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Kommentar: Vergeben – auch bei Missbrauch?

Ein Pfarrer wirbt in einer Predigt dafür, Priestern zu vergeben, die Kinder sexuell missbraucht haben. Daraufhin verlassen 70 Gottesdienstbesucher die Kirche. Sein Bischof erteilt Predigtverbot. Zu Recht? Keine leichte Frage, findet Nathanael Ullmann.

Das hat er in 54 Jahren Priesteramt noch nicht erlebt: Als Ulrich Zurkuhlen über das Thema Vergebung bei Missbrauch spricht, fängt die Gemeinde plötzlich an zu diskutieren. Ein Großteil der Besucher verlässt die Kirche. Später äußert sich selbst der leitende Pfarrer der zuständigen Pfarrei: „Das hier ging gar nicht.“ Ein Predigt über ein urchristliches Thema wird plötzlich zum Aufstand. Da stellt sich die Frage, ob das gerechtfertigt ist.

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Erst einmal allgemein gesprochen: Dass eine Predigt die Besucher wortwörtlich aus den Stühlen fahren lässt, ist absolut löblich. Denn das heißt, dass sie etwas bewegt. Zu oft ruhen wir Christen in Deutschland uns auf einem Wohlfühl-Glauben aus. Die Andacht ist gut, wenn sie uns nur genug Honig ums Maul schmiert und uns in unseren Ansichten bestätigt. Doch so funktioniert der christliche Glaube nicht (nur). Er ist auch harte Arbeit. Er ist mitunter ungemütlich. Wenn Gemeindemitglieder plötzlich in eine Diskussion geraten, dann ist etwas in Bewegung gekommen. Wohlfühl-Predigten tun gut, sie sind Seelenbalsam, es braucht sie. Aber es braucht eben auch die Worte, die etwas bewegen. Das heißt nicht, dass der Pfarrer mit dem Gesprochenen unbedingt recht haben muss. Aber aus konstruktiven, mitunter hitzigen Diskussionen kann etwas Wunderbares entstehen. Sie zwingen uns, unsere Ansichten neu zu überdenken und im Bestfall gestärkt aus dem Gespräch zu gehen.

Der falsche Ton

Der vorliegende Fall ist allerdings komplizierter. Leider gibt es keine Abschrift der Predigt. Nach allem, was sich herausfinden lässt, war sie allerdings dramaturgisch höchst unglücklich. Eben wird noch über lästernde Frauen gesprochen, die ihren Ehemännern vergeben sollen. Und plötzlich geht es um Priester, die die Psyche von Kindern nachhaltig zerstört haben. An dieser Stelle werden Äpfel mit Birnen verglichen. Noch prekärer wird der Fall dadurch, dass wohl Missbrauchsopfer unter den Kirchbesuchern waren. Missbrauch ist ein unglaublich heikles Thema. Hier darf nicht mit der Tür ins Haus gefallen werden. Missbrauch vergibt man nicht mal eben am Frühstückstisch – wenn überhaupt jemals. Erschwerend kommt hinzu, dass ein Teil der Bevölkerung das Gefühl hat, die Kirche kümmere sich nicht ausreichend um das Thema Missbrauch in den eigenen Reihen. Die vorschnelle Empfehlung, den Tätern zu vergeben, kann wirken, also wolle man die Taten herunterspielen. Der Ton macht die Musik.

In der Sache könnte er aber durchaus recht haben. Das Christentum ist eine Religion der radikalen Vergebung. Gott hat den Menschen vergeben, dass sie seinen einzigen Sohn grausamst umgebracht zu haben. Gott ähnlicher zu werden, heißt auch, Vergebung zu lernen. Dass ist vielleicht das Härteste am christlichen Glauben – den Feind zu lieben. Denn Verletzungen hinterlassen tiefe Wunden. Die des Missbrauchs gehören vielleicht zu den tiefsten. Dass Vergebung nicht immer gelingt, ist also nur allzu verständlich. Trotzdem kann sie heilbar sein – für das Gegenüber und einen selbst. Menschen, die sexuellen Missbrauch verübten, haben Verabscheuungswürdiges getan. Das soll und darf nicht heruntergespielt werden. Die Opfer dürfen nicht schweigen, ihnen muss Gehör verschafft werden. Sie haben ein Recht auf Trauer, auf Wut, auf Abscheu. Doch wenn am Ende dieses Weges Vergebung steht, kann das nur gut sein.

Die Predigt von Ulrich Zurkuhlen mag unglücklich formuliert worden sein. Aber sie kann ein Auslöser sein, das Thema Vergebung noch einmal neu zu diskutieren. Und im besten Fall gehen die Beteiligten am Ende bereichert aus der Diskussion heraus.

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