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Bin ich vorbereitet, großzügig zu handeln?


Out of the Box – Weil wir wunderbar gemacht sind

Die zweiwöchentliche Kolumne von Tom Laengner


Was Großzügigkeit und Gastfreundschaft betrifft, da geht eigentlich immer „mehr“. Tom Laengner hat das unter anderem von seinen jesidischen Nachbarn gelernt.

Es war am Karfreitag. Bei uns zu Hause war volle Hütte! 14 Personen saßen um einen Tisch und aßen Kartoffeln mit Frankfurter Grüne Soße. Jan und Urszula aus Polen waren gekommen, um uns noch einmal im Leben wiederzusehen.

Als wir im Jahre 1991 Jan und seine Bauarbeiter-Kolonne aus Polen kennenlernten, gab es fast täglich gewaltsame Übergriffe auf Asylbewerberunterkünfte und Menschen osteuropäischer Herkunft. Die Intensität der Gewalttaten führte im Bundestag zu einer sogenannten kleinen Anfrage seitens der PDS/Linke Liste. In ihrer Antwort sah es die Bundesregierung nicht als erforderlich an, monatlich über solche Straftaten zu berichten. Denn man müsse „Ermittlungsergebnisse abwarten, ehe politische Zuordnungen vorgenommen werden.“ Unseren neu gewonnenen polnischen Bekannten half das nicht so richtig weiter. Ihre Familien und sie hatten Angst um ihre Sicherheit. Die Bilder im Fernsehen rührten an alte Traumata. Manche der Arbeiter hatten Familienangehörige im Krieg oder in den Lagern verloren.

Bei uns waren sie entspannt. Wir sammelten Pilze zusammen, grillten Fisch und entwickelten eine Sprachform, die durchaus als unterirdisch bezeichnet werden könnte. Und mittendrin machte Jan seinen Frieden mit Gott und vertraute sein Leben Jesus an.

Seither riss unser Kontakt nie ab. Inzwischen ist Jan Ortsvorsteher in seinem Heimatdorf Dziembówko. Seine Tochter übersetzt, als er erzählt, wie er dort von Tür zu Tür geht, um die Menschen nach ihrem Befinden zu fragen.

Doch da klingelt es. Micha steht vor der Tür. Er ist mit dem Rad unterwegs und er ist mein Freund. Letzteres ist etwas sehr Kostbares. Aber jetzt habe ich, wie jeder Kundige verstehen wird, leider keine Zeit. Micha nickt und schwingt sich wieder auf sein Fahrrad. 

Die Tür fällt ins Schloss und ich esse mit wachem Ohr meinen Nachtisch weiter, während Jan von der letzten vertrockneten Pilzsaison berichtet.

Bei all dem Trubel nehme ich ein kleines und feuchtes Unglück nicht wahr. Denn einem unserer Gäste passiert ein Missgeschick. Das verlangte nach einer trockenen Hose. Doch wie gesagt: Ich hatte nichts Genaues mitbekommen. Viele Umarmungen und Wangenküsse später fragte ich meine Frau, was ich denn da verpasst hätte. Sie seufzte und meinte, dass das so gewesen sei.

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Nach dem Unfall, über dessen Einzelheiten ich hier diskret schweige, sei sie hoffnungsvoll zu Faisal und seiner Familie gehuscht. Bei sechs Kindern müsse doch was Passendes in Größe 116 zu finden sein. Hinter der Wohnzimmertür der irakischen Familie wartete eine Überraschung. Etwa 20 Personen saßen entspannt auf dem Boden. Es gab gefüllte Weinblätter und Huhn. Herzlich wurde meine Frau begrüßt. Eine Esserin mehr sei kein Problem! Bitte setz dich doch! Aber dann nickten alle verständnisvoll. Ein nackter Po sollte nicht lange nackig bleiben. Und die Hose? Ach ja, die  könnten wir auch gerne behalten.

Meine Frau macht eine kurze Pause, bevor sie fortfuhr. All das sei mit einer Natürlichkeit und Selbstverständlichkeit geschehen, dass sie ganz berührt war.

Mich machte diese Warmherzigkeit auch ganz glücklich. Und gleichzeitig war ich ein wenig beschämt. Hätte ich mich meinem Freund Micha gegenüber nicht ähnlich verhalten können? Später erklärten mir Freunde, dass ich doch ein prima Kerl sei und dass ich mich bestimmt richtig verhalten hätte. Aber darum geht es mir nicht. Ich will mich doch entwickeln und nicht meine Schwächen rechtfertigen. Deshalb frage ich mich, ob ich schon in derselben Liga wie meine Nachbarn spiele, wenn es um Großzügigkeit und Gastfreundschaft geht.

Während ich schreibe, klingelt es wieder. Eine Delegation unserer jesidischen Nachbarn steht vor der Tür. Ostern ist doch vorbei, denke ich, als ich die Schüssel mit bemalten Hühnereiern sehe. Dann werde ich aufgeklärt. Heute ist das Neujahrsfest der Jesiden. Sie glauben unter anderem, dass die Welt aus einem Ei entstanden ist. Aha! Nun, das sehe ich anders. Aber das soll mich nicht hindern, von ihrer Gastfreundschaft und Großzügigkeit zu lernen. Dann bin ich hoffentlich besser vorbereitet, wenn Micha wieder vorbeikommt.

Alle Kolumnen von Tom Laengner findet ihr hier.


Tom Laengner ist ein Kind des Ruhrgebiets. Nach 20 Jahren im Schuldienst arbeitet er journalistisch freiberuflich und bereist gerne unterschiedliche afrikanische Länder. Darüber hinaus arbeitet er als Sprecher für Lebensfragen und Globales Lernen. In seiner Kolumne „Out of the Box – Weil wir wunderbar gemacht sind“ schreibt er regelmäßig über Lebensfragen, die ihn bewegen.

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2 Kommentare

  1. In der Tat, ein Fauxpas dem Freund gegenüber.
    Aber , super, die Belehrung folgt sogleich.
    Somit , alles in Butter !

    Ein Tipp: in Polen ist es in manchen Familien Brauch, ein zusätzliches Gedeck zu Weihnachten bereit zu halten. ( Habe ich irgendwo aufgeschnappt ) .
    Das kann auch bei anderen Gelegenheiten so fortgesetzt werden. 🙂

  2. Fremde wecken manchmal Urängste

    Was Tom Laengner hier schreibt, ist ein Bericht über ein Stück Paradies auf Erden. Denn wenn Gott jeden Menschen erschaffen hat, dann sind (nicht nur eigentlich) immer alle unsere Geschwister. Das wäre vor allem sehr wichtig, wenn Not oder Katastrophen eintreffen und hat sich durchaus auch positiv ereignet: Etwa bei der schlimmen Flutkatastrophe im Aartal, oder jetzt bei den Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine. Leider gibt es aber auch Mitmenschen aus für uns fremden Kulturen, mit Kopftüchern, anderen Sitten, unbekannten Gerüchen und kommend aus Landschaften mit Bürgerkriegen bzw. aus Bananenrepubliken. Solche Zeitgenossen sind einem Teil der Gesellschaft nicht so genehm. Aber ich höre auch schon mal noch bösere Worte wie Abschaum, oder man wolle uns erobern und die Kultur austauschen. So rümpfte eine ältere Dame deutlich die Nase, weil arabisch aussehende Jugendliche im Cafe ihren Expresso schlürften. Originalton: „Was das Sozialamt alles den Asylanten bezahlt“! Dies machte mich zornig, aber ich schwieg betroffen. Manchmal treffe ich auf den nahen Abgrund von Rassismus, Antisemitismus oder einem anderen Ismus:. Da könnten sich ja auch Verbrecher, Bombenattentäter oder Wirtschaftsflüchtlinge einschmuggeln. Oder wir stellen angeblich Unlust zur Arbeit fest, fehlende Bereitschaft sich einzugliedern, bzw. fürchten sie könnten unser Sozialsystem belasten oder gar betrügen. Zusammengefasst: Es ist leider Realität, dass es die guten Flüchtlinge/Zuwanderer gibt, die wie wir sind. Aber offensichtlich stören manche jene, die kulturell anders gestickt wurden Auch ganz ehrenwerte Nachbarn empfinden in diesen Fragen etwas zwiegespalten. Sie sind zwar positiv im Denken, aber bekommen dabei unsichtbare Pickeln auf ihrer Seele. Es scheint mir daher eine instinktive Urerfahrung aus frühen Menschheitstagen zu sein, dass uns wirklich Fremde immer böses ahnen lassen – oft unverdienterweise. Mir hilft in der Begegnung mit anderen Menschen, aber insbesondere solchen, die ich aufgrund einer spontanen Gefühlsanbahnung nicht wirklich symphatisch finde: Jeder Mensch, der je über diese Erde geht, wird von Gott unendlich geliebt. Ebenso auch ich, mit meinen Ecken und Kanten, die oft lediglich nur mir bekannt sind. Weil dies so ist, haben wir nicht nur die Möglichkeit hilfsbereit, freundlich, zugewandt und achtsam zu sein. Nein: Es ist immer unsere Pflicht. Liebe ist die Zusammenfassung jeglicher positiver Religion: Du sollst Gott lieben und deinen Nächsten wie dich selbst“! Von dem alten Kaiser „Karl der Große“ wird erzählt, er habe unerkannt einen brotbackende Menschen besucht und das Gebackene kontrolliert.. Vielleicht begegnet uns Gott unerkannt in jenen, die uns überhaupt nicht genehm sind und uns in unserer Geruhsamkeit möglicherweise stören.

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