Auch im Tod steckt Hoffnung: Das Lied „Noch ehe die Sonne am Himmel stand“ wurde nach Psalm 90 geschrieben und betont: Wir leben und sterben in Gott.
- Noch ehe die Sonne am Himmel stand,
die Nacht ein Ende fand,
noch ehe sich ein Berg erhob,
zu scheiden Meer und Land,
bist du Gott, unser Gott, die Zuflucht für und für.
Dir leben wir, dir sterben wir, wir gehen von dir zu dir. - Der du allem Leben den Atem schenkst,
hab mit uns noch Geduld;
wo wir versagen, irre gehen,
vergib uns unsre Schuld.
Du bist Gott, unser Gott, die Zuflucht für und für.
Dir leben wir, dir sterben wir, wir gehen von dir zu dir. - Der du unsre Zeit in den Händen hältst,
sei gnädig, gib die Kraft,
der Todesnot zu widerstehn,
die Menschenhochmut schafft.
Du bist Gott, unser Gott, die Zuflucht für und für.
Dir leben wir, dir sterben wir, wir gehen von dir zu dir. - Der du deine Kinder sterben lässt,
gib Weisheit, unsere Zeit
in Lob und Klage zu bestehn,
und sei im Tod nicht weit.
Du bist Gott, unser Gott, die Zuflucht für und für.
Dir leben wir, dir sterben wir, wir gehen von dir zu dir.
Eugen Eckert / Sergey Andrewitsch Bazuk
Unser Leben ist vergänglich
Wo kommen wir her und wohin gehen wir? Ist alles menschliche Tun vergeblich, weil das Leben endlich und vergänglich ist? Gibt es einen Zufluchtsort jenseits dieser Welt? Lohnt es sich überhaupt, in Hoffnung auf Sinn zu investieren? – Dies sind grundlegende Fragen: Fragen zum Verhältnis von Zeit und Ewigkeit, zur Spannung zwischen Lebenslust und Sterbekunst und ob die Klage das letzte Wort hat oder doch zum Lob findet. Darum geht es in Psalm 90, der dem Lied „Noch ehe die Sonne am Himmel stand“ zugrunde liegt.
Ein Psalm also und ein Psalmlied – und damit ein Gebet. Alles Fragen und alles Klagen ist an Gott gerichtet, den ewigen Gott, der schon vor der Erschaffung der Welt da war und unverrückbar im Strom der Zeit steht. Diesem Gott „von Ewigkeit zu Ewigkeit“ dürfen sich Menschen, denen nur eine kleine Spanne Lebenszeit zugemessen ist, vertrauensvoll im Gebet nähern. Das ist trostvoll und gibt Halt. Der Psalmbeter bekennt: „Du bist unsere Zuflucht für und für.“ Und so greift es auch der Nach-Dichter des Psalms, Eugen Eckert, in den vier Strophen seines Liedes auf.
Leben und sterben in Gott
Dabei bleibt er nicht in der Glaubenswelt des Alten Testamentes stehen, sondern schaut weiter und greift zum Beispiel auf, was der Apostel Paulus an die Christen in Rom geschrieben hat (Römer 14,8): Unser Leben wie unser Sterben sind in Gott. Durch ihn haben wir Atem und Leben – und auf seine Barmherzigkeit sind wir angewiesen. Denn solange der Mensch lebt, versagt er und geht in die Irre. Gott aber ist in Jesus geduldig und schenkt Vergebung, wo wir sie erbitten. Und auch diese Bitte gilt es immer wieder auszusprechen:
„Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.“ Klug ist – so ist es im Lied ausgeführt – wer erkennt: Gott steht über der Zeit; aber dass unsere menschliche Zeit in seiner Ewigkeit aufgehoben ist, ist sein Geschenk. Klug ist, wer die Vergänglichkeit und Begrenztheit demütig akzeptiert, hochmütig dagegen, wer meint, aus eigener Kraft dem Tod entgehen zu können. Nicht zuletzt klug ist, wer auch im Sterben noch auf die Nähe Gottes vertraut. Wie Matthias Claudius es so unnachahmlich formuliert hat: „Wollst endlich sonder Grämen aus dieser Welt uns nehmen durch einen sanften Tod. Und wenn du uns genommen, lass uns in‘ Himmel kommen, du unser Herr und unser Gott.“
Eine herbe Melodie, aber nicht depressiv
Eugen Eckert (1954), der Dichter des Psalmliedes, hat lange Zeit in und um Frankfurt/Main gewirkt: als Gemeindepfarrer, als Studentenpfarrer an der Goethe-Universität, als Stadionpfarrer in der Frankfurter „Commerzbank-Arena“. Und zuletzt war „Kirche und Sport“ sein Thema. Vor allem wurde er aber bekannt durch sein Engagement für das „neue geistliche Lied“ (NGL).
Die Melodie zu „Noch ehe die Sonne am Himmel stand“ lag schon vor, als der Text Anfang der 1990er-Jahre entstand. Geschrieben hat sie Sergey Andrewitsch Bazuk, ein ukrainischer Baptistenprediger, Chorleiter und Komponist (1910-1973). Die Melodie ist in Moll, hat damit einen leicht herben, aber keinen depressiven Ton; ihr Fluss strahlt Wärme und Zuversicht aus. Somit passt sie gut zum Charakter des Textes. Zwei markante Akzente fallen auf: Im Übergang zur zweiten Zeile eine sehr ungewöhnliche verminderte Quint aufwärts und vor der letzten Zeile eine Fermate, ein Haltepunkt, der dem Sänger Gelegenheit gibt, der Spannung im Text noch einen Moment nachzusinnen. Erst dann kommt es zum Schluss, zur Quintessenz, die bekenntnishaft aussagt, woher wir kommen und wohin wir gehen: nämlich zu dir, Gott.
Text: Dr. Ute Zintarra
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