Moderne Kunst ist nicht jedermanns Sache. Bei einem Museumsbesuch kommt Tom Laengner ins Grübeln über ein weißes Bild – und davon ausgehend über das Wesen Gottes.
Manche sagen, es gäbe Bilder, die aussehen, als hätte man eine Katzenfamilie mit Farbe übergossen und über eine Leinwand gejagt. Andere tuscheln über jene Sorte Kunst, die ihrer Meinung nach im Leistungsbereich eines Grundschulkindes läge. Doch leider kann keine Katzenfamilie von ihrer Kunst leben. Und die Grundschulcommunity reitet, kickt oder zockt gerne. Zeitgenössische Kunst zu entwickeln, ist unangesagt. Als verzwickten Teil des Kunstschaffens empfinde ich, dass man erst mal darauf kommen muss. Viele Dinge im Leben sind nicht so offensichtlich, wie ein knallroter gebratener Bauch unter der prallen Sonne der Costa Blanca. Und auf die muss ich als Mensch erst kommen.
Darüber sann ich nach, als ich vor einem weißen Bild von Ulrich Erben hockte. Der Düsseldorfer Künstler war auf etwas gekommen. Und die Sammlung im Kunstmuseum Bochum hatte die Arbeit überzeugt. Sie klebten drei Arbeiten des Düsseldorfer Künstlers Ulrich Erben an die ohnehin weiß gestrichene Wand. 1971 hatte Erben gewagt, mit weißer Farbe drei weiße Rechtecke auf unbehandelte Leinwand zu malen. Vielleicht hatte er die Farbe einfach über! Als Triptychon präsentiert das Museum das Ergebnis. Wie drei stille Brüder hängen sie nebeneinander an der Wand und rühren sich nicht von der Stelle.
Unser Hirn – „medienverbeult“
Da hockte ich also vor einem Bild, auf dem nichts zu sehen war. Außer dem matten Weiß und den vertrauten Formen. Und ich fühlte mich frei und wohl. Ob Kunstschaffende vielleicht genau dazu auf unserer immer noch schönen Welt sind? Sie sollen unseren medienverbeulten Hirnen das schwer Denkbare leichter werden lassen. Frische Luft für den Geist!
Das wäre nicht schlecht. Denn in unserer Gesellschaft fühle ich mich immer wieder gedrängt, mich für eine Seite zu entscheiden. Ich stehe auf der einen oder auf der anderen. Klare Kante wird erwartet. Das bedeutet in etwa, Bekenntnis abzulegen. Immer wieder sprechen Menschen von Zeitenwende. Und da gäbe es Gebote der Stunde, die als alternativlos dargestellt werden. Ohne die Bibel wäre ich vielleicht nie drauf gekommen, allgemein gültiges infrage zu stellen. Da musste ich aber erst einmal drauf kommen.
Was ist alternativlos?
Ich sag‘ mal so: Alternativlos erschienen die Dinge schon immer. Vor mehr oder weniger 4.000 Jahren erschienen Menschenopfer alternativlos. Moloch wollte das so. Den kennt heute kein Mensch mehr. Damals hielt Moloch einen unangefochtenen Platz in der Mitte der Gesellschaft. Die damit verbundenen Opfer von Kindern waren ein Gebot der Stunde. Das wusste auch ein Mann, der Abraham hieß und bis heute ein Held in deutschen Kindergottesdiensten ist. Und weil er damals ganz Kind seiner Zeit war, zeigte er sich bereit, seinen Sohn als Opfer zu schlachten. Ganz so, wie sein Gott, also nicht Moloch, es ihm nahegelegt hatte. In meinen Ohren klingt das bizarr! Menschenopfer für alternativlos zu halten, brächte mich heute hinter Gitter. Damals wurde Abraham für seine Entschlossenheit möglicherweise beklatscht.
In den Tagen der phönizisch-kanaanäischen Opferriten waren Opfer jedenfalls ein widerlich blutiges Geschäft. In unseren Tagen opfern wir auch. Allerdings fließt dabei kein Blut. Schließlich sagen manche, wir opfern unsere Kinder immer wieder unserem Wohlstand oder einer Berufslaufbahn. Aber in beiden Fällen blieb das Glück der Kinder auf der Strecke. Vielleicht war Abraham ein Opfer seiner Zeit. Denn in seinem langen und intensiven Leben hatte er durchaus mit Gott diskutiert. Hier nicht. Aber er war kein Unmensch. Es bereitete ihm seelische Schmerzen, sein Metzgermesser wetzen zu müssen. Aber wie hätte er darauf kommen sollen, sein Gott sei radikal anders als der Gott der Mehrheitsgesellschaft?
Gott ist ganz anders
Doch dann macht Gott klar: Das Gebot der Stunde war nicht sein Gebot. Ganz und gar nicht! Der Gott Abrahams war nicht nur ein bisschen netter oder stilvoller. Er war ein ganz anderer. Aber darauf war Abraham bisher nicht gekommen. Dann schon. Und es wurden nie wieder Kinder geopfert. Gott ging es darum, zu zeigen: ‚Ich bin der ganz Andere. Und das werde ich auch immer bleiben‘. Wie gut wäre es, ihn aufrichtig zu befragen, anstatt akademisch über ihn nachzudenken.
Neben dem erwähnten weißen Bild ohne Titel hing die Landschaft blau-orange von Kuno Gonschior aus Wanne-Eickel. Ganz klar: Hier war die Katzenfamilie auf Koks von der Leine gelassen worden. Ich fand den Eindruck der Farbflecke in ihrer flirrenden Leichtigkeit ganz wunderbar. Schön, dass Gonschior darauf gekommen war.
Gott ist ganz anders
Gott ist wirklich ganz anders – und alleine dies ist – nach meiner Auffassung – völlig alternativlos. Allerdings kann man aber jenes von Abraham ursprünglich geforderte (Kinder-)Opfer in der Auslegung dieses Bibeltextes auch verstehen als eine „Paradoxe Intervention“. Zur Erklärung: Jemand der wegen einer psychischen Störung Todesangst hat, beispielsweise über eine Brücke zu gehen, der wird mit seinem Therapeuten eben dies üben. Dabei wird der Therapeut ihn – also in Form einer paradoxen Intervention – verdeutlichen, dieses Bauwerk würde geradezu unter ihm sofort einstürzen. Dies ist eine glatte Lüge und dient zu einer milden Form der Gehirnwäsche. Man könnte also – das von Abraham von Gott geforderte Kinderopfer seines Sohnes – vielleicht sogar als eine solche Intervention des Himmels verstehen. Auf jeden Fall dürfte aber alleine auch die Auseinandersetzung des strikten Ein-Gott-Glaubens seitens Abrahams zu diesem dann zu seinem geschilderten inneren Konflikt geführt haben. Denn in der damaligen religiösen Welt waren Menschenopfer durchaus an der Tagesordnung (also Konfliktstoff für Religion). Heute glaube ich ebenfalls zuversichtlich, dass wir alle, wie wir auf Erden leben, jede/r für sich ein eigenes Gottesbild besitzt (ohne dies zu wollen). Nicht es zu haben ist allerdings das Problem, sondern es zu kultivieren. Jesus hat – und damit auch die Überlieferungen aus der Urgemeinde – sehr verdeutlicht, dass die damaligen Gottesvorstellungen und unsere Heutigen nichts mit dem Wesen Gottes zu tun haben. Gott ist unendlich in Güte, Liebe und Barmherzigkeit und auch in allen seinen Möglichkeiten, sowie außerdem autonom. Weder die Vertreter eines traditionellen Christentums noch einer liberalen Ausprägung können ihn einnorden. Sodann kann unser Christ-sein nicht zu einer lückenlosen widerspruchsfreien Erklärung des Universums und aller Dinge. führen. Es gibt kein Gottesteilchen, damit keine Weltformel, um und dann zu können. Der Schöpfer aller Dinge lässt sich nicht im Labor oder quantenphysikalisch sezieren. Unser gesamter Glaube ist zusammengefasst: Gott zu lieben, den Nächsten und sich selbst. Mehr als dass Gott Liebe ist können wir nicht wissen, aber dies mit großer Gewissheit. Denn seine Wege sind höher als unsere und seine Gedanken ebenfalls. Davon haben bereits antike Menschen eine Ahnung gehabt, denn jener zitierte Bibelvers steht im Ersten Testament der Bibel..