Out of the Box – Weil wir wunderbar gemacht sind
Die Kolumne von Tom Laengner

Was darf mich das Gute kosten?

Eine Erkältung wirft Tom Laengner während seines Urlaubs aufs Sofa – und er hört sich eine Predigt an. Die Erkenntnis: Der Prophet Daniel trainierte aufrichtiges Handeln ohne Furcht vor den Konsequenzen.

Es trug sich zu in den guten alten Tagen der Corona-Pandemie. An einem austauschbaren Mittag im Herbst 2021 hatte ich den Fähranleger in Wittdün auf Amrum erreicht. Ich fühlte mich ein wenig zermatscht wegen der langen Anreise und einer sich anbahnenden Erkältung. Dennoch erhoffte ich mir ein paar schöne, erholsame Tage und schaute dem Wattenmeer zu. Wohin es sich wohl dezent und unaufgeregt Meter um Meter zurückziehen würde? Aber sollte es doch, wohin es wollte! Denn aus Erfahrung wusste ich, es würde nach ein paar Stunden an genau denselben Stellen wieder Platz nehmen. Als wäre es nie anders gewesen.

Am nächsten Morgen war ich zerknittert aufgewacht. Die blau-weiße Packung Taschentücher neben mir erinnerte an bretonische Fischerhemden. Leider hielt die Packung nicht lange durch. Da wäre ein Fischerhemd vermutlich standfester gewesen. Noch etwas versteift, stapfte ich ins Bad. Ein Blick in den Spiegel zeigte mir „Rudolph the Rednose Reindeer“. Diese Familienähnlichkeit zog meinen Erholungsfantasien endgültig den Stecker.

Dass dem Fieber mein Urlaub wurscht war, überraschte mich nicht. Aber was war eigentlich mit Gott? Es wäre für ihn wohl kein Akt gewesen, mich vor so einem miesen kleinen Virus zu bewahren.

Für mich war es aber immer wieder mal ein Akt, mit dem Schöpfer der Welt nicht wie mit einem Dienstleister umzugehen. Und außerdem: Halte ich nicht die Menschen für kleinlich, die mir vermeintliche Kleinigkeiten vorhalten? Also hielt ich mal lieber die Luft an.

Als sie mir dann auszugehen drohte, schlich ich mich vor die Tür. Doch statt würziger Seeluft trieb mir ein gut gelaunter Wind einen strengen Geruch von Zivilisation in die entzündete Nase. Ich schnupperte. Wenn das kein gegorenes Motoröl oder Frittenfett der Cranger Kirmes war! Ich bekam es nicht zusammen. Klar war, dass diese Sinnesorgie der Küche aus Luigis Restaurant entströmte. In seinem Laden war richtig Betrieb. Die Touristen genossen glückselig ihre frisch erworbenen Impfprivilegien.

Die Predigt über den Propheten Daniel

In der Ferienwohnung hatte meine Frau sich inzwischen etwas überlegt. Statt Wattwanderung schlägt sie mir eine Online Predigt vor. Darauf kann ich mich einlassen. Das Gute an Online Predigten ist die Möglichkeit auf einen Espresso mittendrin. Per Klick kann ich den Prediger bremsen. Zum Brüllen komisch sind immer wieder die eingefrorenen Grimassen, die ich dabei zu sehen bekomme. In der Netzbotschaft sollte es um Integrität gehen und Daniel aus der Bibel dabei den Protagonisten geben. Oje, dachte ich, ein altbekannter Kindergottesdienstheld. Den Ablauf von Predigten darüber erlebte ich vorhersehbarer als einen Sonntagabend-Krimi.

Doch dann ging sie ab, die wilde Luzie! Als absoluter Ausnahmepolitiker soll der Ex-Deportierte Daniel in bereits ergrautem Alter hingerichtet werden. Das war nicht sehr gerecht, aber doch sehr gesetzeskonform. Wir kennen solche Geschichten. Neid und Eifersucht hatten zu einem erfolgreichen Komplott gegen einen der ganz wenigen integren Politiker der Nation geführt. Jetzt sitzt er in maßgeschneiderter Kleidung in der in kirchlichem Raum legendären Löwengrube an der Seite streng riechender Tiere. Löwen essen Menschen ja bekanntlich roh. Sie fangen auch nicht zwingend bei der Halsschlagader an. Ziemlich ekelige Vorstellung! Nichts für schwache Nerven.

Dennoch: Daniel würde überleben. Da kann der Onlineredner machen, was er will. Hatte ich ja angedeutet! Ich kenne die Geschichte aus dem Effeff. Also: Espressozeit!

Doch dann zeigt der Prediger, dass er keinesfalls sein frommes Grundschulwissen breit tritt. Chapeau: Das hatte ich so noch nie gehört. Und ich pfeife mal auf meine Bronchitis. Ich höre den schlanken Mann auf dem Bildschirm sagen: „Daniel hatte schon gewonnen, als er diese Hinrichtungsstelle betrat“.  Hä, ging es nicht um die Errettung aus der ungerechten und bedrohlichen Lage? Klar war doch: Dieser Daniel hatte jahrzehntelang sein Leben Gott zur Verfügung gestellt.  Daraus leitete sich auch sein Handeln als Verwaltungschef ab. Er hatte für saubere Politik gelebt, nicht von ihr. Sein Glaube hatte ihn anders entscheiden lassen. 

Bis jetzt war das alles gut gegangen. Doch nun schienen ihm sein Glaube an seinen Gott und die damit verbundene Integrität den Hals zu kosten. Normalerweise vielleicht ein kluger Zeitpunkt, um auszusteigen, nicht wahr? Oder zu pausieren. Game over. Ich hätte es dem ergrauten Herrn nicht übel genommen.

Daniel lebte aufrichtig – trotz der Konsequenzen

Doch Daniel war kein Mann für ’normalerweise‘. Dieser Mann aus der Bibel hatte als Teenager entschieden, das Richtige zu tun, auch wenn es ihn etwas kostet. Im Laufe der Zeit war er darin richtig trainiert! Ich muss nachdenken: Das Richtige tun, weil es gut und richtig ist? Das erfordert Mut, hat aber auch Klasse.

Selbst im Angesicht seines Todes hatte er nicht vor, sich einer korrupten und selbstverliebten Elite zu ergeben.

Nicht leicht, aber auch nicht schlecht! Wie die Predigt ausging, habe ich dann nicht mehr so recht mitbekommen.

Als ich danach verschnupft, aber vergnügt unter einen elefantengrauen Himmel trat, war ich guter Dinge. Meine Gedanken fühlten sich entstaubt an. Der herausfordernde Gedanke des Vortrages nahm in mir gestalterische Züge an. Könnte das nicht wie eine Richtschnur für ein Leben sein?

Und dann war es, als hörte ich eine Stimme: „Fahr mal auf den Friedhof, ich mache dir eine Freude!“ Und siehe da! Neben dem Grab von Johannes und Johanna Jensen stand ein schwerer Steinpilz. Ja, da wäre ich vor Freude fast geplatzt. Normalerweise geht kein Mensch auf den Friedhof, um Pilze zu sammeln. Ja, normalerweise!

Out of the box - weil wir wunderbar gemacht sind

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Tom Laengner

Tom Laengner ist ein Kind des Ruhrgebiets. Nach 20 Jahren im Schuldienst arbeitet er journalistisch freiberuflich und bereist gerne afrikanische Länder. Darüber hinaus arbeitet er als Sprecher für Lebensfragen und Globales Lernen.

In seiner Kolumne „Out of the Box – Weil wir wunderbar gemacht sind" schreibt er alle 14 Tage über Lebensfragen, die ihn bewegen.

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1 Kommentar

  1. „Das Richtige tun, weil es gut und richtig ist? Das erfordert Mut, hat aber auch Klasse. Selbst im Angesicht seines Todes hatte er nicht vor, sich einer korrupten und selbstverliebten Elite zu ergeben“! Der Prophet Daniel in der Löwengruppe, unkonventionell interpretiert von Tom Laengner, bringt es auf den Omoga-Punkt:

    Es geht dabei noch nicht einmal – bildlich gesehen – dass jemand sein Leben im Extremfall in der Löwengruppe dieser Welt gerettet wird. Wie das bei Gerechten vor Gott naheliegend ist – sondern einfach das Richtige und das Gottgewollte zu denken und dann zu tun. Sich also nicht vorschnell zu ergeben aus nachvollziehbaren Gründen, um das Leben risikoloser zu machen, um den einfachen Weg zu gehen und dabei nicht Jesus auf der Nachfolge unbedingt präzise folgen zu müssen. Denn der Weg dort kann steil sein und nicht wie die breiten Autobahnen angenehmer zu erleben.

    Menschliche Gedanken (von mir). Was war denn Jesu Sendungsauftrag? Die Herrschaft Gottes, den ganz anderen Neuen Himmel und die Neue Erde. Und dabei besteht heute schon das Reich Gottes darin auch in jener wirklich himmlischen Gerechtigkeit und Liebe. Wenn auch hier kein Stein auf dem anderen bleibt, dieses Leben nur Umteigebahnhof zur Ewigkeit ist, und alles vergeht in einem Nichts. Wenn also nur das ganz andere Leben bei Gott bleibt, so gilt doch hier auf Erden bereits die Gottes Liebe und sich alle daraus ergebene Gerechtigkeit. Also nicht jenes Herrschaft des Hasses, kein überdordende Ideologie und dann auch keine Neunazis. Dann kämpft auch der für die Liebe und das Reich Gottes, der das richtige tut: Nämlich ein Stück weit, auch wenn nur auf Zeit und letztlich in der Vergänglichkeit dieser Welt:, Mehr Liebe, Hoffnung und Gutsein in dieser Welt zu leben. Da passen dann Neonazis, Hass, Häme, Antisemitismus und Rassismus keinesfalls dazu. Jesus hätte sich allerdings in der Zusammenfassung kürzer gefasst. Nämlich: Gott zu lieben und den nächsten sowie auch sich selbst. Aber wer das Gute will, muss gegen das Böse aufstehen. Wir sind Täter des Wortes ebenso.

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