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Witwe mit 38: „Wer war ich jetzt überhaupt noch?“

Der Partner tot, die Lebensträume geplatzt: Mit 38 beginnt für Alexandra ungewollt ein neues Leben. Sie kämpft sich durch die Trauer. Große Unterstützung erlebt sie in ihrer Gemeinde.

Als ich 38 Jahre alt war, starb mein Ehemann nach einer kurzen, schweren Krankheit. Damals sagte eine gute Freundin zu mir: „Der Tod verändert einen.“ Sie wusste, wovon sie sprach, denn einige Jahre zuvor war einer der wichtigsten Menschen in ihrem Leben gestorben. Ihr Satz hat mich in meiner Trauer begleitet und mir geholfen. Und sie hatte recht: Mein Verlust und mein Weg, damit zu leben, haben mich tief verändert.

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Zu Anfang ein kleiner Rückblick darauf, wer ich war, damit man besser versteht, wer ich jetzt bin und warum das so ist. Ich wurde 1976 am östlichen Rand des Ruhrgebiets geboren und bin dort aufgewachsen. Als ich zwanzig war, lernte ich freie Christen kennen und entschied mich für ein Leben mit Jesus. Ich machte eine Ausbildung zur Buchhändlerin und heiratete mit 22 meinen Freund, der mich zum Glauben geführt hatte: Carsten Schmelzer.

Große Träume: Im Auftrag Gottes die Welt verändern

Wir lebten als junges Ehepaar in der Kleinstadt und hatten große Träume davon, im Auftrag Gottes die Welt zu verändern. In unserer gemeinsamen Lebensplanung ging es eher um Gemeindegründung und Mission als um Kinderkriegen und Häuschenbauen. Was wir konnten und hatten, wollten wir für Gott einsetzen, damit Menschen ihn kennenlernen und genauso begeistert von ihm sein könnten wie wir.

1999 lernten wir die Jesus Freaks in Remscheid kennen. Die Jesus Freaks sind eine alternative christliche Bewegung mit Gruppen und Events in ganz Deutschland. Ein besonders wichtiger Wert ist für sie, jeden Menschen so anzunehmen, wie er oder sie ist, unabhängig von Kultur und Herkunft. Carsten und ich waren total begeistert, denn hier trafen wir Leute, die so waren wie wir: Sie mochten ausgefallene Frisuren und Klamotten, sie hörten Punk und Metal – noch dazu mit christlichen Texten – und Jesus war ihnen wichtiger als Karriere und Wohlstand. Hier waren wir richtig!

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In den nächsten Jahren wurde die Remscheider Jesus Freaks-Gemeinde unser Lebensmittelpunkt: Ich arbeitete in den verschiedensten Bereichen mit wie Gottesdienstmoderation, Gebetsteam und natürlich Büchertisch. Carsten predigte regelmäßig und wurde Gemeindeleiter. Andere Jesus Freaks-Gruppen baten ihn, bei ihnen zu predigen, später kamen auch andere freie Gemeinden dazu. Unsere Kreise wurden immer weiter. Mein Mann hielt Seminare und schrieb Artikel und Bücher. Wir arbeiteten sehr viel, aber es war ja für Gott, also konnte uns doch nichts passieren. Oder?

Als ich Mitte dreißig war, hatte ich öfter mal das Gefühl, dass mir das alles zu schnell geht. So viele Termine und ständig neue Leute, das konnte ich nur mit Mühe verarbeiten. Carsten hatte schon einige Bücher veröffentlicht, auch bei größeren christlichen Verlagen, und das Schreiben wurde der Schwerpunkt seiner Arbeit. Jeden Tag saß er stundenlang in seinem Arbeitszimmer und brütete über Texten. Es füllte ihn ganz aus, verlangte ihm aber auch viel ab.

Keine Überlebenschance: Mit einer Hirnblutung ins Krankenhaus

Anfang 2015 hatte er wieder ein Buch veröffentlicht, und danach ging es ihm nicht gut. Er war oft müde und niedergeschlagen, reizbarer als früher und irgendwie rastlos. Er kam nicht zur Ruhe. Im Mai ging er zum Hausarzt und bekam die Diagnose schwerer Bluthochdruck mit hohem Risiko eines Herzinfarkts oder Schlaganfalls. Wir machten uns große Sorgen und versuchten, sofort alles runterzufahren. Aber anscheinend war es schon zu spät, denn Anfang Juni brach Carsten wegen einer Hirnblutung zusammen. Er lag im Krankenhaus im Koma, man gab ihm keine Überlebenschance.

Jeden Tag saß ich bei ihm. Unglaublich viele Menschen beteten für ihn, damit er wieder aufwacht und gesund wird. Tatsächlich verbesserte sich sein Zustand so sehr, dass selbst die Ärzte verblüfft waren. Ich machte mir große Hoffnung, dass er geheilt würde und dass wir eines dieser seltenen krassen Wunder erleben würden. Doch nach knapp drei Wochen traten schwere Komplikationen auf, an denen er plötzlich verstarb. Er wurde nur 43 Jahre alt. Nach 17 Jahren Ehe war ich mit 38 Witwe.

„Es ist schwer zu beschreiben, man kann es nicht nachvollziehen, wenn man so etwas nicht selbst erlebt hat.“

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Für das, was darauf in mit mir passierte, gibt es nur Beschreibungen, die wie Phrasen klingen: Ich war zutiefst erschüttert, wie vor den Kopf geschlagen, meine Welt brach zusammen. Plötzlich waren diese Phrasen in meinem Leben wahr. Zwei Jahre lang wachte ich jeden Morgen auf und mein erster Gedanke war: Carsten ist tot. Wie kann die Sonne jetzt aufgehen, wie kann die Welt sich weiterdrehen, wenn er doch nicht mehr da ist? Das geht doch nicht! Es ist schwer zu beschreiben, man kann es nicht nachvollziehen, wenn man so etwas nicht selbst erlebt hat.

Alles war plötzlich anders, und noch dazu so unwirklich wie in einem Traum. Ich musste eine Beerdigung organisieren, ich musste mich mit Ämtern, Verträgen, der Bank und dem ganzen Kram auseinandersetzen. Es war mühsam und kompliziert, aber noch lebte ich im Ausnahmezustand. Nach einigen Monaten wurde es ruhiger, und dann wurde mir erst bewusst, dass sich mein Leben grundlegend verändert hatte.

„Der Tod verändert einen“

Vorher war es komplett davon geprägt gewesen, dass ich mit jemandem zusammenlebte, den ich sehr liebte und mit dem ich alt werden wollte. Essen, wohnen, arbeiten, Gemeinde, Freizeit, sogar allein sein und eigene Interessen pflegen hatten unter dem Vorzeichen gestanden: Wir sind ein Ehepaar, wir gehören zusammen. Aber Carsten war nicht alt geworden, und ich musste ohne ihn weiterleben. Wir würden nie ein altes Ehepaar werden, wie wir es uns immer ausgemalt hatten. Wer war ich jetzt überhaupt noch?

Meine Freundin hatte mir gesagt: „Der Tod verändert einen.“ Ich schaute genau hin und erkannte, dass auch ich längst dabei war, mich zu verändern und verändert zu werden. Ich hatte diese Veränderung nicht gewollt oder ihr zugestimmt wie bei einem Umzug oder Jobwechsel. Sie war mir aufgezwungen worden, und ich wusste nicht, ob ich es schaffen würde.

Ins neue Leben hineinwachsen

Wir hatten keine Kinder, also lebte ich jetzt allein. Ich blieb in unserer Wohnung und arbeitete weiter im Buchladen unserer Gemeinde. Sonntags ging ich wie gewohnt zum Gottesdienst. Das gab mir Stabilität und Kraft. Aber was soll ich jetzt essen, und wann? Was mache ich abends nach der Arbeit, um zu entspannen? Mit wem rede ich über das, was mir wichtig ist? Wohin fahre ich in den Urlaub? Wer ist für mich da?

Unsere Gemeinde war in dieser Zeit wirklich großartig. Alle kümmerten sich um mich, nahmen mich mit zu ihren Familienausflügen und kochten für mich. Sie halfen mir im Haushalt und bei lästigem Orgakram. Sie verbrachten viel Zeit mit mir und hielten zu mir. Das tat mir gut. Es bremste den Sturzflug der Veränderung stark ab, sodass ich wenigstens etwas sanfter in mein neues Leben hineinwachsen konnte. Ich kann gar nicht jede kleine oder große Sache aufzählen, aber ich bin bis heute von ganzem Herzen dankbar dafür.

„Körper und Seele brauchen viel Energie zum Verarbeiten der Trauer.“

Mit der Zeit wurde mir klar, dass Trauer nicht nur aus starken Gefühlen besteht, die irgendwann wieder vergehen. Sie verändern die Perspektive auf das Leben, seinen Rhythmus und sein Tempo. Körper und Seele brauchen viel Energie zum Verarbeiten der Trauer. Früher hatte ich oft durchgezogen, wenn es stressig wurde. Erholen konnte ich mich auch später, wenn es besser passte, es gab doch grade so viel zu tun. Nach Carstens Tod sank meine Belastbarkeit jedoch in den Keller.

Ich war häufig erkältet und schneller erschöpft, lebte gezwungenermaßen langsamer. Dadurch musste ich viele Aufgaben abgeben und weniger arbeiten. Andererseits lernte ich grundlegend, dass ich gut auf mich achten, seelische und körperliche Signale ernst nehmen und darauf eingehen muss. Ich habe Grenzen, und niemand kann sie respektieren, wenn ich sie nicht selbst schütze.

Alte Verletzungen melden sich wieder

Eine Krise hat etwas von einer Destillation: Sie konzentriert unsere guten und schlechten Eigenschaften und bringt sie deutlich hervor, Überflüssiges fällt oft weg. Interessanterweise brachen in meiner Trauer auch andere Lebensthemen auf, die ich zuvor nicht angeschaut hatte. Unsere stabile, liebevolle Beziehung und unser aktives, erfülltes Leben hatten mich von manchen alten Verletzungen und Problemen abgelenkt. Jetzt meldeten sie sich wieder. Um mich damit auseinanderzusetzen, suchte ich mir Unterstützung in Seelsorge und Therapie. Auch das führte zu Veränderungen in meiner Persönlichkeit und meiner Lebensweise.

Lange fehlte mir der Mut, in die Zukunft zu planen. Wozu sollte ich mir überhaupt etwas vornehmen, wenn doch eh alles total ungewiss und riskant war? Meine Zukunft war mit Carsten verbunden gewesen. Jetzt war er nicht mehr da. Das führte dazu, dass ich jeden Lebensbereich hinterfragte: Wie habe ich bis jetzt gelebt? Welche Teile unseres gemeinsamen Lebens funktionieren noch mit mir alleine? Was will ich weiterführen? Was geht jetzt nicht mehr – und wie kann ich es loslassen? Und vor allem: Was kann neu dazukommen? Worauf habe ich Lust, was fällt mir auf den Weg, was muss ich angehen?

Immer, wenn ich etwas entdeckte, was mir Freude bereitet und mich weiterbringt, mischte sich auch Traurigkeit hinein, dass ich es nicht mehr mit Carsten teilen konnte und dass es überhaupt nur angefangen hatte, weil er nicht mehr da war. Ein Beispiel: Wenige Wochen vor seinem Zusammenbruch sagte er zu mir: „Ich weiß, dass du sowieso schon viel zu viel zu tun hast, aber ich glaube, ich soll dir von Gott sagen, dass du schreiben sollst.“ Damals spürte ich, wie ernst er es meinte. Und heute sitze ich hier und schreibe einen Artikel darüber, wie ich ihn verloren habe und damit leben lernen musste.

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Mein Leben ist heute ganz anders als vor sieben Jahren. Ich bin heute ganz anders als vor sieben Jahren. Im Frühjahr 2016, am Ende des ersten Trauerjahres, fuhr ich zu einer Exerzitienwoche nach Bayern. 2021 war ich dann wieder im selben Haus und hatte denselben geistlichen Begleiter. Er sagte zu mir: „Sie sind nicht mehr die Gleiche wie vor fünf Jahren, und Sie sind nicht mehr die Gleiche wie vor dem Tod Ihres Mannes. Sie können nicht mehr in Ihr altes Leben zurück, aber das ist auch gut so. Und Gott ist bei Ihnen in dem allem.“ Diese Worte haben mich tief berührt, denn sie sind so wahr.

Mein Leben und meine Persönlichkeit sind geprägt von über zwanzig Jahren Freundschaft und Ehe mit Carsten, aber auch von meinem Umgang mit dem Verlust. Dabei habe ich gelernt, dass immer wieder gute Sachen passieren – egal, wie viel Schlimmes vorher passiert ist. Es gibt so viel Gutes auf der Welt. Niemand kann es aufhalten, und ich darf es annehmen, wenn es mir passiert. Das heißt nicht, dass das Unglück einen Sinn oder einen Grund hatte. Aber das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis kann es einfach nicht auslöschen. Es wird immer wieder aufleuchten und die Welt heller machen. Danke dafür, Jesus.

Alexandra Schmelzer ist Buchhändlerin und lebt im Bergischen Land.


Ausgabe 4/22

Dieser Artikel ist in der Frauenzeitschrift JOYCE erschienen. JOYCE ist Teil des SCM Bundes-Verlags, zu dem auch Jesus.de gehört.

Carsten „Storch“ Schmelzer hat auch Andachten für Jesus.de geschrieben.

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3 Kommentare

  1. Ich habe ähnliches erfahren und kann sagen:
    Mitten in den finstersten und gruseligsten Zeiten war Gott da, hat mich getragen und ausgehalten. Auch meine Kinder und ich haben in und außerhalb unserer Gemeinde viel Unterstützung erfahren. Ich kann sagen Gott ist treu und die Menschheit besser, als ihr
    Ruf.
    Allerdings: Wenn dir der Ehepartner vor der Zeit verstirbt und du neu zu leben beginnst, irritiert das dein Umfeld. Und Trauer ist nicht irgendwann vorbei. Sie wird erträglicher, allerdings muß man daran arbeiten und Veränderung zulassen. Mit dem Tod meiner Frau hat sich alles geändert. Ich glaube aber, das Gott diese gruseligen Ereignisse in unseren Leben bei der Gurgel packt und solange würgt, bis sie In irgend einer Form Sinn ergeben. Schrecklich bleiben sie, aber sie verlieren ihre Sinnlosigkeit. Man kann dann -trotzdem- weiterleben und irgendwie wird es auch gut. Aber die Zeit vorher ist vorbei.
    Ich bin Gott dankbar, daß er mit meiner Familie und mir durch diese Zeit geht. Aber ich wünsche niemanden, das er so etwas erleben muss.

  2. Am Ende wird alles gut

    Andrea Schmelzer hat einen guten und sehr beeindruckenden Lebensbericht geschrieben. Wie sie können viele Menschen berichten: Lebenskrisen sind nicht nur manchmal Katastrophen, sie sind auch Wegstrecken unseres Lebens die uns ändern können. Die Krise, auch die Trauer, ist immer eine Chance. Das Leben sieht nicht mehr so aus wie vorher. Wir alle verändern uns. Nach dem Tod eines geliebten Menschen werden wir anders. Sehr zentral für uns Christinnen und Christen könnte der Satz sein, mit der die Autorin jedem in ähnlicher Situation Hoffnung machen kann: „Aber das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis kann es einfach nicht auslöschen. Es wird immer wieder aufleuchten und die Welt heller machen“! Am Ende des Tunnels ist Licht. Bei uns Jesusnachfolgern ist es Gott selbst, bei dem wir nie tiefer fallen können als in seine geöffneten Hände. Keine Macht der Welt und des Universums kann uns aus der fürsorglichen Liebe Gottes verbannen. Genauso wenig kann kein Mensch, der auf Erden je geboren wird, sich an Gott und seiner Liebe vorbeimogeln: Am Ende wird alles gut. Weil wir auf einen Neuen Himmel und eine Neue Erde warten.

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