Ein christlicher Dichter aus der Barockzeit und die Neandertaler – eine kuriose Verbindung, die eher unbekannt ist. Sein Lied „Himmel, Erde, Luft und Meer“ ehrt die Schöpfung Gottes.
Von Dr. Ute Zintarra
1 Himmel, Erde, Luft und Meer
zeugen von des Schöpfers Ehr;
meine Seele, singe du,
bring auch jetzt dein Lob herzu.
2 Seht das große Sonnenlicht,
wie es durch die Wolken bricht;
auch der Mond, der Sterne Pracht
jauchzen Gott bei stiller Nacht.
3 Seht, wie Gott der Erde Ball
hat gezieret überall.
Wälder, Felder, jedes Tier
zeigen Gottes Finger hier.
4 Seht, wie fliegt der Vögel Schar
in den Lüften Paar bei Paar.
Blitz und Donner, Hagel, Wind
seines Willens Diener sind.
5 Seht der Wasserwellen Lauf,
wie sie steigen ab und auf;
von der Quelle bis zum Meer
rauschen sie des Schöpfers Ehr.
6 Ach mein Gott, wie wunderbar
stellst du dich der Seele dar!
Drücke stets in meinen Sinn,
was du bist und was ich bin.
Text: Joachim Neander (1680), Melodie: Georg Christoph Strattner (1691). Das Lied steht im Evangelischen Gesangbuch unter Nr. 504.
„Vermehrte Glaub- und Liebesübung: Aufgemuntert durch Einfältige Bundes-Lieder und Danck-Psalmen.“ So heißt es im Jahr 1708 auf dem Titelblatt eines Liederbuches. Aufmunterung – etwa durch Hinweise auf Gott und seine Größe. Oder durch eine Erinnerung an seine Taten – in der Geschichte und im eigenen Leben. Das Lied „Himmel, Erde, Luft und Meer“ ist – „zur Aufmunterung“ in diesem alten Liederbuch auf einer Doppelseite abgedruckt. Unter der Melodie samt einer bezifferten Bass-Stimme quer über beide Seiten findet sich der Text der ersten Strophe. Die weiteren fünf Strophen sind darunter abgedruckt. Links heißt es etwas altertümlich „Der in Gottes Geschöpffen sich Erlustigende“ – etwa im Sinne von „der sich an Gottes Schöpfung freut“. Und auf der rechten Seite ist es ein Bibelzitat (Apostelgeschichte 14,17) „Gott hat sich nicht unbezeugt gelassen durch Gutes thun.“
Gott zeigt sich in der Schöpfung und er tut viel Gutes. Darin kann man ihn erkennen. Aber das Erkennen setzt das Sehen voraus – und hier sind wir mitten in dem Lied angekommen. Viermal in den sechs Strophen fordert der Liederdichter zum Hinsehen auf; damit lenkt er den Blick des Sängers auf immer andere Facetten der Schöpfung. „Seht hin auf dieses und jenes“ – will er sagen – „schaut hierhin und dorthin und erkennt darin Gottes Finger, seinen Willen, erkennt, wie alle geschaffenen Dinge ihren Schöpfer ehren!“ Die Schöpfung selbst ehrt also Gott und der Mensch soll‘s ihr nachtun. Er soll zum Singen und Loben ermutigt oder noch besser: aufgemuntert werden. So beginnt das Lied. Daran schließt sich in vier Strophen die – wie ich sie nennen möchte – „Seh-Schule“ an. Am Ende des Liedes ist der Sänger ganz überwältigt von dem Bild, das die Schöpfung von Gott zeichnet. Aber was ist nun die entscheidende Lektion in dieser „Seh-Schule“? Seine Bitte ist: Er möchte das Wesen Gottes erkennen und was sein eigenes Wesen und damit seine Stellung zu Gott ist. Demütige Anbetung – das ist die Quintessenz. Wer hat den Text gedichtet, wer hat die Melodie komponiert? Beide – der Wort- wie der Tonkünstler – haben in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts gelebt, davon dreißig Jahre sozusagen parallel. Der Dichter Joachim Neander wurde allerdings nicht sehr alt, um fast 25 Jahre hat ihn der musikalische Kollege Georg Christoph Strattner überlebt.
Die Lebenslinie des Komponisten begann am Neusiedler See und endete in Weimar, die des Dichters begann und endete in Bremen. Allerdings gab es da eine Zwischenstation auf dem Lebensweg – mit bemerkenswerten Folgen. Der Nachname des Dichters, Neander, gab nämlich einem Fluss-Tal (in dem er sich gerne und oft aufhielt) seinen Namen. Als man dort Mitte des 19. Jahrhunderts den Schädel eines Urzeitmenschen entdeckte, hat dieser den Namen des Fundortes erhalten. Vermutlich aber werden die wenigsten, die sich mit dem ausgestorbenen Verwandten des Homo sapiens beschäftigen, an den Dichter geistlicher Lieder denken. Zu seinen bekanntesten Werken gehört der Choral „Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren„. Mir persönlich ist die Melodie des Liedes nicht so sehr in Verbindung mit dem Text aus dem 17. Jahrhundert vertraut, sondern mit einem anderen Text. Der entstand im Jahr 1932, spiegelt etwas von dem Ernst dieser Zeit wider und benennt die Entscheidungen und Kämpfe, die Christen darin zu bestehen haben.
Dr. Ute Zintarra ist Musikwissenschaftlerin, Kirchenmusikerin und hat als Musikredakteurin bei ERF Medien gearbeitet.
Eine völlig irreführende Überschrift über einem sehr interessanten Artikel …