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Junge Menschen gründen ein Kloster – So sieht es aus

Sie haben im 21. Jahrhundert ein modernes Kloster mitten in der Stadt gegründet: In Arnheim leben, essen und beten drei protestantische Familien zusammen. Ines Schaberger hat sie zwei Tage lang besucht.

Montagvormittag in einer niederländischen Großstadt knapp zwei Stunden Zugfahrt von Köln entfernt. Ein für die Gegend typisches, schmales Haus aus dunkelrotem Backstein. Fahrräder vor der Haustür. So weit, so gewöhnlich. Ein Schild verrät mir jedoch, dass ich hier mehr finden werde als ein Einfamilienhaus: „Stadsklooster“, auf Deutsch: „Stadtkloster“, steht da in türkisen Lettern geschrieben.

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Ich bin mit Marieke, einer Studentin Ende 20, verabredet. Sie wohnt mit ihrem Mann Bart und zwei weiteren Familien hier. Die nächsten zwei Tage werde ich mit ihnen leben. Dafür hat mir der jüngste Klosterbewohner sogar sein Kinderzimmer überlassen. Zwischen Kinderbüchern und Stofftieren verstaue ich meinen Rucksack und staune über so viel Gastfreundschaft.

„Wer gründet im 21. Jahrhundert noch ein Kloster?“

Alternative zur Kleinfamilie

Bei einem Cappuccino im Hipster-Wohnzimmer erzählt Marieke, warum es sie hierher verschlagen hat: Als sie und Bart sich verliebten, war ihnen schnell klar, dass sie nicht in einem Einfamilienhaus mit Gartenzaun und verschlossener Eingangstür leben wollten. Sie lernten Gleichgesinnte kennen und begannen, sich zum wöchentlichen Gebet zu treffen. Als sich die Möglichkeit ergab, ein Haus zu kaufen, wagten sie das Experiment „Stadtkloster“. „Wer gründet im 21. Jahrhundert noch ein Kloster?“, frage ich mich. Die meisten Gemeinschaften, die ich kenne, haben Mühe, Nachwuchs zu finden, und müssen Niederlassungen schließen. Doch das „Stadtkloster“ ist nur vom monastischen Leben inspiriert – strenge Regeln wie das Zölibat, also das Gelübde der Ehelosigkeit, gelten hier nicht. Anders als in klassischen Klöstern gibt es im Stadtkloster Arnheim auch keine Gütergemeinschaft. Jede Familie verwaltet ihr eigenes Konto.

Abendessen in der Klosterküche. Foto: Ines SchabergerBeim Abendessen in der Gemeinschaftsküche lerne ich die restliche Gang kennen: Jan-Henk und Ingeborg gehören einer Baptistengemeinde an und wohnen im obersten Stock. Thajs ist Pastor der Baptistengemeinde, seine Frau Saskia Gefängnisseelsorgerin. Mit ihren drei Kinder bewohnen sie die mittlere Etage.

„Menschliche Beziehungen sind wichtiger als ein guter Ruf“

Verfügbar und Verletzlich

Während die gefleckte Klosterkatze um unsere Füße streicht, frage ich, ob es eine Ordensregel gibt, also einen Leitfaden, der das gemeinsame Leben regelt. Ja, und zwar eine, die wie auch das liturgische Gebet von der sogenannten Northumbria-Community inspiriert ist, erklärt Jan-Henk. Diese Gemeinschaft, die vor knapp 40 Jahren in England entstand, verbindet Menschen auf der ganzen Welt, die sich dem Gebet verschrieben haben. „Verfügbarkeit“ und „Verletzlichkeit“ seien ihnen wichtig – also eine Haltung der Offenheit gegenüber Gott, anderen Menschen und sich selbst. „Menschliche Beziehungen sind wichtiger als ein guter Ruf, es geht uns darum, wir selbst sein zu können und offen auf andere zuzugehen“, fügt Marieke hinzu.

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Die drei Ehepaare waren nicht befreundet, als sie einzogen. Was sie verband, war die Sehnsucht nach einem Leben, das vom Gebet durchdrungen ist. Wie in einem Kloster, wo man sich die Mitbrüder oder Mitschwestern nicht aussuchen kann, mussten auch sie lernen, mit den unterschiedlichen Menschen zusammenzuleben, erklärt Ingeborg. Ihr Mann Jan-Henk erzählt, warum sie den Namen „Stadtkloster“ gewählt haben. „In der Geschichte des Christentums waren Klöster Orte der Inspiration und Erneuerung, wo Christen wiederentdecken konnten, was es bedeutet, als Christ zu leben.“ Er fühle manchmal eine große Diskrepanz zwischen dem Sonntag in der Kirche und dem Montag im normalen Alltag. Deshalb treibe ihn die Sehnsucht an, herauszufinden, was christliches Leben in einer säkularen Umgebung bedeuten und wie es eine Stadt zum Erblühen bringen könne. Sich in einer Stadt und nicht in einem abgeschiedenen Haus auf dem Land niederzulassen, sei eine bewusste Entscheidung gewesen, denn: „In der Stadt zu leben bedeutet im Zentrum des Geschehens zu sein“

Alte Gebete neu entdeckt

Das Herzstück des Hauses ist der Gebetsraum im Untergeschoss. Holzhocker vor türkisen Wänden, eine große Kerze und davor die sogenannte Freundschaftsikone. Und drei Türen. Wer vom Wohnzimmer in die Küche oder auf die Toilette will, muss durch den Gebetsraum. „Das Gebet beeinflusst unseren Alltag und unser Alltag beeinflusst das Gebet“, erklärt Marieke, warum sie bewusst den Durchgangsraum zum Gebetsraum gestaltet haben.

Der Gebetsraum
Der Gebetsraum ist ein Durchgangszimmer. Foto: Ines Schaberger

Zum Abendgebet versammelt sich fast die ganze Gemeinschaft. Kerzenlicht erhellt den Raum. Das Gebet ist kurz und hat eine feste Struktur: Kreuzzeichen, Psalm 130, ein Text aus dem Alten und einer aus dem Neuen Testament. Ein paar Augenblicke Stille. Zeit zur freien Fürbitte.
Psalm 27 und ein Segenstext zum Abschluss. Die Gebetstexte sind auf Englisch, da sie aus der Northumbria-Community übernommen sind. Praktisch für mich, denn auch wenn Niederländisch wie eine Mischung aus Englisch und Deutsch klingt, verstehe ich nicht alles. Besonders spricht mich ein jahrhundertealtes Gebet an, dass „Expressions of Faith“ heißt:

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Lord, You have always given peace for the coming day; and though of anxious heart, today I believe.“

„Man muss kein Glaubensbekenntnis ablegen, um mitmachen zu können.“

Zum öffentlichen Abendgebet sind noch eine Freundin von Marieke, ein Student und ein Pensionär dazugekommen. Knapp ein Dutzend Personen kommen regelmäßig zu den Gebetszeiten und verstehen sich als Teil der Gemeinschaft. Immer wieder schauen auch Neugierige vorbei. Die meisten sind Studierende in den Zwanzigern und frühen Dreißigern – also eine Personengruppe, die in den herkömmlich etablierten Kirchen oft fehlt. „Unsere Gebete sind wahrscheinlich für viele zugänglicher als ein Gottesdienst, weil sie kleiner und familiärer sind. Man muss kein Glaubensbekenntnis ablegen, um mitmachen zu können, sondern kann einfach kommen und sich über die Fragen des Lebens austauschen“, erklärt mir Marieke später. Sie bezeichnet das Stadtkloster als Raum für die, die sonst in der Stadt keinen Platz haben – nicht als Ersatz für Kirche, sondern als deren Weiterführung.

In der Rushhour des Lebens

Der feste Rhythmus, der einen daran erinnert, regelmäßig „zurück zur Quelle zu gehen“, auch wenn man gerade keine Lust hat, sei wichtig für die Spiritualität der jungen Gemeinschaft. „Um 7:30 Uhr zu beten, auch wenn ich mich nicht immer danach fühle, musste ich erst mal akzeptieren lernen“, schmunzelt Marieke.

Am nächsten Morgen wache ich vom Geräusch der spielenden Kinder im Nebenzimmer auf. Höchste Zeit für das Morgengebet! So schnell ich kann, steige ich die schmalen Stufen hinunter in den Gebetsraum. Ingeborg und Jan-Henk warten schon, Marieke huscht hinzu und zündet die Kerze an. Die anderen sind bereits arbeiten oder mit den Kindern unterwegs. In der Rushhour des Lebens, wenn die Kinder klein sind, ist es schwer Zeit zum ruhigen Gebet zu finden, denke ich. Klar, dass Studenten sowie Paare, deren Kinder schon groß sind, sich ihre Zeit freier einteilen können. Wieder genieße ich die Gebete, die abwechselnd gesprochen werden, die Stille, die beruhigende alte Sprache und die Bibeltexte, die mir vertraut sind.

„Wie funktioniert ein Kloster, wenn nie alle da sind zum Gebet“, will ich beim Frühstück von Marieke wissen. Sie erzählt, dass alle die Gebete mittragen, so gut sie eben können. Das Mittagsgebet gab die Gruppe schnell wieder auf, weil niemand um diese Zeit im Haus war. Mittlerweile trifft sich die kleine Gemeinschaft täglich zum Morgen- und Abendgebet. Von Freitagabend bis Sonntagmorgen ist frei. Es ist und bleibt ein Spagat, der Versuch, Familie, Studium, Beruf und ein kontemplatives Klosterleben unter einen Hut zu bringen. „Als wir uns dazu entschieden haben, uns von einem monastischen Leben inspirieren zu lassen, wollten wir unser stressiges Leben nicht aufgeben, sondern sehen, wie ein Gebetsrhythmus den Durchschnittsbürger verändern kann“, erzählt Marieke. Sie berichtet, wie der Gebetsraum zu einem Ort wurde, an dem sie Hoffnung, Trost und Stärkung erlebt. „Ich hoffe, dass unser Stadtkloster ein Ort bleibt, wo Menschen, die nach Gott suchen, sich willkommen fühlen und Christus begegnen“, sagt sie. Und fügt hinzu: „Und Raum finden, sie selbst zu sein.“

Ines Schaberger ist mit dem Zug aus Wien angereist und hat bei ihrem Aufenthalt in Arnheim das „Stadtkloster“ kennen- und liebengelernt. Die Religionspädagogin arbeitet als freie Journalistin.


DRAN Artikel Modernes KlosterDieser Artikel ist zuerst in der Zeitschrift DRAN erschienen, die wie Jesus.de zum SCM Bundes-Verlag gehört.

 

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