Out of the Box – Weil wir wunderbar gemacht sind
Die Kolumne von Tom Laengner

Jahreslosung: Wie komme ich raus aus „Istmiregalien“?

„Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe.“ Tom Laengner erlebt an der Käsetheke, wie sich die Jahreslosung (er-)leben lässt.

„Können Sie mir bitte den Blauschimmel aus dem Roquefort nehmen?“, bat ich die Käsefachverkäuferin hinter der Theke. Über die Brillengläser hinweg blickten mir zwei graublaue Augen fragend ins Gesicht. Dann leuchteten sie auf und wir haben beide herzlich gelacht. Der würzige Käse plumpste auf die Waage und der Verkäuferin fiel auch noch etwas ein. Jetzt war ich es, der neugierig fragend schaute.

Unseren Wortwechsel zwischen Beemster Graskaas und mittelaltem Gouda fand ich famos. Schließlich erlebe ich deutsche Supermärkte selten als Orte für Begegnungs- und Gesprächskultur. Es geht der Kundschaft in der Regel zuallererst um ihre Wurst und ihre Möhre. Aber die Menschen hinter Kasse, Theke und Regal? Die sollen tun, wofür sie bezahlt werden. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Der Mensch hinter der Rolle spielt keine Rolle. Er ist mir in erster Linie egal. Das klingt ruppig, wird aber durchaus so gelebt.

Leberwurst und Orientierung

Doch das ist nicht der Königsweg des Lebens. Das spürte ich einen Moment später. Herzhafter Duft von Pfälzer Leberwurst wehte mir in die Nase und begleitend ein Orientierungswort für das neue Jahr in den Sinn: „Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe.“ Das hatte Paulus von Tarsus an eine Kirche nahe von Athen geschrieben. Und ich sehe keinen Grund, warum Menschen im Supermarkt ausgenommen sein sollten, wenn er doch von ‚Alles‘ schreibt.

Die unmissverständliche Aufforderung, ‚alles in Liebe geschehen zu lassen‘ ist seit 2.000 Jahren so schlicht wie anspruchsvoll. Und bis heute erwünscht. Die Onlineplattform Statista vermeldete jüngst, dass 90 Prozent aller Deutschen Nächstenliebe und Barmherzigkeit in ihrem persönlichen Alltag als wichtig empfinden. Wahrscheinlich aber außer an der Käsetheke. Denn mich beschleicht das Gefühl, dass ein Großteil der 90 Prozent es zu 100 Prozent schätzt, wenn andere ihnen gegenüber barmherzig und liebevoll handeln. Bei der Umsetzung andersherum scheint es hingegen gewaltig zu knarzen. Sonst müsste es in unserem Land anders aussehen, nicht wahr? Und unsere guten Gründe, das Gute immer wieder nicht zu tun, sind bestenfalls gesellschaftlich akzeptierte Erklärungen. Meistens sind es nur Ausreden. Und in keinem Fall machen sie irgendetwas besser.

Der Liebe eine Gestalt geben

Paulus jedoch hätte wahrscheinlich an der Verkäuferin und mir seine Freude gehabt. Beide waren wir aus unseren Rollen als Angestellte und Kunde herausgetreten. Wir hatten einander als Menschen gesehen und uns etwas getan, was den Tag würziger machte. Ein simpler Schritt raus aus „Istmiregalien“. Um so was in dieser Richtung dürfte es in der Schrift an die frühe Kirche gegangen sein. Und so könnte ein kleiner Schritt auf einem langen Weg aussehen, wenn Menschen sich der Jahreslosung stellen. Sie finden weder Ausreden noch die Liebe nur gut. Vielmehr ringen sie darum, der Liebe eine Gestalt zu geben. Und zwar jeden Tag.

Weil nun ein Tag nicht nur aus einem Moment besteht, macht die Aufforderung auch über die Theke hinaus Sinn. Ich für meinen Teil will mich zudem nicht darauf ausruhen, dass Gott mit meinen Begrenzungen und Mängeln klar kommt. Mit der Aufforderung zur Liebe mutet er mir etwas zu. Aber ist es nicht auch eine Ehre, wenn mir jemand etwas Gutes zutraut?

Bevor ich meinen Käse eingepackt hatte, erzählte mir die Verkäuferin schmunzelnd aus ihrer Ausbildungszeit. Da hatte ihr Chef mal gesagt, sie solle die Löcher im Schweizer Käse irgendwie flicken. Wie sähe das denn aus! Mit einem Augenzwinkern verriet sie mir, den Alpenkäse damals gegen einen Laib Gouda ausgetauscht zu haben. Der Ausbilder habe sich kaputt gelacht.

Out of the box - weil wir wunderbar gemacht sind

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Tom Laengner

Tom Laengner ist ein Kind des Ruhrgebiets. Nach 20 Jahren im Schuldienst arbeitet er journalistisch freiberuflich und bereist gerne afrikanische Länder. Darüber hinaus arbeitet er als Sprecher für Lebensfragen und Globales Lernen.

In seiner Kolumne „Out of the Box – Weil wir wunderbar gemacht sind" schreibt er alle 14 Tage über Lebensfragen, die ihn bewegen.

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2 Kommentare

  1. Ohne Liebe ist alles nichts

    Die unmissverständliche Aufforderung ‚alles in Liebe geschehen zu lassen‘ ist seit 2.000 Jahren so schlicht wie anspruchsvoll. Und bis heute erwünscht. Mit dieser Aussage wird Tom Laengner kaum Kritik finden können: Wer will nicht geliebt werden? Wobei klar ist: Liebe ist nicht (nur!) ein Gefühl, sondern eine Haltung. Aber ich kenne kleine und große Einkaufsmärkte und sogar die meisten Kassenpersonal-Menschen sind für ein kurzes Gespräch oder eine humorige Bemerkung dankbar. Man spürt aber auch den Unterschied in solchen Geschäften, wo der Betriebsfrieden nicht gewahrt wird und die Gesichter – auch wenn die Münder freundliches sagen – doch eher verkniffen aussehen. Mit der Liebe ist das so, dass sie eigentlich ein wenig mehr umfasst als die selbstverständliche Freundlichkeit. Sie würde noch wie ein guter Käse veredelt, wenn wir das Kunststück fertig bringen an den Mitmenschen die gleichen Maßstäbe anzulegen wie an uns selbst. Oder (wenigstens beabsichtigen)dem Nebenmenschen das zukommen lassen was wir von ihm auch erwarten würden. Und alle Frömmigkeit ist gewissermaßen für die Katz, wenn ich keine Liebe übe, denn Gott ist Liebe pur. Sonst wäre er nicht als ein Baby auf die Welt gekommen und am Kreuz für uns gestorben, also so mit uns solidarisch zu sein in unserem öfteren „jenseits von Eden“.

  2. Vielen Dank für diesen Artikel .
    Die Artikel dieser Kolumne sind witzig geschrieben, was das Lesen zu einem kurzweiligen Vergnügen macht, und ich mich jedes Mal schon auf den nächsten Artikel freue.
    Was mir besonders gut gefällt, ist, dass diese Artikel mich zum Nachdenken bringen, in meinen Alltag bewusster meine Mitmenschen wahrzunehmen und mich wertschätzender anderen gegenüber zu verhalten.

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