Kolumne, sondern auch eine zutreffende (zudem biblische) Wahrheit: „„Wenn dir zu einer solchen Person überhaupt nichts Wertschätzendes einfällt; dann halte einfach die Klappe!“ Da hatte Laengner „dem Volks auf das Maul geschaut“. (Luther).
    In einem kleinen Dorf bestand eine Grabstätte eines Altnazi. Rechtsradikale besuchten dessen Grab einmal in jedem Jahr, um dort – wie oft auch bei anderen politisch (Un)Heiligen – selbige Verstorbenen zu ehren. Ein kleines Städtchen musste daher in jedem Jahr hinnehmen, dass unzählige radikalisierte Menschen ihren Marsch dort sehr provokativ durch die Gassen und Straßen zelebrierten. Übrigens: Extrem gewaltbereite Menschen, deren Anreise auch mit der Deutschen Bahn den Verantwortlichen Sorgenfalten abnötigten. Bis eines Tages man sich bürgerschaftlich einigte, ich glaube auf erfolgreiche Initiative des Stadtbürgermeisters: Wir machen einen halben Tag alle Geschäfte zu, die Einwohner*innen alle ihre Rollläden herunter, jeder bleibt mit Kind und Kegel zuhause und spielen gemeinsam „Toten Mann“. Durch ein ausgestorbenes Nest zu marschieren machte den Radikalisten keinerlei Spaß. Mancher lebt eben nur nach dem Motto: „Viel Feind, viel Ehr“, sonst ist es ja nur Zeitverschwendung. Ich glaube nicht, dass man wirkliche Neonazis als Gruppe überzeugen kann, wobei dies allerdings bei Einzelnen doch gelingen könnte: Mit großen (oft auch therapeutischen) Bemühungen, denn da müssten sich Betroffene, wenn regelrecht wie bei Psychosekten Gehirnwäsche vorliegt, völlig freiwillig deprogrammieren lassen. Also solchen Leuten sollte man aus dem Wege gehen und niemand dies hier verharmlosen. Ich möchte anfügen: Dies gilt auch für den täglich absolut unerträglichen Hass im Internet, oft verbunden mit Fremdenhass bzw. Rassismus, Antisemitismus sowie mittels obskurer Scheinbegründungen mit Verschwörungstheorien. Ich bin so frei hier auch aufzuführen die „Verächtlichmachung von queren Menschen“, die wie auch jeder/jede Andere Anspruch besitzt auf Akzeptanz und Wertschätzung durch die Gesellschaft. Christlich bedeutet dies: Gott liebt alle Menschen und seine Liebe ist unverdienbar. Wir Christinnen und Christen haben gegen Hass, Häme und Verschwörungstheorien ein bewährtes Gegenprogramm: Die Bergpredigt und jede Wort , die uns über Jesus und sein Lebenswerk überliefert wurde. Es gibt politische, soziale, finanzielle und noch andere Schuld. Bestens hilft dafür aufrichtiges Beten. Damit warnte Gott Kain, als Sinnbild hassender Menschen. Kain aber mordete doch

    Wer sich einmal die Mühe macht, die vom Bundestag immer live übertragenen Debatten – auch in den Ausschüssen – zu verfolgen (die auch in einer Mediathek immer abrufbar sind): Der wird mit Entsetzen feststellen, wie dort eine Partei unsäglich demagogisch agiert. Dies gilt für viele Landtage. Solche Originaltöne kann jeder sich im Internet zu Gemüte führen darf. Wir können (angebliche) Feinde nur lieben, wenn wir sie ernst nehmen. Diese Feindesliebe ist eine zeitraubende Angelegenheit, denn wie bei einer Renovierung eines Hauses kann man dies nur von Raum zu Raum durchführen. Im Zivilleben bedeutet dies wie beim „berühmten ersten Kontakt mit Außeridischen“ (in der Roman- Literatur), dann zunächst erst eine gemeinsame Sprache zu finden. Wenn man diese wirklich findet, dann muss jede/r im Zivilleben normale Kontakte pflegen. Aber wo es solche diplomatische Beziehungen gibt (etwa wenn man sich den normalen Gruß entbietet), da darf man sich fast aus jedem Feind einen Freund oder eine Freundin machen. Da gilt aber große Nachhaltigkeit zu investieren. Dies dürfte mühsam sein und ist keinerlei Zuckerschlecken. In der
    Politik glaube ich nicht, dass es möglich ist, rechtsradikale und rechtsextreme Parteien auf den richtigen demokratischen Exkurs zu führen. Sodann gerichtlich festgestellte Verfassungsuntreue muss zum Parteiverbot führen. Sonst werden unsere Werte ganz schnell als Ramsch-Ware wertlos.

    • Lieber Bernd ,ich hatte Mühe Tom`s Gedanken zu fassen ,aus Respekt habe ich auch Deinen Komentar gelesen, dann musste ich Tom`s Aussagen noch mal lesen….Tom lässt uns an seien inneren Spannungen teilhaben und das finde ich kostbar weil ich mich selbst frage ,wie ich mit diesen Dingen umgehe. Da tut es mir nicht gut den Fokus auf andere zu richten und wie oder was sie machen,sondern will das auch an mich heran lassen und ehrlich mit dem Was sich zeigt umgehen, wenn ich in die Abgründe meiner Seele schaue, nicht die Augen zu verschliessen. Wenn Du Dich etwas kürzer fassen könntest,wäre es für mich hilfreich, auch Deinen nächsten Kommentar zu lesen.
      liebe Grüsse

      • Die Welt ist kompliziert

        Die Kritik, ich fasse mich zu lange, kann ich nachvollziehen. Leider sind die Welt und die meisten Fragen/Probleme zu vielschichtig, also mit Kurzkommentaren kaum zu reflektieren sind. Ich werde mich trotzdem bemühen. Allerdings ist das Positive an den Kolumnen von
        Tom Laengner, dass er keine absoluten Wahrheiten reflektiert, aber eher seine inneren Spannungen bei wichtigen Fragen preisgibt. Dies kann ja durchaus Anlass sein (auch für mich), dann die Finger in Wunden zu legen, die Probleme offenbaren. Etwa zu Personen, zu denen mir nichts Wertschätzendes einfällt, lieber die Klappe (nicht !!) zu halten. Im politischen Raum darf man dies – eigentlich – nicht, etwa bei Rechtsradikalen. Doch hier habe ich ja Laengners Auffassung eher bekräftigt bei der Schilderung, dass die Leute zuhause blieben und die Radikalisten durch`s menschenleere Städtchen marschierten. So ganz kann ich ihre Kritik an meiner Reflexion also doch nicht verstehen, es sei denn sie betrachten mich als Besserwisserisch. Damit müsste ich aber letztlich leben, sonst würde ich mich zu oft verleugnen. Die Welt ist kompliziert, rechtsradikale Ideologen – eigentlich ohne wirkliche Ideen – oder Sekten – die betrachten sie gerne holzschnitzartig.

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