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Einheit unter Christen: Dem anderen den Glauben glauben

Die beiden Theologen Stephanus Schäl und Thorsten Dietz sprechen über Gemeinsamkeiten und Unterschiede in ihrer Sicht auf das Thema „Einheit unter Christen“.

Stephanus, du hast das Statement (Jesus.de-Artikel „4 Wege, um Einheit unter Christen zu fördern“) von Thorsten gelesen. Gibt es einen Satz, den du highlighten möchtest?

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Stephanus Schäl: Da gibt es viele Sätze, da würde ich sagen: sehr gut getroffen. Es sind für mich zwei Sätze, die ich mag, weil ich in die gleiche Richtung stoße und einen Satz, den ich feiere, weil ich den bisher nicht im Blick hatte. Und den finde ich auch richtig gut.

Bei „Bescheidenheit lernen“, Thorsten, da schreibst du: „Gemeinsamkeit kann nur dort entstehen, wo man einander den Glauben glaubt.“ Das finde ich eine ganz tolle Formulierung! Und du endest damit, die Beurteilung des anderen Gott zu überlassen. Ich glaube, wenn wir über Einheit reden und darum ringen, dann ist das oft eine Crux, dass wir es nicht Gott überlassen, sondern es doch lieber selber machen wollen.

Der zweite Punkt ist im Abschnitt „Den Auftrag annehmen“. Ich finde, du setzt da einen ganz wichtigen Akzent: „Für alle Kirchen und Verbände dürfte das die entscheidende Herausforderung sein: Einheit nicht zu zerreden, sondern im Einsatz für gemeinsame Ziele erfahrbar werden zu lassen. Zentrale Bedeutung hat die Besinnung auf die gemeinsame Sendung der Kirche.“ Ich schreibe ja, dass wir vom Kampf- zum Dialogmodus gehen müssen. Und du setzt noch einen drauf: Wir müssen zum Sendungsmodus kommen. Ich finde das Ringen, das eher theoretische Ringen wichtig, aber der Punkt ist ja nicht, dass wir uns in einem Diskurs auf Einheit einigen, sondern dass wir als Kirche Jesu das umsetzen, was wir leben sollen.

„Aber vielleicht hat es dieses ‚christliche Abendland‘ in der utopischen nostalgischen Form wirklich nie gegeben. Das finde ich sehr bedenkenswert.“

Stephanus Schäl

Der dritte Punkt, den hatte ich bisher in meiner Biografie und in meinem Denken zu wenig auf dem Schirm. Ganz am Anfang, unter „Den Standort bestimmen“, da schreibst du: „Das ‚christliche Abendland‘ ist nicht selten die nostalgische Fiktion einer guten alten Zeit, die es nie gegeben hat. Die durchgreifende Christianisierung der Welt war in starkem Maße auch mit der Überformung des Christentums durch autoritäres, machtförmiges Denken und Handeln verbunden.“ Dieses Machtproblem des christlichen Glaubens, das wird mir zunehmend bewusster. Ich glaube, das wird auch manchmal überstrapaziert. Aber vielleicht hat es dieses „christliche Abendland“ in der utopischen nostalgischen Form wirklich nie gegeben. Das finde ich sehr bedenkenswert.

Wir drehen den Spieß mal um: Thorsten, hast du auch bei Stephanus (Jesus.de-Artikel „Herausforderung: So gelingt Einheit unter Christen“) etwas gefunden, wo du sagst: Das möchte ich noch unterstreichen?

Thorsten Dietz: Ja, durchaus. Ich gehe den Anfang sehr gerne mit: Wir müssen uns nach zwei Seiten abgrenzen. Aber ich finde es richtig stark, dass du dann sagst: Das fällt uns schwer, weil unsere Prägung, unsere blinden Flecken uns oft daran hindern. Und wir brauchen die andere Seite, um das zu merken. Da sollten wir weiterdenken.

Dann hast du sehr stark den Dialog betont. Du hast schon richtig beobachtet, dass ich da Sendung betone. Ich finde es aber gut, dass du sagst: Wir brauchen auf jeden Fall den Dialog. Ich habe mich gefragt: Habe ich das in meinem Text vielleicht zu kurz kommen lassen? Ich finde den Impuls so wichtig: Wir dürfen einander nicht aufgeben, auch nicht, wenn es schwer war oder ist. Vom Kampf- zum Dialogmodus und schauen, wie man aus dem Lager herausfindet.

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Der dritte Punkt, den ich auch ganz und gar unterstreichen möchte, den ich sehr schön finde: die Bibel als Vorbild, als Einheit ganz verschiedener Stimmen über Jahrtausende, über Generationen. Der rote Faden: Jesus. Das finde ich wirklich die zentrale Spur. Die Mitte und die Vielfalt, die Buntheit gehören zusammen. Eine starke Mitte kann sehr, sehr viel Buntes und Verschiedenes aushalten.

Thorsten, hast du denn auch irgendwas gefunden, wo du sagst: Das würde ich völlig anders formulieren?

Thorsten Dietz: Sagen wir mal so, ich habe wenig bis nichts gefunden, wo ich sagen würde: Diesen Satz weise ich zurück. Zum Stichwort Beliebigkeit: Da habe ich das Gefühl, da machen es sich viele ein bisschen zu einfach. Ich höre manchmal: „In der Kirche ist ja alles beliebig“. Das ist so nicht.

Viele Dinge werden dort sehr ernst genommen. Es wird zum Beispiel sehr intensiv darüber diskutiert, ob man überhaupt noch Fleisch anbietet in kirchlichen Tagungshäusern. Es wird über Tempolimit und Tierschutz und Frauenrechte und die Rechte von Transmenschen geredet. Ich kenne in den Landeskirchen keine Menschen, die sagen würden: „Ich finde Beliebigkeit super, soll doch jeder, wie er will.“ Da müsste man vielleicht nochmal nachschärfen. Da ist mir der Begriff „Beliebigkeit“ ein bisschen zu grob. Was ich stärker beklagen würde, ist nicht, dass Leute in sich beliebig sind, sondern, dass sie einander ignorieren. Dass ein Nebeneinander stattfindet, in dem man einander egal ist. Das finde ich schlimmer.

„Für mich ist eine Sache wichtig: das Festhalten an der Wahrheit der Bibel und gleichzeitig das Anerkennen, dass ich eine eigene Perspektive auf diese Wahrheit habe.“

Stephanus Schäl

Stephanus, was meinst du dazu?

Stephanus Schäl: Wir müssen Einheit und Einheitlichkeit definieren. Und wir müssen Beliebigkeit definieren. Das große Problem ist, dass aus konservativer Perspektive immer die Liberalen beliebig sind. Ich sehe aber die Beliebigkeit genauso auf konservativer Seite. Im Blick auf: Welche Lehren sind denn für uns Status Confessionis? Also: Was ist definitiv nicht verhandelbar? Ich will das nicht den Lagern zuordnen, sondern ich sehe es grundsätzlich so, dass Beliebigkeit eine Gefahr ist.

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Für mich ist eine Sache wichtig: das Festhalten an der Wahrheit der Bibel und gleichzeitig das Anerkennen, dass ich eine eigene Perspektive auf diese Wahrheit habe. Und ich glaube, Beliebigkeit geschieht dann, wenn ich den ersten Teil weglasse. Wenn ich sage, ich will gar nicht mehr von einer Offenbarung ausgehen und ich ringe gar nicht mehr um das Verständnis einer Offenbarung, sondern es ist beliebig, woraus ich mein Weltbild ziehe. Dann wäre es für mich Beliebigkeit.

Thorsten, du nickst.

Thorsten Dietz: Ja, das ist auch meine Beobachtung, dass verschiedene Lager manchmal Punkte haben, wo sie sehr entschieden sind und andere Punkte, auf die es ihnen nicht so ankommt. Ich denke, da müsste jeder mal in den Spiegel schauen. Diese Unterschätzung von einzelnen Fragen, die gibt es in unterschiedlichen Ausprägungen.

Das totale Gegenteil von Beliebigkeit fände ich aber auch sehr falsch. Ein gewisses Maß an Offenheit ist gut und keine Beliebigkeit. Darum muss man ringen. Und grundsätzlich sagen: Wir kommen von der Bibel her und nehmen an der Bibel Maß. So wie ich die Christenheit mitbekomme, würden das aber alle für sich in Anspruch nehmen.

Stephanus, gab es Formulierungen von Thorsten, bei denen du gezuckt hast?

Stephanus Schäl: Es gibt keinen Satz, wo ich sage: Damit habe ich extrem Mühe. Aber es gibt zwei Dinge, die ich anders ausgedrückt hätte. Bei „Bescheidenheit lernen“: absolut d’accord. Es ist ja unser riesengroßes Problem – und ich weiß gar nicht, wo das herkommt –, dass wir so ein überfrachtetes Selbstbewusstsein haben und sagen: „Ich habe die Wahrheit und alle anderen nicht“. Definitiv.

Ich würde aber hinzufügen wollen: Als Christen haben wir aber trotzdem, weil wir in der Beziehung zum Schöpfer stehen, auch Grund zu einem ganz gesunden Gottesbewusstsein oder auch Offenbarungsbewusstsein. Ich bin ja aus Überzeugung Christ und mein Lebensmodell fußt auch aus Überzeugung auf diesem Weltbild.

Und das Zweite: Bei „Auftrag annehmen“ fand ich deine Punkte gut. Ich würde dort zusätzlich noch die Einladung betonen, Teil der großen Geschichte Gottes zu sein. Die Einladung, nicht nur diese Zugehörigkeit zu erleben, sondern Teil des Reiches Gottes zu werden. Die Missio Dei, das Gesandtsein durch Gott, halte ich daraus für wichtig.

Vielen Dank für diese Klärungen. In einem zweiten Teil des Gesprächs wird es in der nächsten AUFATMEN-Ausgabe darum gehen, wie diese Einheit wächst, wie sie konkret aussehen kann und über welche Klippen sie springen sollte.

Das Interview führte Martin Gundlach, Redaktionsleiter von AUFATMEN.

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Dieser Artikel stammt aus der Zeitschrift AUFATMEN. AUFATMEN ist Teil des SCM Bundes-Verlags, zu dem auch Jesus.de gehört.

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4 Kommentare

  1. Gott ist Gott

    „Dem anderen den Glauben glauben“! Dies halte ich für enorm wichtig. Oder: Vom Kampf- in den Dialogmodus treten. Ich glaube auch nicht, dass – wie EinFragender schreibt – jemand ausgegrenzt wird weil er Kritik äußert. Beliebigkeit sei aber nicht christlich. Aber – nach welchem Maßstab können wir denn beurteilen, was ich als Christin oder Christ noch denken, sagen oder tun kann – und wo gewissermaßen die Grenze ist vom Christlichen zum Nichtchristlichen? Ich glaube, diese Grenze gibt es einfach nicht. Wer sie festlegen würde müsste wie Gott allwissend sein, was wir aber nicht sind. Der Maßstab Jesu war, dass wir nicht richten sollen, weil unser eigenen Maßstab auch an uns selbst angelegt werden wird. Gott lässt sich auch nicht objektivieren. Weil er Gott ist und kein messbares, sichtbares und erklärbares Sein hat, sondern vor allem Unendlichkeit in jeder Beziehung ist. Gott wird aber für mich selbst Wahrheit, wenn er zu mir spricht, meine Gebete erhört, wenn er durch meine Seele geht und ich mit ihm Erfahrung mache. Christinnen und Christen sind dann Menschen, die eine persönliche Beziehung zu Gott haben. Ich könnte ja auch behaupten, und hätte sogar recht: Es gibt nichts, was Gott nicht tut und im Grunde bestimmt er alles im unendlichen Universum, also auch in meinem Leben. Aber trotzdem ist nicht alles vorherbestimmt, denn wäre alles vorherbestimmt, hätte ich keinerlei Verantwortung, mein Leben wäre wie eine Rolltreppe die ich nicht steuern kann, also muss ich dorthin fahren, was gewissermaßen total determiniert ist. Wenn also Gott gleichzeitig alles bestimmt und doch alles nicht vorherbestimmt ist, dann beschreibt dies nur eine einzige Realität: Wir können Gott nicht begreifen. Ich begreife also Gott nicht nur als Liebe, sondern auch als etwas unverfügbares. Wäre Gott verfügbar, erklärbar, sichtbar, beschreibbar, dann wäre er wie die alten Götter der Römer und Griechen. Also nur Abbildungen unserer Vorstelllungen. Deshalb muss ich dem Anderen den Glauben glauben. Denn jede Vorstellung von Gott ist auch nur eine Vorstellung, ein Bildnis, dass ich mir ja eigentlich noch nicht einmal machen soll. Aber insbesondere ist eine bildhafte Vorstellung von Gott eben doch menschlich. Ich würde mich als eher geistbewegt bezeichnen und Dogmen können für mich nur Hilfsmittel sein, aber nicht Abbildung von Wahrheit. Selbst Paulus hat dies so gesehen, nämlich dass wir Gott nur erkennen können wie in einem dunklen Spiegel, aber erst in Gottes Neuer Welt von Angesicht zu Angesicht. Dann werden wir auch erfahren warum wir sind und nicht das Nichts.

  2. Kein Fleisch, Tempolimit, Frauenrechte und Transrechte, wird darüber wirklich gesprochen auf biblischer Grundlage.

    Nein, wer hier Kritik äußert und unabhängig davon ob er/sie es biblisch oder naturwissenschaftlich begründet, wird ausgegrenzt.
    Das ist das eigentliche Problem und hat nichts mit Beliebigkeit zu tun. Das müssten die Diskutanten wissen.
    Dieser enge Korridor wird von den meisten Menschen verurteilt, zu Recht!
    PS: Beliebigkeit ist es dann wenn man alles als christlich akzeptiert, obwohl es das nicht ist.

    • Na dann schreib doch mal, was die Bibel deiner Meinung nach zum Tempolimit sagt.

      • Die Bibel ist kein Rezeptbuch

        Lieber „Der Andere Jörg“: Die Bibel ist kein Rezeptbuch und sie ist nicht vom Himmel gefallen. Insofern ist sie, neben anderer Literatur, vor allem Überlieferung von Gottes- und Glaubenserfahrung aus Jahrtausenden. Aber diese Texte und Bücher, die heute unsere Bibel sind, haben menschliche Autoren überliefert und in die Bibel aufgenommen, andere aber nicht. So glaube ich dennoch fest daran, dass die Bibel Gottes Wort ist, aber nicht in einem perfektionistischen Sinne. Wer heute seine Glaubenserfahrungen eines ganzen Lebens vollständig aufschreiben würde, könnte damit praktisch seine eigene Bibel schreiben. Sie hätte aber wie unsere Heilige Schrift immer auch menschliche Meinung, denn diese wurde und wird immer mittransportiert. Eben deshalb darf und muss man die Bibel auslegen – und zwar am Neuen Testament und an Jesus Christus. Die Bibel sagt nichts zum Tempolimit. Aber auch nicht zu Queren Menschen, die heute auch Christen sind und gut miteinander zu leben versuchen. Die hat es im Bewusstsein früherer Zeitalter einfach nicht gegeben. Denn da wo uns andere Menschen begegnen, begegnet uns auch das Liebesgebot.

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