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Von Lesesucht und Lesefrucht

Uli Eggers und Thomas Härry sind Bücherwürmer. Hier erzählen sie von ihren Lesegewohnheiten, phantasievollen Lesezeichen und geben aktuelle Literatur-Tipps.

Thomas: Wir sind beide große Buch-Liebhaber. So weit ich es beurteilen kann, spielen hier zwei Dinge zusammen: Wir finden Bücher als solche etwas Großartiges. Ich zum Beispiel rieche an jedem neu erworbenen Buch, ob neu oder antiquarisch. Ich liebe den Geruch von zu Papier verarbeitetem Holz und von Druckerschwärze. Den Altersgeruch nach jahrelangem, geduldigem Dasein in einem Büchergestell. Das ist ein sinnliche Erfahrung für mich. Am meisten aber liebe ich Bücher, weil sie mir die Augen öffnen. Weil sie mir Welten erschliessen. Mein Denken erweitern, mich anregen, mich unterhalten, mir Weisheit schenken. Ich lese täglich viele Seiten. Zum Einen bedingt das meine Arbeit, mein Unterrichten, Lehren und Verkündigen. Es gibt für mich aber noch eine zweite Lesewelt: Die meiner privaten Interessen. Dazu gehörten in den letzten Wochen Titel wie «Kindheit in Ostpreußen» (Marion Gräfin Dönhoff), «Die Hände meines Vaters: Eine russische Familiengeschichte» (Irina Scherbakowa – übrigens jüngstens oft in Informationssendungen zum Ukrainekrieg zu sehen), «Der Russland Reflex: Einsichten in eine Beziehungskrise (Irina Scherbakowa und Karl Schlögel), «Stille Jahre in Gertlauken: Erinnerungen an Ostpreussen (Marianne Peyinghaus), «Covenant & Conversation: A Weekly Reader of the Jewish Bible» (Rabbi Jonathan Sacks), «Der Bullerbü-Komplex und die Kunst, es gut sein zu lassen» (Lars Mandelkow), «Ein Dorf in Erwartung des Fernsehens» (Joachim Puttkammer), und natürlich immer wieder Geschichten, Gedichte und Essays von Wendell Berry. Uli, was liegt bei dir gerade auf dem Lesetisch?

Uli: Lesetisch ist bei mir nicht, sondern ich muss einräumen, dass es mir geht wie Dr. Klaus Douglass, der neulich im Midi-Newsletter über «Ex-Novation» geschrieben hat. Ich war ganz glücklich: Seine aktuellen Bücher liegen neben dem Bett! Und er sprach selbstkritisch darüber, dass es irgendwann sein könne, dass er über die Seite seiner Frau einsteigen müsse, das wäre dann das Zeichen aufzuräumen und abzubauen. Also … von meiner Bett-Seite kriege ich noch Zugang. Aber Douglass hat einen starken Punkt angesprochen (ihm ging es um Innovation in der Kirche, die er gut aufgestellt sieht – nur verlange sie auch nach «Exnovation», als dem Abbau von Altem, sonst gäbe es eben Verstopfung und Lähmung. Stimmt für die Kirche – stimmt für unsere Büchersammlungen … nur bedingt. Ich freue mich, bei meinem anstehenden Berufs-Ausstieg endlich mal meine knapp fünfstellige Zahl von Büchern zu sichten, zu sortieren und mich zumindest von Doppeltem – schenkend – zu trennen. Manchmal kaufe ich Bücher auch zwei drei Mal auf dem Flohmarkt, weil ich sie verschenken will – da kommt jetzt die Sichtungsphase. Nicht am Bett, da geht es ums Lesen…

Und das ist auch derzeit noch mein Handycap: ich bin beruflich noch so sehr drin, dass ich nur abends zum Lesen komme. Und dann schlafe ich oft so schnell ein! Zur Zeit lege ich mich deswegen manchmal schon um acht hin – und halte dann dafür bis nach zehn durch, das bringt was! Für mich ist es so, dass das Stöbern nach Büchern, das Verfolgen von Spuren, das Querverbinden von Themen und Autoren … eine der größten Freuden ist – auch als Contrapunkt zum Beruf. Deswegen sind es so viele. Und, das wird manche enttäuschen: Weil ich dort so viel frommes Material lese – zieht es mich privat zum Ausgleich fast nur in allgemeine Titel – Frommes riecht zu sehr nach Arbeit …

Thomas: Ja, das verstehe ich gut. Das reine Lust-Lesen findet auch bei mir vorwiegend am Abend statt, oder mal Sonntags. Es geht mir an den Abenden wie dir: Länger als eine halbe Stunde ist selten, dann fallen die Augen zu, egal wie spannend das Buch ist. Aber was für eine wertvolle halbe Stunde ist das – ein Aromavollbad für die Seele! Aber nochmal nachgehakt: Welche Bücher waren in den letzten Wochen und Monaten wichtig für dich? Und weshalb waren sie wichtig? Welche Perlen konntest du heben?

Uli: Ich bin da  ein absoluter Vielfraß, lese viele Bücher parallel aus vielen Gebieten. Der einzig fromme Titel gerade ist das Neue von Tomas Sjödin, das mich allerdings auch begeistert hat – im August-AUFATMEN drucken wir es vorab: «Wenn Stille eine Sprache wäre» – spannend, weil wir immer wieder mit der Nase drauf gestoßen werden, dass wir diese betende, hörende Stille mit Gott brauchen. Wirklich brauchen. Sehr wirklich und tatsächlich brauchen – nicht nur abnicken müssen. Stark!

Ein großer Lesebereich bleibt bei mir Literatur aus der DDR – der Versuch, im Nachhinein vieles besser zu verstehen. Als Verleger etwa lese ich mit großem Interesse die Jugendbücher des DDR-Verlages «Neues Leben» (klingt fromm …), besitze hunderte dieser Reihe. Ich ärgere mich, dass christliche Verlage keine guten Jugendromane mehr herausgeben, wo es um Liebe, Berufsorientierung und die Themen zwischen 16 und 30 geht. Verkauft sich angeblich nicht … Gerade habe ich da das Buch einer jungen Frau begeistert gelesen, konnte auch meine Frau dazu überreden – und hab (was da nicht immer passiert …) sogar Zustimmung bekommen: «Susis sechs Männer» von Hildegard und Siegfrid Schumacher (gibt es heute wieder als Ebook …) – Freundschafts- und Liebeserfahrungen aus der Sicht einer jungen Frau, ein Roman verbunden mit  Beziehungs- und Sex-Pädagogik – im Grunde ein Entwicklungsroman. Stark gemacht, relativ wenig Ideologie, viel Lebenspraxis. Müsste es auf christlich geben – wir Christen sind  dort fast nur im Sachbuch-Bereich unterwegs.

Beeindruckt hat mich auch die Bestseller-Autorin Daniela Krien, «Der Brand». Starke Ehegeschichte – oder, um mit Birgit Schilling im letzten AUFATMEN zu sprechen: Ein Roman über «das Drama der langjährigen Ehe». Zwei um ihre Liebe kämpfende Endfünziger. Krien sagt von sich, sie habe nur mit Hilfe ihres Glaubens ihre schweren Schicksalsschläge überwunden (ein Kind durch Impfung behindert, der Ehemann verlässt sie daraufhin …), schreibt total realistisch – und zum Teil heiße Sex-Reißer und Beziehungs-Radarbilder (der andere Bestseller von ihr, «Die Liebe im Ernstfall», in 27 Sprachen übersetzt, ist ähnlich realistisch über die Beziehungskrisen und Einsamkeiten der modernen Gesellschaft – enorm offen in Sachen Sexualität. Beide Bücher stark und lehrreich – auch in diesem Genre wünschte ich mir mal ein christliches Pendant, dass nicht gleich süßlich und rosarot abhebt …


Ich lese gute Bücher immer mit Stift in der Hand.

Thomas Härry
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Thomas: Ja, das Buch von Krien (Der Brand) haben Karin und ich auch gemeinsam mit grossem Gewinn gelesen. Wir haben noch lange darüber diskutiert und empfehlen es jedem Paar, das mehr als zwanzig Jahre verheiratet ist. Gibt einfach enorm viel Gesprächsstoff, wie man mit aufkommender Ehemüdigkeit umgehen soll. Mit den Nachwirkungen vergangener Kränkungen. Mit Missverständnissen. Wir fanden toll, dass man darüber einen Roman schreiben kann, der einen nicht nach unten zieht und nicht in den Seilen des Pessimismus hängen lässt.

Zwei Perlen aus meiner Liste oben. Das erwähnte Buch «Der Russland Reflex» war für mich ein absolut erstaunliches Buch. Irina Scherbakowa und Karl Schlögel sprechen miteinander über ihre Wahrnehmungen Russlands. Das Buch erschien 2015. Es liest sich heute wie eine Prophetie: Beide sehen voraus, dass Putin sich der Ukraine gegenüber entgegen aller anderslautenden Beteuerungen nicht mit der Krim zufrieden geben wird. Dass der Westen blauäugig mit Russland palavert und Geschäfte macht und sich der Illusion hingibt, das werde diesen Präsidenten vor Schlimmerem bewahren. Diese scharfe Analyse aus der Perspektive der Gegenwart zu sehen, fand ich beinahe erschreckend. Und mir wurde bewusst, wie wertvoll Menschen sind, die sich entgegen landläufiger Meinung ein eigenständiges, im Moment vielleicht höchst umstrittenes Urteil bilden können.

Dann Rabbi Jonathan Sacks. Sacks war Oberrabbiner des britischen Comonwealth und ist vor zwei Jahren überraschend verstorben. Seine Bücher stecken voll biblischer und geistlicher Schätze. Er legt in fünf Bänden die Tora (fünf Bücher Mose) aus. Er tut das auf eine so ungewohnte Art und Weise, so klug, so tief und lebensnah, dass ich vor lauter mitschreiben, unterstreichen und Markierungen machen fast nicht vorankomme. Es sind Bücher, die ich in den nächsten Jahren vertieft lesen und verinnerlichen möchte. Ein unvergleichlicher Wegweiser in den Reichtum der Bibel und ihrer Relevanz für heute. Du merkst: Ich bin begeistert!

A propos Lesegewohnheit. Ich lese gute Bücher immer mit Stift in der Hand. Auf den ersten (zumeist leeren oder nur spärlich bedruckten) Buchseiten notiere ich mir Seitenangaben und wichtige Impulse aus dem Buch, damit ich sie später leichter wiederfinde. Ich arbeite mit Farben für unterschiedliche Aussagen. Manche meiner Bücher (die ganz guten) haben so eine bunte Colorierung erfahren. Andere lese ich im Schnuz durch, mache nur wenig Notizen. Uli, wie machst du’s?

Uli: Wow, stark, das finde ich eine gute Idee – Farben, systematischeres Mitnehmen guter Teile. Da bin ich noch nicht so weit, weil mir oft noch die Zeit fehlt oder die Strecke. Eins mach ich gern: Phantasievolle Lesezeichen – Kassenzettel, Postkarten, Erinnerungen, die einen Mehrwert haben. Und sehr klar: Ich male im Buch zumindest die Ränder an, unterstreiche Sätze – manchmal fotografiere ich mit dem Handy Clips oder ganze Seiten heraus und verschicke sie an meine Frau oder dich oder an Freunde aus unserer Gemeinschaft, in der Redaktion des Verlages. Da sind ja oft Perlen drin, Geschenke für andere. Sehr oft gebe ich Christel etwas zum dringenden Lesen – und verdrehe dann manchmal die Augen, wenn sie mir genau die Stellen wieder vorliest, die ich doch schon kenne … J aber genau das ist für mich auch wichtig beim Lesen: Das Teilen. Geteilte Freude verdoppelt, bringt ins Gespräch, zeigt etwas über den anderen. Das ist eine wunderbare Ehe-Komponente. Habt Ihr da auch so einen eheliche Dynamik beim Lesen?

Thomas: Die Beschreibung deiner phantasievollen Lesezeichen gefällt mir auf Anhieb; das hat was «Grümscheliges», wie wir Schweizer sagen – ich vermute, es gibt kein entsprechendes deutsches Wort. Auf jeden Fall steckt etwas von Gemütlichkeit drin, aber das trifft es nicht wirklich. Und ja, wir spielen einander ebenfalls ständig Bälle zu. Karin arbeitet als Buchhändlerin. Das heisst: Sie liest sich laufend in Neuheiten ein und bringt viel Spannendes mit nach Hause. Unsere Bücherberge wachsen ins Unermessliche – ich mag gar nicht daran denken, wie es in zehn Jahren bei uns aussieht, wenn es so weitergeht. Wir schaffen es nicht, ständig auch das noch zu lesen, was der andere gerade toll findet. Hie und da aber tun wir es, wie eben beim Buch von Daniela Krien. Was wir so oder so tun: Wir tauschen ständig über unsere Leseschätze aus. Lesen uns Passagen vor, wie ihr es macht. Das ist unsere Art der gemeinsamen Spiritualität: Wir reden, teilen, freuen uns und bereichern einander gegenseitig mit der ganzen Lebensfülle aus Leben, Literatur, Film und Glaubensschätzen. Sehen und erfahren im gemeinsamen Teilen Gottes Güte und Schönheit. Ein starker Klebstoff unseres Miteinanders!


Zwei, die sich faszinieren, teilen ihre Entdeckungen und gehen ins Gespräch über das, was bleibt. Ein Alltagsdialog über Glaube, Führung, Lebensstile und Literatur. Ein Dialog zwischen Thomas Härry und Ulrich Eggers.
www.EggersundHaerry.net

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