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Schwächen zugeben – und gut mit ihnen umgehen

Sind Schwächen nur ein Reflex auf eine zu perfektionistische Ich-Vorstellung? Wie bewege ich mich im Spannungsfeld zwischen Gaben und Grenzen? Ein Dialog zwischen Uli Eggers und Thomas Härry.

Uli Eggers: Vor kurzem schrieb mir ein früherer Redaktionsmitarbeiter, der jetzt in der Personalabteilung arbeitet. Seine Frage: Warum tun sich die Leute so schwer mit ihren Schwächen? Er erlebt es bei Vorstellungsgesprächen oft, dass die Leute auf seine Frage danach, Schwächen eher verbergen oder vorgeben, gar keine zu haben. „Solche Menschen stelle ich schon mal gar nicht ein!“, war sein Votum. Spannend!

Liegt es an meinen 66 Jahren, dass ich meine, ich hätte eher wenig Probleme damit, Schwächen zuzugeben? Oder daran, dass ich genug erfolgreiche Dinge in meinem Leben habe, dass ich meine, Schwächen zugeben zu können? Oder mache ich mir Illusionen – und habe nur so ein paar Vorzeige-Schwächen im Blick? Meine Frau weiß da vermutlich die beste Antwort …

Thomas, kennst Du Deine Schwächen? Und wie gehst Du mit ihnen um – und wo siehst du das Problem da?

Thomas Härry: Da purzelt mir ganz viel durch den Kopf …

Uli Eggers: Natürlich kann ich so etwas nicht fragen, ohne mich selbst zu offenbaren. In unserem Biografie-Projekt habe ich ja eine Sache offen benannt, die bei mir echten Schaden angerichtet hat: Meine Schüchternheit und Zurückhaltung. Vielleicht ist es auch eine Art „Ich-Gefangenheit“ (der Blick auf mich selbst und die Frage, wie ich da jetzt vor anderen gerade ankommen und dastehe – oder ein Mangel an Phantasie, mein Verhalten von den anderen her zu steuern („Hey, der hat vielleicht auch Kontakt-Probleme und will nur freundlich behandelt werden – also!“). Oder vielleicht auch Stolz (weil ich gut ankommen möchte, lähme ich mich in einem „Nicht-Verhalten“. Motto: „Wer gar nichts tut, tut nichts Verkehrtes!“ – und tut gerade damit etwas Verkehrtes …) also das ist auf jeden Fall eine meiner Schwächen.

Tue ich was dagegen? Ja, auf verschiedenen Wegen. An meinem Bildschirm hier hängt ein Spruch, den ich wohl mal von Andreas Boppart zitiert gehört habe: „Du hast entweder Gottesfurcht – oder Menschenfurcht.“ Das fand ich herrlich provozierend verkürzt – steil! Auch wenn die Dinge vielleicht manchmal komplizierter sind, hilft mir sowas: Mich konzentrieren auf den Fokus, dem ich in meinem Leben dienen will: Gott fürchten und lieben – und von daher leben. Und damit anderes überwinden. Reale Hilfe für mich! Also, geh gottes-fürchtig in eine Situation!

Dann aber habe ich auch zwei andere Wege, die ich aktiv gehe. Zum einen versuche ich, nicht auf Dauer Situationen zu meiden, in denen ich mich ins Wasser schmeißen muss, mit meinem eher zurückhaltenden Distanz-Wesen. Und versuche, in den Situationen die Dinge bei den Hörnern zu packen – das ist wohl überhaupt eine meiner Lebenslehren: „Lieber die Sachen bei den Hörnern packen als weglaufen!“. Wenn man also die Wahl hat – oder eine Situation intuitiv so durchschaut: Eher drauflosgehen als weglaufen! Also Gespräch wagen. Was für mich komischen Typen dann manchmal heißen kann: Einfach fragen, wie es jemandem geht! Auf so etwas verblüffend Einfaches käme ich gar nicht, wenn ich gleich weglaufe (und ich weiß, das klingt jetzt für beziehungs-starke Menschen nicht wie eine Hightech-Idee …).

Aber es gibt ja vermutlich noch ganz andere Schwächen in meinem Leben – obwohl ich merke, dass diese Dinge, die man „Schwäche“ nennen kann, vielleicht auch einfach nur Gegebenheiten sind, die ich gerne perfektionistisch anders hätte: Ich sage zum Beispiel von mir, dass ich ein eher journalistischer Typ und damit ein Generalist bin: Also von ganz vielem ein bisschen weiß. Ganz vieles miteinander verknüpfen kann, weil man mit vielem etwas anfangen kann oder vieles interessiert. Als Schwäche empfinde ich dann, dass ich von relativ wenig eine wirklich sehr tiefe, jahrelang durchdachte und erforschte Kenntnis habe. Das finde ich dann manchmal faszinierend bei anderen. Und würde es gerne auch haben – dann wäre alles rund bei mir. Und merke aber: Wenn ich mich entscheiden müsste, dann wäre ich statt an einer Stelle richtig tief … lieber an vielen Stellen einigermaßen gut informiert. Würde also lieber Ich bleiben, statt Spezialist zu werden.

Heißt das nicht: Manches, was ich als Schwäche empfinde, ist vielleicht auch nur ein Reflex auf eine zu idealistische oder perfektionistische Ich-Vorstellung? Man will gerne alles haben! Schön sein, klug sein, gesund sein, beliebt sein, reich sein, bescheiden sein, rational und emotional – und was auch immer! Aber das ist ja unmenschlich und ganz lebensfremd! In Wirklichkeit sind wir alle immer nur, die wir sind – bewundernswert individuell und wunderbar geschaffen. Aber unvollkommen! Mit Lücken und Schwächen. Und nur so können wir uns auch anbieten in unseren Gemeinschaften – etwa der Familie oder Gemeinde.

Und eben auch in unserer Arbeit! Mich schmerzt es immer wieder mal, dass ich in meiner beruflichen Arbeit „nur“ das war, was ich nun mal bin und anbieten konnte: ein frommer Szene-Kenner und geistlicher Idealist, ein Ideen-Mensch und Pionier, Zeitschriften-Gründer und Themen-Scouter. Aber als Geschäftsführer wäre ich so gerne viel intensiver an jedem unserer Verlagsorte präsent gewesen! Oder ich wäre viel lieber ein guter System-Kenner – von Personalwesen bis hin zur IT oder Betriebswirtschaft. Oder ein viel präsenterer „Anfass-Kumpel“ in jeder Frühstückspause. All das war ich nicht – weil ich nur war, was ich nun mal bin. Und als so einer – hinterlasse ich Lücken. Habe ich Schwächen. Das war und ist für mich ein durchaus schmerzhafter Einsichtsprozess.

Und, ja, es kann auch schnell zu einer billigen Entschuldigung werden – deswegen sagte ich eben, dass ich durchaus meine, man sollte seine Schwächen kennen, sich ihnen stellen und in Grenzen an ihnen auch arbeiten – als Lebensprojekt, das einem aber nicht den Blick verstellt auf das, was man ist und hat: Und das darf auch genügen, wenn ich an die Stelle gefunden habe, wo Gott mich haben will.

Das finde ich das Geniale mit der „richtigen Stelle“: Weil ich an der „richtigen Stelle“ genüge als der, der ich bin, ist die logische Folge, dass ich dann aber auch einigermaßen fröhlich zugeben können muss, wo meine Schwächen und Lücken liegen. Weil ich dann und damit der jeweiligen Struktur erlauben kann, meine Schwächen auszugleichen: durch andere Menschen, durch Ergänzungen und Hilfskonstruktionen. Niemand hat alles! Und jeder muss sein dürfen, der er letztlich ist – sonst vergewaltigt er sich auf Dauer. Also kommt keine Situation – Betrieb, Gemeinde, Familie, Freundschaft – ohne Hilfskonstruktionen für meinen Schwächen aus. Für mein Ich.

In Ehe und Familie ist gegenseitige Liebe solch eine Hilfskonstruktion – meine Liebe, an meinen Problemfeldern zu arbeiten und mir etwas sagen zu lassen, auch wenn es weh tut. Die Liebe der anderen, mich auch in meiner Schwäche zu ertragen.

In Firmen oder Gemeinden – gerade zum Beispiel auch als Pastor – kann die Hilfskonstruktion nur die Ergänzung durch andere Menschen, andere Gaben und Strukturen sein: Was fehlt mir? Was habe ich nicht? Wer kann das ergänzen? Anderes Fach-Know-How, ein Team, eine Struktur, egal.

Schwierig wird es, wenn ich meine Schwächen verleugne und damit mich selbst in ein Verbiegen zwinge – oder meine Gemeinschaft, die sich dann auf Dauer daran reibt oder sich mit mir gemeinsam um meine Schwächen herumlügen muss. So etwas führt dann früher oder später zum Zerbruch – entweder ich zerbreche an der Situation. Oder die Beziehung zerbricht, das Arbeitsverhältnis.

Insofern: Ich mache Mut, Ich zu sein – mit Kenntnis meiner Schwächen. Und sich ergänzen zu lassen darin. Und zu unterscheiden, wo ich durch Arbeit an mir manches mildern kann. Oder wo ich mich und andere befreien muss, indem ich fröhlich und ehrlich zugebe: „Habe ich nicht, kann ich nicht, bin ich nicht!“

Ich bin sicher: Wer genug geliebt wurde und wird; wer genug Erfolg empfindet, der kriegt es gut hin, seine Schwächen zuzugeben – oder ihnen sogar mit Wissensdrang und nüchterner Klugheit auf der Spur zu sein. Wer in seiner Persönlichkeit zu liebes-hungrig oder anerkennungs-süchtig/leer ist, der hat es schwerer. Ich bin überzeugt, dass der Glaube uns da hilft – das Wissen, dass Gott mich bedingungslos liebt. Zugleich scheint mir, dass beides deutlich miteinander zusammenhängt: Ein hungriger, leerer Mensch wird vielleicht auch durch den Glauben nicht immer sofort rund und satt – und damit frei, seine Schwächen einzuräumen und sie in Gelassenheit und ohne Existenz-Angst zu bearbeiten.

Oder wie siehst Du es, Thomas? Was sind Deine Erfahrungen? Du bist ja gerade da als Autor einer der Tiefschürfer und hast da viel geforscht und Starkes geschrieben …

Ich habe Gaben, ich habe Grenzen, ich habe Gefährdungen – und Wunden.

Thomas Härry

Thomas Härry: Danke für deine schöne Reflexion zum Thema. Ich beschränke mich auf zwei Ebenen – eine eher sachliche und eine eher persönliche. Wobei beides ineinanderfließt …

Zum Sachlichen: Mir hilft bei diesem Thema eine Unterscheidung, die mich seit vielen Jahren begleitet. Sie geht so: Jeder Mensch verfügt über 3 G’s: Gaben, Grenzen und Gefährdungen.

Über Gaben muss ich an dieser Stelle nicht mehr sagen als dies: Sie betreffen alle Stärken und Kompetenzen, die mir gegeben sind, egal ob grundsätzlich oder lernend und übend erworben.

Grenzen: Dazu gehört für mich alles, was ich manchmal auch als „Ungaben“ bezeichne: Dinge, die ich nicht gut kann. Mathematik zum Beispiel, aber auch alles, was ich nicht als eine meiner sonstigen Gaben und Stärken sehen kann. Und da gibt es viele …

Ich sage es oft so: Jeder Mensch hat zwei, drei wirklich herausragende Gaben und Stärken. Mehr nicht. In allen anderen Bereichen ist er höchstens mittelmäßig oder schwach begabt. Da es auf dieser Welt viele großartige Gaben gibt, habe ich in der Regel mehr Ungaben als herausragende Gaben. Das ist nicht schlimm, im Gegenteil: Es weist mir den Platz zu und zeigt mir, wo mein bester Beitrag liegt – und wo nicht.

Zu den Grenzen zähle ich auch alle Begrenzungen bezüglich der Art und Weise, wie ich als Person und als Typ beschaffen bin. Ich zum Beispiel blühe unter Menschen weniger auf als meine Frau. Ich brauche Zeiten für mich. Je mehr ich zu tun habe, umso mehr brauche ich Rückzugszeiten und -orte. Eine andere Grenze habe ich beim Thema Geduld. Ich habe es gerne, wenn Dinge rasch vorangehen. Geschieht das nicht, werde ich ungeduldig und damit verbunden auch mal ungenießbar.

Gefährdungen: Das ist nochmal eine ganz andere Kategorie. Darunter verstehe ich alles, was mir zur Not wird und werden kann. Neigungen, Triebe, zweifelhafte Motive – je unbewusster, umso größer die damit verbundene Gefährdung. Meine blinden Flecken, so sie anderen zur Not werden. Gefährdungen sind für mich alle Anteile meiner Person und meines Verhaltens, mit denen ich es Anderen schwer mache und mir selbst schade. Wo ich mit unguten Folgen an Gottes Willen vorbeilebe.

Man könnte an dieser Stelle auch über das Thema „Wunden“ sprechen, wie ich es in meinem Buch Das Geheimnis deiner Stärke tue: Über erlittene seelische Verletzungen, Zurückweisungserfahrungen, Missbrauch, Traumata – sie sind häufig ein idealer Nährboden für Gefährdungen. Vor allem dort, wo auf meine Wunde mit einer unbewussten Kompensationshandlung reagiere. Man sagt, dass unter anderem Narzissmus in diese Richtung geht: Jemand kompensiert eine tiefe Verunsicherung und Selbstablehnung mit einer durch und durch egoistischen Selbstdurchsetzung.

Ich habe immer etwas von allem: Ich habe Gaben, ich habe Grenzen, ich habe Gefährdungen – und Wunden. Jeder hat sie – die Frage ist höchstens, wie er damit umgeht.

Das bringt mich zum Persönlichen: Gerade das Wissen um diesen Dreiklang in mir fordert mich persönlich heraus. Es gibt Tage, an denen ich mich meiner Gaben erfreue und sie feiern kann: Wenn etwas gut gelungen ist. Wenn ich einen Betrag geben konnte, der Menschen aufgebaut, gestärkt, ermutigt hat. Dann erfüllt mich das mit großer Dankbarkeit.

An anderen Tagen leide ich an meinen Grenzen und Gefährdungen. Mit Grenzen komme ich heute viel besser klar als früher. Es ist befreiend, nicht alles gut können zu müssen. Bei meinen Gefährdungen ist es anders. Ich habe den Eindruck, dass ich sie heute besser kenne als früher. Das ist gut, denn das hilft mir, in diesen Bereichen wachsamer zu sein: Wo ich Suchtpotential habe. Wo sich Ärger, Wut und Ablehnung gegen Menschen in mein Herz nisten wollen. Wo ich andere klein mache, verachte – ganz still und leise, aber nicht weniger verkehrt. Und dann gibt es Tage, an denen meine Gefährdung darin besteht, dass mich die Tatsache meiner Gefährdungen zu Not wird. Wo ich an ihnen leide und mich frage, ob Gott einen wie mich brauchen und segnen kann. Das sind die Tage, an denen ich eine Art von Hilfe brauche, die ich mir selbst nicht geben kann. Sie muss dann von Gott oder von vertrauten Menschen können. An diesen Tagen brauche ich Gnade. Gnade von Gott, um Gnade für mich selbst haben zu können.

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Zwei, die sich faszinieren, teilen ihre Entdeckungen und gehen ins Gespräch über das, was bleibt. Ein Alltagsdialog über Glaube, Führung, Lebensstile und Literatur. Ein Dialog zwischen Thomas Härry und Ulrich Eggers.

www.EggersundHaerry.net

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1 Kommentar

  1. Schwächen zugeben

    „Schwächen zugeben, den Stier bei den Hörnern packen“. Da bin ich mit dem Autoren des Gespräches dakor. Das Manuskript ist thematisch aber etwas unübersichtlich. Das mag aber auch am Thema „Schwächen“ liegen, die fast mit allem was existiert oder denkmöglich ist interagieren. Das Universum der Möglichkeiten ist fast unendlich, wo es auch um Akzeptanz und Schwächen gehen könnte.

    Vielleicht muss ich auch, hinsichtlich der Frage Schwächen mutig zuzugeben, hierbei berücksichtigen: Das Leben sollte eigentlich ein Geben und ein Nehmen sein. So in der Art und mit der Philosophie der Goldenen Regel: Was ich selbst für mich erwarte an Akzeptanz, Achtsamkeit und Aufmerksamkeit, sollte ich auch zu geben bereit sein. Um es noch einfacher zu sagen: Wenn sich alle Menschen nur ein klein wenig lieben würden,
    wäre diese globale Welt des 21. Jahrhundert wahrhaft ein Paradies. Allerdings ist das ja durchaus nicht so. Und das ist auch sofort mein Problem.

    Es gibt diese wunderbare Vertrauensübung, in entsprechenden Seminaren tausendfach ausprobiert und garantiert erfolgreich. Man bitte einen Menschen um einen Vertrauensvorschuss. Dazu muss er auf einen hohen Bock steigen. Dann sollte er sich mit geschlossenen Augen fallen lassen. Unten stehen Menschen die ihn auffangen. Das Ganze könnte man auch noch theologisch begründen und postulieren: So ist Gott. Wenn wir uns ihm in die Arme werfen, dann wird er uns immer auffangen.

    Meine Schwäche könnte ja darin liegen, dass mein Grundvertrauen aufgrund von Lebenserfahrung, in etwas komplexeren Lebenssituationen wie diejenige mit dem Bocksprung, einfach nicht ausreichend ist. Werden wir nicht alle immer wieder von anderen Menschen enttäuscht – und sollten wir daher lieber keine Idealvorstellungen pflegen ? Ist das eine Schwäche so zu denken? Oder ist es eine Stärke, realistisch mit Menschen, Verhaltensweisen und Unkalkulierbarkeiten umzugehen ?

    Es gibt solche Selbsthilfegruppen, in denen Betroffene auch Schwächen gut zugeben können. Weil andere in dieser Gruppe auch Schwächen haben, oder wenn aufgrund der Gruppenaufgabe alle eine Grundschwäche haben, etwa eine Sucht. Die Gruppe ist dann der geschützte Raum, in der sich jede und jeder outen kann. Dann könnte oder müsste eine solche Schwäche, auch von ihrer Ursache her, nicht peinlich sein. In einer solchen Umgeben wächst Vertrauen und die Vertraulichkeit lässt zu, dass ich mich beim Öffnen seelisch nicht verletzten werde.

    Vielleicht ist das einfachste Übungsfeld mit Schwächen umzugehen, zunächst der Bereich, in der ich als sozialer Mensch nicht viel mit anderen interagiere, sondern mich nur alleine ausprobiere. Etwa mit der Anforderung, dass ich zwar grundsätzlich, aber nicht heute noch die Welt retten muss. Das nicht nur Arbeit, welche auch immer mich adelt, sondern auch mein Menschsein ganz generell. Ich muss nicht immer stark sein, ich darf Schwäche zeigen. Ich darf mich hängenlassen, langweilen, einen sinnlosen aber erholsamen Spaziergang machen. Ich darf weinen und schwach sein. Der Sinn von Schwäche zeigen besteht ja nicht ausschließlich darin, diese vorzuführen. Man darf sie einfach haben und akzeptieren.

    Das beste Übungsfeld mit eigenen Schwächen und Vertrauen umzugehen müsste eine möglichst funktioniere christliche Gemeinde sein. Da wo man sich wirklich in Augenhöhe begegnet, nicht in Hierarchien leben muss und wo Liebe und Vergebung praktiziert wird. Aber auch da kommen wir immer wieder an Grenzen, denn Menschen sind – was sogar der katholische Papst von sich selbst behauptet – leider auch immer Sünder. Wir sind eben nicht vollkommen und vollkommene Glückseligkeit, gepaart mit dem Zugeben eigener Schwäche, ist nur gegrenzt möglich. Leider gibt es keine vollkommene und hier äußerbare Theorie, wie man mit Schwäche sich immer angenommen fühlen kann.

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