Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Margot Käßmann, hat FDP-Chef Guido Westerwelle wegen dessen Äußerungen über Hartz-IV-Empfänger scharf kritisiert.
«Ich fürchte, durch Westerwelles Aussagen bekommen wir eine weitere Drehung in der Spirale hin zu einer Neidgesellschaft», sagte die hannoversche Landesbischöfin. Auch Käßmanns Stellvertreter an der EKD-Spitze, Präses Nikolaus Schneider, wies die Äußerungen des Vizekanzlers und Außenministers zurück.
Westerwelle hatte unter anderem von «sozialistischen Zügen» in der Hartz-IV-Debatte gesprochen und ausgeführt: «Wer dem Volk anstrengungslosen Wohlstand verspricht, lädt zu spätrömischer Dekadenz ein.» Käßmann sagte der «tageszeitung» (Donnerstagsausgabe), sie finde solche Worte «despektierlich gegenüber Menschen, die auf Hartz IV angewiesen sind».
«Immer nur von Fordern zu sprechen und davon, die Eigeninitiative zu stärken, hilft den Menschen nicht, die gar nicht wissen, was Eigeninitiative ist», sagte die EKD-Ratsvorsitzende. Sie würde die Liberalen gerne fragen, was ihr sozialpolitisches Konzept sei. «Wir werden das Gespräch mit der FDP suchen, auch zu diesen Fragen», sagte die Bischöfin.
FDP-Generalsekretär Christian Lindner bekräftigte in einem Gastbeitrag für die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» (Donnerstagsausgabe) die sozialpolitischen Vorstellungen seiner Partei. Der Wohlfahrtsstaat habe Eigenverantwortung entbehrlich gemacht, Aufstiegswillen gebremst und Mitmenschlichkeit durch anonyme Rechtsansprüche ersetzt. «Obwohl soziale Zwecke bald ein Drittel der Wirtschaftsleistung beanspruchen, werden Sozialhilfekarrieren erblich», schreibt Lindner und schlägt die Bündelung der Sozialtransfers in einer Pauschalleistung vor, dem sogenannten Bürgergeld.
Der rheinische Präses Schneider indes nannte das System der sozialstaatlichen Absicherung unverzichtbar. «Und das hat nichts mit spätrömischer Dekadenz zu tun», sagte Schneider am Mittwoch bei einer ökumenischen Veranstaltung in Essen. Im späten Rom habe sich die Dekadenz vielmehr auf die Eliten bezogen, die nicht durch Arbeit zu Reichtum gekommen waren, vergleichbar den heutigen Spekulationsgewinnern, sagte Schneider.
Der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck sagte, trotz der Krise und der Angst vieler Menschen vor Arbeitsplatzverlust sei die Hoffnung nicht unbegründet, dass «nach den ökonomischen Exzessen eines ausschließlichen Shareholder Value» nun eine neue Zeit anbreche: «Denn nicht Wenigen wird neu bewusst, dass nicht Quartalszahlen, sondern der Mensch Urheber, Mittelpunkt und Ziel aller Wirtschaft ist.»
(Quelle: epd)