Out of the Box – Weil wir wunderbar gemacht sind
Die Kolumne von Tom Laengner

Was ist denn so schlimm daran?

Bei einer Fahrradfahrt denkt Tom Laengner über weggeworfene Einweggrills und die Kirche nach. Was verbindet die beiden?

Im Leben einen einzigen klaren Gedanken zu hinterlassen, das ist nicht leicht. Meinem Vater ist es gelungen. Allerdings drechselst du solche Merksätze nicht in akademischen Seminaren. Diese Worte reifen in der Scham des Scheiterns und dem stillen Glück ihrer Wirksamkeit. Sie lassen sich nicht von Ungeduld überreden, vor der Zeit ihre Kraft zu offenbaren. Doch wenn die Zeit gekommen ist, begleiten sie dich ein ganzes Leben lang. Wenn du sie lässt.

Heute früh war die Luft klar, der Himmel so blau, dass ich das als Einladung verstand. Mein Rad wieherte geradezu vor Vergnügen, als ich kurz darauf Richtung Kanal surrte. Ein paar übernächtigte Angler bliesen den transparenten Rauch ihrer Selbstgedrehten vor sich hin. Die Athleten des Deutschland Achters fuhren selbstsicher ihrem Bootshaus entgegen. Und, wie um mich zu beeindrucken, ließen sie im Spurt ihre Skulls [ihre Ruder; Anm. d. Red.] fest entschlossen durch das krisselige Wasser pflügen. Zugegeben, ich war beeindruckt.

Nicht nachgedacht

Weniger begeistert war ich von den vielen ufernahen Einweggrills. Das mit dem „einen Weg“ hatten viele wörtlich genommen. Der Weg zum Kanal war für die Aluminiumschalen erfolgreich geschafft. Ein zweiter Weg war nicht geplant. Also: Parole liegenlassen! Damit war die abendliche Grillmission erfolgreich abgeschlossen. Die Freundinnen und Freunde gepflegter Feierabendkultur hatten einen glühenden Sonnenuntergang genossen. Hatten sie auch kommen sehen, dass jetzt andere ihren Grill für 4,99Euro zum Zweiweggrill machen müssen? Vorausschauend nachgedacht hatten möglicherweise weniger die urbanen Gourmets als deren Grillgut. Aber das blieb stumm, nachdem es vorher den Magen schwer gemacht hatte.

Das war der Moment, als mir ein schlichter Gedanke meines Vaters in Erinnerung kam. Irgendwann war die Zeit da, wo ich mit ihm 25 Stunden am Tag über seine Kirche reden konnte. Die offizielle Kirche hatte damals schon so wenig Antworten auf die Fragen der Menschen, dass diese sich wie Haare auf einem Männerkopf verabschiedeten. Mein Vater fand das falsch. Er befürwortete eher, dass die Meinungsmacher und Funktionäre ohne Antworten und Vision den Verein verlassen sollten. Das geschah leider nicht. Und so bemängelte er auch an diesem Tag irgendeine Sauerei. Mir tat dabei leid, dass ihn das innerlich so stark mitnahm. Also lenkte ich ein und meinte beruhigend: „Ach Papi, die haben sich dabei einfach nur nichts gedacht.“ Mein Vater wertschätzte meine liebevolle Absicht und lächelte mich an. Dann atmete er tief durch und setzte zu seinem finalen Satz an.

Hat da niemand etwas kommen sehen?

Ich sehe meinen Vater unter der curryfarbenen Batik aus Varanasi in unserem alten Wohnzimmer hocken, da tauchen im Staub meiner Reifen rote Papierservietten auf. Bordeauxrot und völlig unbenutzt. Ganz kurz zuckt es in mir. Dann lasse ich sie doch da liegen, wo sie es sich bequem gemacht hatten. Manchmal geht es aber im Leben um mehr als Serviettenkultur.

Wir Menschen kennen das: Kurzerhand markante Sätze raushauen, sich mal so richtig was trauen und dem Gegner eine klare Kante zeigen. Wir haben es nicht so gemeint und die anderen wollen es doch bitteschön mit Humor nehmen. Immer wieder hinterlassen wir dann Scherben, die sich nicht so leicht entfernen lassen wie ein Papiertüchlein. Hat da niemand etwas kommen sehen?

„Ja, sie haben nicht ausreichend nachgedacht. Junge, genau das ist ja das Schlimme daran.“

Wäre es da nicht sinnvoll, vorher gründlich zu überlegen, ob ich auch die Mittel habe, mein Anliegen angemessen und zum Wohle aller zu einem guten Ende zu führen?

Als ich dann zu Hause unter der Dusche stehe, freue ich mich, bei meiner Ausfahrt selbst der Motor gewesen zu sein. Und ich bin meinem Vater dankbar, dass er in Ruhe zuhörte, wie ich sagte, dass sie sich nichts dabei gedacht hätten. Gleichzeitig betrachte ich es seither als Erbe, dass er sagte: „Ja, sie haben nicht ausreichend nachgedacht. Junge, genau das ist ja das Schlimme daran.“

Out of the box - weil wir wunderbar gemacht sind

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Tom Laengner

Tom Laengner ist ein Kind des Ruhrgebiets. Nach 20 Jahren im Schuldienst arbeitet er journalistisch freiberuflich und bereist gerne afrikanische Länder. Darüber hinaus arbeitet er als Sprecher für Lebensfragen und Globales Lernen.

In seiner Kolumne „Out of the Box – Weil wir wunderbar gemacht sind" schreibt er alle 14 Tage über Lebensfragen, die ihn bewegen.

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2 Kommentare

  1. Lieber Tom,
    Wenn sich das Leben von Menschen im Refexbogen abspielt, passiert doch genau das :“ Sie haben nicht ausreichend nachgedacht“!
    Wer vermittelt denn eine Perspektive?Wer prägt das Denken ?In unserer Gesellschaft wird uns alles abgenommen…das Denken,das Nachdenken , . ausser wir entscheiden uns zur Verantwortung,dann sind wir auch selbst schuld.Wollen wir das ???
    Aber ich habe auch keine Lust,den Müll von all den gedankenlosen Mitmenschen einzusammeln und so ein Beispiel zu sein….also, ich werde die Welt nicht retten 🙁

  2. Plastikmüll ist tödlich

    Es ist schon deshalb schlimm seinen Müll liegen zu lassen, weil das die Leute weltweit mit ihrem Plastik auch so machen und deshalb sind die Meere mit den pulverfeinen Plastikteilchen vergiftet. Plastikmüll ist für Lebewesen tödlich

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