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4 Wege, um die Einheit unter Christen zu fördern

Einheit lässt sich im Einsatz für gemeinsame Ziele erfahren, sagt der Theologe Thorsten Dietz. Er ermutigt dazu, sich auf die vier traditionellen Berufungen der Christenheit zu besinnen.

Viele Strömungen der Christenheit ringen heute um Einheit. In der Katholischen Kirche sind trotz klarer Lehrgrundlagen und eindeutiger Leitungsstruktur wesentliche Richtungsfragen offen, sowohl in Deutschland als auch weltweit. Die Orthodoxen Kirchen sind nicht nur über den Krieg Russlands gegen die Ukraine uneins, sondern grundsätzlich über Macht und Einfluss ihrer Patriarchate. US-Evangelikale streiten über die Frage, wie politisch ihr Zeugnis sein darf bzw. muss und die Evangelikalen in Deutschland leiden daran, dass sie sexualethische Fragen immer weniger einhellig beantworten. Die Fülle dieser strittigen Fragen ist ein Indiz dafür, dass die Christenheit sich grundsätzlich in einer Zeitenwende befindet, die viele Unsicherheiten mit sich bringt.

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Den Standort bestimmen

Von Anfang an ist die Christenheit vielfältig, schon im Neuen Testament. Je länger, je mehr setzt sich eine Tendenz durch, möglichst vieles einheitlich zu ordnen, vor allem nach der Konstantinischen Wende im 4. Jahrhundert. Nach den Reformen des 16. Jahrhunderts kam es im konfessionellen Zeitalter zu einer Verschärfung dieser Tendenz, Einheitlichkeit in Lehre, Gottesdienst und Moral durchzusetzen. Die tatsächliche Folge war eine bis heute andauernde Vervielfältigung von Kirchen; und eine zunehmende Säkularisierung der Gesellschaft. Die Versuche, fraglich gewordene Einheit zu erzwingen, sind vielfältig gescheitert.

Mit der Säkularisierung wurden viele Lebensbereiche der Macht der Kirche entzogen: Landbesitz und politische Macht, das Recht, die Wissenschaft und die Bildungsinstitutionen. Lange Zeit blieben die Kirchen noch sehr einflussreich. Gegenwärtig befinden wir uns irgendwo zwischen der Spätzeit einer solchen Übergangsepoche und zu Beginn von etwas Neuem, für das wir noch keine Begriffe haben. Manche feiern diese Geschichte als Befreiung vom Schatten der Religion; oder betrauern diese Entwicklung als endzeitliche Katastrophe. Beides ist nicht nur einseitig, sondern irreführend.

Die Präsenz christlicher Prägungen dürfte in unserer Welt sehr viel größer sein, als viele unkirchliche und kirchliche Menschen denken. Zugleich sollten wir die Ambivalenz dieser Epoche sehen. Das „christliche Abendland“ ist nicht selten die nostalgische Fiktion einer guten alten Zeit, die es nie gegeben hat. Die durchgreifende Christianisierung der Welt war in starkem Maße auch mit der Überformung des Christentums durch autoritäres, machtförmiges Denken und Handeln verbunden.

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Vielerorts werden Kirchen heute von Skandalen erschüttert. In den vielfältigen Erscheinungen von sexualisierter Gewalt, Streben nach Bereicherung, Purity Culture, christlichem Nationalismus und vielem mehr ging und geht es fast immer um Macht; und ihren Missbrauch. Der heutige Verlust an Macht und Einfluss sollte als Chance akzeptiert werden zu einer Erneuerung der Kirchen aus dem Evangelium.

Bescheidenheit lernen

Kirche hat nicht mehr das Sagen. Gehör findet sie nicht mehr automatisch, sondern nur dort, wo der Eindruck entsteht, dass sie wirklich etwas zu sagen hat. Alle kirchlichen Strömungen müssen heute eine neue Bescheidenheit lernen. Solche Bescheidenheit und Selbstzurücknahme sollten wir uns nicht aufzwingen lassen, sondern als Wesensmerkmal unseres Glaubens begreifen.

Zu einer neuen Bescheidenheit zähle ich auch die Anerkennung der faktisch gewachsenen konkreten Kirchtürmer. Alle Versuche, sich über die Kirchen zu stellen als die wahren Gläubigen, führen seit Jahrhunderten zu mehr Spaltungen und nicht zu mehr Einheit.

Wie wird diese neue Bescheidenheit möglich? In der dankbaren Erkenntnis, dass die Einheit der Kirche in Jesus Christus längst gegeben ist (Joh 17; 1Kor 12; Eph 4). Diese Einheit lässt sich weder erstreiten noch verhandeln. Wir können von ihr ausgehen, da wo wir sind. In aller Vielfalt besteht eine noch größere Verbundenheit.

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Gemeinschaft der Gläubigen und der Kirchen gibt es im gemeinsamen Glauben an das Evangelium von Jesus Christus. Gemeinsamkeit kann nur dort entstehen, wo man einander den Glauben glaubt. Wo man Jesus für wichtiger hält als sich selbst. Wo wir von Gottes Wirken mehr erhoffen als von der eigenen Strategie. Einheit ist möglich, wo wir einander zugestehen, dass die Bibel für uns die Grundlage des Glaubens ist, dass wir Gott als den dreieinigen bekennen, dass wir uns an Gottes Geboten, an Nächstenliebe, Gerechtigkeit, und Frieden orientieren.

Ja, es gibt erhebliche Unterschiede, wie wir die Bibel auslegen und verstehen. Welche Worte wir heute für die Dreieinigkeit Gottes finden, ob und wie wir von Gottes Offenbarung reden und wie wir sie ins Verhältnis setzen zur Vielfalt der Religionen heute, zu all diesen Fragen gibt es ungeheuer differenzierte Auseinandersetzungen. Tatsache ist auch, dass selbst in den Freikirchen die allermeisten hochengagierten Gläubigen die offenen und strittigen Fragen kaum überblicken, geschweige denn erklären können. Im Glauben an das Evangelium von der Rechtfertigung sind offene Fragen erträglicher als die Schließung aller Diskussionsräume.

Führt eine solche Offenheit nicht zu einer grenzenlosen Ökumene? Die Grenze ist da, wo Menschen unfähig sind, ihre Bibelauslegung von der Bibel selbst zu unterscheiden; wo altes und neues Machtstreben es wichtiger findet, Grenzen zu fixieren als Gemeinschaft zu suchen; und wo unterschiedliche ethische Erkenntnisse das Christusbekenntnis an Gewicht überbieten. Im Verzicht darauf, in all diesen manchmal schmerzhaft offenen Fragen Einheitlichkeit zu erzwingen, lernen wir neues Staunen über das Wunder des Glaubens und das Geschenk der Verbundenheit miteinander.

Den Auftrag annehmen

Einheit der Gläubigen entsteht unterwegs. Für alle Kirchen und Verbände dürfte das die entscheidende Herausforderung sein: Einheit nicht zu zerreden, sondern im Einsatz für gemeinsame Ziele erfahrbar werden zu lassen. Zentrale Bedeutung hat heute daher die Besinnung auf die gemeinsame Sendung der Kirche, die man traditionell als Berufung zum Zeugnis, zum Dienst, zur Gemeinschaft und zur Anbetung (martyria, diakonia, koinonia, leiturgia) zusammenfasst.

Das große Ja. Alle Kirchen verbindet der Glaube: Wir haben etwas wirklich Gutes zu erzählen und zu feiern. Die Jesus-Geschichte des Neuen Testaments wurde für die ersten Nachfolgenden ein Brennpunkt, in dem die Befreiungsgeschichten Israels zusammenliefen. Und zugleich öffneten sie sich zu einer umfassenden Einladung an alle Menschen, in diesem Jesus das unbedingte Ja Gottes des Schöpfers zu finden. Diese Botschaft von der großen Bejahung ist bis heute die Gründungsgeschichte der Christenheit, die es in immer neuen kreativen Formen weiterzuerzählen gilt.

Nur als tätiger Widerspruch zu den Ausbeutungs- und Unterdrückungsmechanismen dieser Welt ist der Glaube an das große Ja Gottes glaubwürdig.

Thorsten Dietz

Weltverbesserer. Wir können weder uns selbst noch diese Welt erlösen. Das tut Gott allein. Wir sind aber dazu berufen, sie täglich zu verbessern: als Salz und Licht in dieser Welt (Mt 5,13-16). Wir finden Gott in dieser Welt nie vorbei an den Armen, den Kranken, den Gefangenen und Hungernden (Mt 25,31-46). Nur als tätiger Widerspruch zu den Ausbeutungs- und Unterdrückungsmechanismen dieser Welt ist der Glaube an das große Ja Gottes glaubwürdig.

Zugehörigkeit. In der Christenheit gibt es etwas, das selbst für Menschen interessant ist, die sich für religiöse Fragen gar nicht interessieren. Zugehörigkeit für alle. Gemeinschaft ist eine revolutionäre Idee. Jede menschliche Gesellschaft hat eine tief sitzende Tendenz zu Über- und Unterordnung, zu Abgrenzung, Ausgrenzung und Verächtlichmachung. Eine Gemeinschaft, in der alle Brüder und Schwestern sind (Mt 23,8), eine Gemeinschaft, in der durch Christus die Differenz-Achsen von frei/versklavt, männlich/weiblich oder jüdisch/heidnisch relativiert werden (Gal 3,28), ist etwas ungeheuer Neues und Befreiendes – bis heute.

Feiern. Was viele Zeitgenossen vom Christentum noch mitbekommen, ist die Existenz christlicher Feiertage. Tatsächlich sollten wir stärker als üblich für unsere Fest- und Feierfreude bekannt sein. Glaube ist die Berufung, die Schönheit der Schöpfung zu feiern, das Wunder der Zuwendung Gottes und die Erneuerung des menschlichen Lebens durch den kreativen Geist ihres Schöpfers. Kirche der Zukunft wird nicht zuletzt an gemeinsamen Festen erkannt werden können.

Ein Schlüsselwort

„Nicht dass wir Herren wären über euren Glauben, sondern wir sind Gehilfen eurer Freude.“ (2Kor 1,24) Dieser Satz von Paulus ist meines Erachtens ein Schlüsselvers für die Zukunft der Kirchen. Allzu lange gaben Kirchenführer der Versuchung nach, sich als Herren über den Glauben anderer aufzuspielen. Zukunft hat die Kirche nicht mehr als Disziplinarmacht über die Herzen und Wege der Menschen. Zukunft hat sie als ein Ort zwangloser Einladung, wo man die Schönheit der christlichen Wahrheit entdecken und miteinander feiern kann.

Thorsten Dietz, geboren 1971, ist theologischer Fachmitarbeiter bei Fokus Theologie. Dort ist er zuständig für die Erwachsenenbildung der Evangelischreformierten Kirchen in der Schweiz (Zürich).

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Dieser Artikel stammt aus der Zeitschrift AUFATMEN. AUFATMEN ist Teil des SCM Bundes-Verlags, zu dem auch Jesus.de gehört.

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2 Kommentare

  1. „Anerkennung der Kirchentümer“ – das scheint dem Theologen wichtig zu sein, er wird ja davon auch bezahlt. Was nun, wenn Gott selbst diese Kirchentümer aber nicht anerkennt? Wenn sie seinem im Neuen Testament geoffenbarten Plan und Willen für seine Gemeinde widersprechen? Zwischen den in Gottes Augen „wahren Christen“ besteht übrigens die Einheit im Heiligen Geist, zwischen den Kirchentümern nicht …

    • Der demütige Sünder ist gerechtfertigt

      Also lieber Ulrich Wößner: ‚Alles was wir auf Erden machen ist nicht hundertprozentig, eher Stückwerk, auch unsere Staaten, unsere Gesetze, alle menschliche Gerechtigkeit und auch in der Nachfolge Jesu bleiben wir immer Sünder, allerdings begnadigte Sünder und damit Erlöste. Es gibt keine vollkommenen Kirchen. Es ist m.E. anmaßend zu behaupten, es gebe „wahre Christen“ neben unwahren Christen. Jesus ist nämlich auf Golgatha freiwillig gestorben und hat uns mit Gott trotz unserer Sünde versöhnt, weil wir doch ALLE allzumal Sünder sind und es uns an dem Ruhm mangelt, den wir vor Gott haben sollten. Im übrigen weht er Heilige Geist wo er will und nicht wo wir vermuten. Und der Heilige Geist steht grundsätzlich jedem Menschen zur Verfügung, wenn er darum bittet. Dazu benötigt niemand eine besondere Würde. Jesus hat die armen Sünder, die sich hinter den dicken Säulen im Tempel versteckten, für diejenigen gehalten die Gott wirklich verstanden haben und demütig waren. In Jesu Augen sind es nicht die Selbstgerechten, die wirklich gerecht sind. Jesus ist immer da, wo zwei oder drei in seinem Namen versammelt sind. Es dürfen aber auch gerne mehr oder ganz viele sein. Die Art der Kirche und die Meinung der Theologen ist da nachrangig. Es steht auch nirgends geschrieben, wird dürften die Bibel nicht auslegen. Denn zur Zeit Jesu und in der Urgemeinde gab es keine Bibel. Es gab auch kein Tempolimit und keine Klimakrise. Daher befasst sich die Bibel nicht damit. Aber in ihr steht alles für Krieg und Unfrieden und wie man die Welt mit mehr Barmherzigkeit und Liebe besser macht, weil Gott sich dies wünscht. Dazu hat Jesus die Bergpredigt gehalten und die ist zeitlos aktuell.

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