Out of the Box – Weil wir wunderbar gemacht sind
Die Kolumne von Tom Laengner

Wo ist die Abkürzung zur Freude?

Gottes Ebenbild soll der Mensch sein. Wirklich? Ein Text über orientalische Gewürze, Künstliche Intelligenz und schöpferisches Handeln.

Unter dem Kopftuch schaute große Freundlichkeit hervor. Die Mitarbeiterin des Ünver Marktes schlenderte vor mir her durch die engen Regalreihen, bis wir direkt vor dem Dattelsirup standen. Nach diesem hatte ich mir bislang vergeblich den Hals verrenkt. Et voilà! 

Dann ging es in derselben zielstrebigen Gelassenheit weiter zu den Gewürzen. Za’atar sollte hier irgendwo sein! Neben wildem Thymian und Sumach ist auch Sesam ein wichtiger Bestandteil dieser Gewürzmischung. Ah ja, und da wartete bereits das gesuchte Glas. Noch ein freundliches Nicken und die Frau nahm ihre unterbrochene Arbeit wieder auf.

Ich griff noch zu getrockneten Maulbeeren und ließ mir einen runden Schafskäse einpacken. Ein wenig stolz aber war ich, diese arabische Gewürzmischung aufgetrieben zu haben. Richtig; sie war in Dortmund nicht leicht zu finden. Aber das bedeutete nicht, dass sie nicht zu bekommen war.

Wie so oft im Leben wollte der Weg zu diesem Gewürzregal gefunden sein. Es gab bisher aber auch keine Notwendigkeit, ihn zu beschreiten. Denn lange Zeit hatte das Jerusalem-Kochbuch von Yotam Ottolenghi in unserem Wohnzimmer lediglich einen Notenständer verziert. Hinter dem traditionell bemusterten Leineneinband verbargen sich verführerisch fotografierte Rezepte. Ob sie so gut waren, wie sie aussahen? Das weckte meinen Pioniergeist. Ich musste die Gerichte nur zubereiten. Dem stand neben einer nahezu lähmenden Trägheit zunächst noch die Fahrt zum Markt in Hörde im Weg. Doch der Pioniergeist wollte sich auch nicht lächerlich machen.

„Wenig niedriger als Gott … „

Lieferservice geht natürlich schneller und verlangt weniger eigene Energie. Wir Menschen nehmen dafür sogar eine bescheidene Qualität in Kauf. Und es gibt eben kaum etwas, was man nicht schlechter herstellen und billiger verkaufen kann. Diesen Gedanken des Londoner Sozialreformers John Ruskin hatte ich mir mal gemerkt.

Gleichzeitig bewegte mich, dass mir mein Schöpfer weniger die Uhr als die Zeit geschenkt hatte. Und sollte ich meine Vorstellungskraft nicht, angeregt von ihm, schöpferisch einsetzen? Denn wer weiß schon, wie lange gestaltende Tätigkeiten in einem Leben noch möglich sind?

Nun ja, meinen verschwitzen Rucksack hatte ich beiseite gestellt, das Rad hatte sich wieder an die Flurwand gelehnt und vier Rote-Bete-Knollen garten schließlich im Backofen völlig stress- und fettfrei vor sich hin. Knapp eine Stunde Extremsauna von 200 Grad! Die roten Knollen beanspruchten diese Zeit. Sonst könnten sie meine Freude nicht vollkommen werden lassen. Mit einem erdigen, und ich sage mal, heimatlichen Duft räumten sie alle Unruhe in mir aus. Ich finde, mehr Erfüllung im Dasein geht für ein Rübengemüse nicht. Bei mir sieht das etwas anders aus. Kühne Bibelübersetzer bringen zu Papier, dass wir Menschen wenig niedriger als Gott erdacht seien. Ist das nicht neben einem großen Geheimnis auch eine große Ehre? Obwohl, wenn ich morgens in den Spiegel schaue, dann bin ich manchmal etwas ratlos. Ich frage mich: Wie sieht Gott wohl aus, wenn das, was ich da vor mir sehe, sein Ebenbild sein soll? Dann schließe ich schnell meine Augen und denke lieber wieder an die große Ehre: wenig niedriger als Gott.

An den Rote-Bete-Rüben verbrenne ich mir ein paar Minuten später die Finger. Gelernt ist eben gelernt – oder eben nicht! Wenn die so schmecken wie sie duften! Schließlich kommen noch der Dattelsirup, Joghurt und Za‘atar zum Einsatz. Der Mixer heult auf wie ein Rennboot mit 110km/h. Dann ist das Püree bereit, es krachen zu lassen.

Ich möchte mein Leben nicht von KI prägen lassen

Inzwischen ist auch mein Hemd wieder trocken, was ich beim Radeln auf den zehn Kilometern zum Markt durchgeschwitzt habe. Das alles gehört für mich zu meinem vollkommenen Glück dazu. Das kann ich nicht abkürzen. Und ich glaube, dass ich es auch nicht will. Und vielleicht höre ich deshalb die Lobgesänge auf den Segen der Künstlichen Intelligenz mit Unverständnis. Ich möchte mein Leben nicht von KI prägen lassen. Mir reicht es völlig, als Gottes Ebenbild zu leben. Aber wenn doch KI mehr weiß und kann als ich? Das ist für mich keine ganz neue Erfahrung. Soviel konnte und wusste ich noch nie. Das hat mich aber selten gebremst, glücklich zu leben.

Zurzeit komme ich immer wieder mal auf Goethes Zauberlehrling. Der Kollege hatte seine Welt keineswegs im Griff. Und Atomwaffen und Kraftwerke sind doch historische Beispiele dafür, wie Dinge aus dem Ruder laufen können. Einst hochgepriesen, sind sie für viele Menschen heute Symbole für Untergang und Verderben. Weiß ich, womit ich rechnen muss, wenn ich Künstliche Intelligenz mit Begeisterung umarme?

Zu sagen, dass das dunkelrote Püree sehr lecker war, wäre lächerlich. Da waren meine Frau und ich uns einig. Eher öffnete sich ein Türspalt, der mich einlud, die Welt meiner Sinne bereichern zu lassen. Jerusalem Kochbuch, du bist wunderbar!

Eine übrig gebliebene Knolle aß ich aus reiner Freude noch einfach so. Zusätzlich. Am nächsten Tag war mein Stuhl sowas von rot! Mein lieber Herr Gesangsverein! Aber das will ja wieder keiner so genau wissen.

Out of the box - weil wir wunderbar gemacht sind

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Tom Laengner

Tom Laengner ist ein Kind des Ruhrgebiets. Nach 20 Jahren im Schuldienst arbeitet er journalistisch freiberuflich und bereist gerne afrikanische Länder. Darüber hinaus arbeitet er als Sprecher für Lebensfragen und Globales Lernen.

In seiner Kolumne „Out of the Box – Weil wir wunderbar gemacht sind" schreibt er alle 14 Tage über Lebensfragen, die ihn bewegen.

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3 Kommentare

  1. „Gottes Ebenbild soll der Mensch sein“

    In der Schule hatte ich gelernt, dass wir „nach Gottes Ebenbild“ geschaffen wurden. Von Gott. Später, mitten im Leben, habe ich erfahren, dass viele dieser Ebenbilder als Verbrecher von sich reden machten. Auch als Mörder oder Massenmörder. Auch christliche. Nach „Gottes Ebenbild“ geschaffen? Ist Gott also auch ein Mörder, ein Massenmörder? Steckt in seinen Genen auch das Mord-Gen? Freilich nicht. Denn den Lieben und/oder fürchterlichen Gott haben wir nicht. Wir haben nur diesen himmlischen Simsalabim, der die Menschheit seit Urzeiten schikaniert.

    • Gott ist Liebe und kein Simsalabim

      Lieber Dieter, ich denke und glaube, wir haben keinen himmlischen Simsalabim, der die Menschheit seit Urzeiten schikaniert. Ich will auch nicht belehrend erscheinen auch wenn ich daraus hinweise, dass wir Christinnen und Christen (eigentlich) glauben, dass Gott das absolute GUTE und die LIEBE ist. Der christliche Glaube besteht allerdings nicht aus einem glaubenden Wissen, mit dem sich die gesamte Wirklichkeit des Lebens widerspruchsfrei erklären lässt. Ich will es, bezogen auf die Ebenbildlichkeit des Menschen mit Gott, es so formulieren: Wir sind leider oft k e i n e Ebenbilder Gottes. Psychologisch könnte man dies ausdrücken, dass wir uns dann sehr von Gott entfremdet haben. Die Paradiesgeschichte – als Schöpfungsgeschichte – die ein antikes Glaubensbekenntnis sein will (keine Welterklärung) beschreibt es, dass wir nicht mehr in Eden – also im Paradies – leben. Adam und Eva umschreiben den Menschen schlechthin. Der alte Adam wird von dem Neuen Menschen abgelöst, der wieder so ist wie Gott ihn will, den menschgewordenen Jesus Christus. Ganz einfach ausgedrückt sind wir Jesusfreundinnen und -freunde diejenigen, die unabhängig von einem Glauben an das Ewige Leben, auch diese Welt und unsere Gesellschaft etwas menschlicher und lebenswerter machen sollen. Nämlich nach der Bergpredigt Licht der Welt und Salz der Erde (das Salz der Gesellschaft) zu sein. Im Grunde ist dies einfach: Wir sind nicht automatisch ein Abbild der Liebe Gottes, sondern nur wenn wir dies auch praktizieren. Warum wir selbst und auch die uns umgebene Welt und zudem ebenso manche andere Menschen oft destruktiv sind – die Welt also nicht so ist wie sie sein könnte – kann weder unser Glaube noch eine andere Religion widerspruchsfrei erklären. Die Existenzialisten haben einmal das Bild gebraucht, wir seien nicht gefragt worden ob wir leben wollen, sondern wir wurden einfach in dieses Leben „“geworfen““. Vielleicht, aber hier nur als Vermutung, ist einer der Sinnhaftigkeiten des Lebens nicht nur Liebe zu üben, sondern auch zu lernen bzw. Erfahrungen zu sammeln. Wer Erfahrungen macht und lernt, der wächst auch geistig-geistlich. Dass Gott kein Simsalabim ist, kann jede/r selbst feststellen. Die himmlische Internetverbindung funktioniert stets völlig störungsfrei.

  2. Das große Glück des Seins

    „Wie sieht Gott wohl aus, wenn das, was ich da vor mir sehe, sein Ebenbild sein soll? Dann schließe ich schnell meine Augen und denke lieber wieder an die große Ehre: wenig niedriger als Gott“! Da kann ich Tom Laengner nur zustimmen. Dabei soll man sein Spiegelbild, also dann auch gewissermaßen sich selbst – gemäß einer psychologischen Methode – sogar richtiglieben lernen. Aber gemach: Vielleicht besteht vor allem die Kunst des Lebens, und damit das Leben selbst in einer größeren Tiefe zu erleben, erst einmal auch im Augenblick zu verharren. Früher bin ich oft ungern Treppen herunter gefallen, sogar auf der Chinesischen Mauer geriet ich ins Straucheln. Aber wären meine Knochen nicht so stabil, hätte ich großes Ungemach ertragen müssen. Da rieten mir weise Menschen, doch den Augenblick zu leben und nicht beim nächsten Schritt schon in der Zukunft zu weilen. Eine solche Übung habe ich kollektiv beim diesjährigen Ev. Kirchentag erlebt. Keine Veranstaltung und keine Versammlung – sei sie groß oder klein – endete ohne die 1 Minute völlige Stille. Offenbar auch ein gerne angenommenes Angebot: Man hörte keine Stecknadel fallen. Dies war ein Verharren im Jetzt. Ich bin auch überzeugt, dass da ganz viele liebe Leute mit ihrem Gott gesprochen haben. Endlich einmal Pause zu machen, stehen zu bleiben, vielleicht auch den Boden unter den Füßen fühlen und die Luft des Lebens sehr tief einzuatmen: All dies kann wirklich wunderbares Glück sein. Oder auch die Erfahrung: Da habe ich eben Gott gespürt, wie er meine Seele sanft streichelte und sagte: „Du bist schön“! Dabei bin ich nicht äußerlich schön. Aber meine Seele ist es, wenn sie einen guten Inhalt hat und jemand darin ein wunderbares Wohnzimmer einrichtet. Da denke ich auch an Kindertage, als wir auf der Wiese lagen und oben die Wolken, zu Gestalten verdichtet, über den Himmel zogen. Vielleicht benötigen wir Menschen nicht den großen Event des Glücks, die Kreuzfahrten auf dem Weltmeer oder das Besteigen hoher Berg. Vielleicht genügt ein Verharren im Augenblick, das Leben einzuatmen und in sich fließen zu lassen. Denn wie sagt selbst die Bibel , in Form durchaus einer Intelligenz des Herzens unserer Vor-Vorfahren: „Gott ist in allen Dingen“ – und eine wirklich alles umfassende Wirklichkeit.

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