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Arne Kopfermann: „Trauer ist ein Tabu!“

Der christliche Sänger und Songwriter Arne Kopfermann verlor in der Folge eines Verkehrsunfalls seine Tochter Sara. Im Gespräch mit dem Magazin AUFATMEN spricht der Lobpreisleiter über den Umgang mit Trauer, die Frage nach Gott mitten im Leid und das Weiterleben nach einer Katastrophe.

Interview: Ulrich Eggers

2014 starb eure Tochter durch einen Unfall …

Familie Kopfermann (Bild: privat)

Arne Kopfermann: Ja. Wir haben als Familie Anfang September 2014 einen Ausflug in einen Freizeitpark in Norddeutschland unternommen. Auf der Hinfahrt, wenige Kilometer vom Ziel entfernt, musste ich auf eine Vorfahrtstraße einbiegen – und habe das Auto nicht gesehen, das mir entgegen fuhr. Es kam zu einem Zusammenstoß mit katastrophalen Folgen. Während meine Frau, mein Sohn und ich weitestgehend unverletzt blieben, ist meine Tochter Sara in Folge des Unfalls gestorben.

Seitdem sind einige Jahre vergangen. Wie lebt ihr damit?

Wir haben sehr schnell gemerkt, dass die Verarbeitung solch eines traumatischen Erlebnisses bei uns beiden nicht nur sehr unterschiedlich ist, sondern auch keinen linearen Verlauf nimmt. Wir begegnen Schock, Verleugnung, Isolation, Wut, Schmerz und Schuldgefühlen, Einsamkeit, Reue, Akzeptanz und dem Ringen mit Gott und den Umständen in immer wiederkehrenden Zyklen. Der eine trauert nach innen, der andere mehr nach außen. Der eine nimmt seine Trauer mit in seine Arbeit und sein gesamtes Umfeld, der andere schafft sich bewusst verlustfreie Räume – gerade im beruflichen Umfeld – die ihm helfen, das Maß an zugelassener Trauer stärker zu dosieren. Die Schwierigkeit besteht darin, diese Unterschiedlichkeit zu ertragen, zu akzeptieren und zuzulassen.

Arne Kopfermann:
„Ich möchte den Trauernden eine Stimme leihen“

Viele verschließen sich hinter ihrer Trauer. Du hast jetzt ein Buch über den Tod deiner Tochter geschrieben und parallel eine CD aufgenommen. Ist das Teil des Bewältigens?

Ja, das war einerseits nach einer intensiven Phase von therapeutischen Gesprächen, die über zwei Jahre ging, wie eine Art zweite Therapie für mich. Andererseits habe ich aber in vielen Begegnungen mit Betroffenen und ihrem Umfeld den Eindruck gewonnen, dass Trauer oft ein Tabu ist. Dass sich Außenstehende nur sehr schwer in die Situation des Trauernden hineinversetzen können und eine große Unsicherheit herrscht, wie man solchen Menschen angemessen und hilfreich begegnen kann. Und dass – in einer Zeit, wo eine der größten Prämissen, auch in Gemeinden, das eigene Wohlbefinden und möglichste Leidfreiheit ist – nur sehr wenige Menschen Außenstehenden Einblicke in ihre innere Zerrissenheit und eigenen Kämpfe gewähren. Ich möchte den Trauernden eine Stimme leihen, die selbst keine Worte finden – und den Angehörigen und Freunden Hilfen zum Verständnis an die Hand geben. Ich möchte unbequeme Fragen stellen, auch in Bezug auf ein zu vereinfachtes Kausal-Schema in unserer Beziehung zu Gott. Und deutlich machen, dass sich Trauer nicht einfach mit der Zeit gibt. Dass es existentielle Verluste gibt, die einen das Leben lang begleiten werden, und dass dies nicht im Widerspruch zum Erleben der Freundlichkeit und Güte Gottes steht.

Solch ein Tod verändert alles …

Ja, ich habe aufs Brutalste meine eigenen Grenzen aufgezeigt bekommen. Mein Stolz ist auf so vielen Ebenen gebrochen, dass es mir weniger ausmacht, schwach und hilfsbedürftig zu sein, auch, die Hilfe anderer zuzulassen. Ich bin empfindsamer geworden für die Verluste anderer Menschen und die damit verbundene Verletzlichkeit. Ich habe bis vor unserem Unfall die Worte des Psalmisten recht pathetisch gefunden, „dass Tränen seine feste Speise geworden sind.“ Jetzt weiß ich, was er damit sagen will. Ich trage eine sehr tiefe Sehnsucht in mir nach der Ewigkeit: dem Ort, wo ich nicht nur meine Tochter wiedersehen werde, sondern wo alles Bedürftige in dieser wunderschönen und doch so verkorksten und zerrissenen Welt, in der wir leben, Erlösung finden wird. Und dass bis dahin mein Erleben von jeglicher Form von Schönheit durchwoben ist mit Schmerz und eben dieser Sehnsucht, die unsere Welt nicht stillen kann. Ich rede immer noch von Gott in Superlativen, aber es ist mir fern, das von meiner Nachfolge zu tun und meinem Erleben Gottes. So, als wüsste ich, wie er handelt. Er ist Gott – ich bin es nicht.

„In tiefer Trauer braucht man nicht viele Worte, sondern körperliche Berührung.“

Symbolbild: pixabay

Warum lässt Gott so etwas zu – mit dieser Frage quält man sich. Gab es Entfremdung oder Zorn gegen Gott?

Mein Sohn kam irgendwann im Sommer 2014 nach Hause und fragte mich, ob ich eigentlich wüsste, warum Fliegen wieder und wieder gegen dieselbe Fensterscheibe fliegen. Ich verneinte und fragte ihn, ob es darüber denn wissenschaftliche Untersuchungen gäbe. Er nickte und erklärte mir, dass Fliegen nachgewiesenermaßen ein so kleines Hirn haben, dass sie zu der Gedächtnisleistung gar nicht in der Lage sind. Sie kennen den „Oh, not again“-Moment nicht! Für mich ist das eine Metapher, die mir hilft, die Relation von mir zu Gott besser einzuordnen. Ich bin unendlich viel kleiner und beschränkter als er und kann nicht erwarten, die großen Zusammenhänge zu durchdringen. So hoch, wie der Himmel über der Erde ist, so viel höher sind seine Wege als unsere und seine Gedanken als unsere. Ich kann sein Handeln oder Zulassen nicht begreifen.

Dementsprechend mochte ich ihn in diesen drei Jahren auch nie recht anklagen, musste ihm wohl aber wieder und wieder mein Leid klagen, mein Unverständnis entgegen halten, meine Ohnmacht, meine Schuldgefühle. Es fällt mir seit unserem Unfall nicht schwerer, Gott als souveränen Herrscher anzusehen; wohl aber, ihn auch als den nahen, schützenden und umsorgenden Gott wahrzunehmen. Denn der Gott, der „meinen Fuß nicht an einen Stein stoßen lässt“, hat ja meine Tochter offensichtlich nicht vor dem folgenschweren Aufprall bewahrt.

Manche Gebete kommen mir nicht mehr so leicht über die Lippen, auch wenn ich mich dabei ertappe, wie selbstverständlich weiter für Schutz und Bewahrung zu bitten, wenn beispielsweise meine Familie und Freunde auf Reisen sind. Es ist schon ein Paradoxon für mich, dass ich den Gott dringend als Helfer brauche und anrufe, dessen Hilfe mir im zerbrechlichsten Moment meines Lebens anders zur Verfügung stand, als ich sie mir gewünscht hätte. So kann ich mich nur an dem Satz festhalten: „Gott weiß …“.

Gibt es einen angemessenen Weg für Menschen aus dem Umfeld, auf solch einen Verlust zu reagieren?

In tiefer Trauer braucht man nicht viele Worte, sondern körperliche Berührung. So lange Trauernde das zulassen können, tun wortlose Umarmungen gut; die Möglichkeit, sich in den Armen eines Freundes oder einer Freundin ausweinen zu können, bis die Tränen versiegen. Je größer der Schmerz ist, desto weniger Worte sind nötig. Weil sie in dem Moment kaum gehört werden können. Der „Quick Fix“ eines dahin geworfenen Bibelwortes verletzt manchmal mehr, als dass er nutzt. Oder, um es etwas pointierter mit meinem Lied „Alles hat seine Zeit“ zu sagen: „Oh, frag mich nicht, ob es mir wieder gut geht, ob ich das Schlimmste schon verwunden hab. Erwarte nicht, dass sich so schnell der Wind dreht, und speis mich nicht mit Lehrbuchsätzen ab. Wenn du den Schmerz nicht kennst, der dir dein Herz bricht, dann spar dir deinen öffentlichen Post. Es tut schon gut, wenn man mir Hoffnung zuspricht, doch Worte, die nichts kosten, sind kein Trost. Denn alles hat seine Zeit, das Schweigen und das Klagen, die Trauer und der Schmerz. Oh, alles hat seine Zeit, die Tränen und die Fragen, die wir im Herzen tragen. Alles hat seine Zeit. Was hilft, sind ehrliche Anteilnahme und ein langer Atem in der behutsamen Begleitung. Gemeinsame Unternehmungen. Ein tastendes Erspüren, wann es dem Trauernden gut tut, über den Verlust zu reden und wann einige Stunden unbeschwerten Zusammenseins die dunklen Wolken ein wenig wegschieben. Und natürlich Gebet, das dem Trauernden die Arme hoch hält, wenn er selbst kraft-, mut- und trostlos ist. Wer all das tut, darf auch gerne Bibelworte der Ermutigung senden.

Herzlichen Dank für das Gespräch.


Arne Kopfermann hat seine Gedanken in einem Buch und einer gleichnamigen CD verarbeitet: „Mitten aus dem Leben. Wenn ein Sturm deine Welt aus den Angeln hebt“ (Gerth Medien). Der Erlös kommt vollständig dem eigens ins Leben gerufenen „Sara Projekt“ für benachteiligte und traumatisierte Kinder zugute, das von dem christlich-humanitären Hilfswerk „World Vision“ betreut wird (Info: www.arnekopfermann.de und www.worldvision.de/saraprojekt).

Dieses Interview ist zuerst in der Zeitschrift AUFATMEN erschienen. AUFATMEN wird vom SCM Bundes-Verlag herausgegeben, zu dem auch Jesus.de gehört.

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