Die Evangelische Kirche hat 2021 über 500.000 Mitglieder verloren. Kirchensoziologin Petra-Angela Ahrens meint, dass sich der Trend beschleunigen könnte – unabhängig von Skandalen.
Petra-Angela Ahrens vom Sozialwissenschaftlichen Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) hält die sogenannte Freiburger Studie für überholt. Diese Studie hatte vor vier Jahren ein Szenario gezeichnet, demzufolge die beiden großen christlichen Kirchen bis 2060 rund die Hälfte ihrer Mitglieder verlieren könnten. Dieses Szenario erscheine im Licht der aktuellen Austrittszahlen überholt. „Um das zu schaffen, müssten wir dauerhaft unter eine Austrittsquote von einem Prozent kommen“, rechnete Ahrens vor. Im vergangenen Jahr hätten allerdings 1,4 Prozent der Protestantinnen und Protestanten ihrer Kirche den Rücken gekehrt.
Ahrens sieht Skandale in der katholischen Kirche nicht als wesentlichen Grund für die erhöhte Austrittsrate unter Protestantinnen und Protestanten. Die aktuell besonders hohen Austrittszahlen in der Region Köln seien unter anderem „Mitnahmeeffekte“, erläuterte Ahrens dem Evangelischen Pressedienst (epd): „Viele haben sich schon seit längerem für einen Austritt entschieden. Sie warten im Prinzip nur noch auf eine passende Gelegenheit.“
Soziologin: Gleichgültigkeit ist das Schlimmste für die Kirche
Die Entscheidung zum Austritt reife oft langsam heran, sie brauche Zeit, sagte Ahrens. Skandale seien dann lediglich die Rechtfertigung für etwas, dessen Ursache ganz woanders liege. Gleichgültigkeit gegenüber der Kirche oder das Gefühl, die Kirche sei irrelevant, seien meist die eigentlichen Gründe für Kirchenaustritte. „Und das ist aus Sicht der Kirchen das Schlimmste überhaupt“, sagte Ahrens. Selbst mit einem eingefleischten Atheisten habe man wenigstens noch eine Diskussionsgrundlage, aber nicht mit Menschen, denen die Kirche egal sei.
Die Beschleunigung der Austrittsbewegung könne auf eine Sogwirkung zurückzuführen sein, sagte Ahrens. Wissenschaftlich abgesichert sei dies aber noch nicht. Mittlerweile seien weniger als 50 Prozent der Menschen in Deutschland Mitglied in einer der christlichen Kirchen, und die konfessionslose Mehrheit könnte eine Sogwirkung erzeugen, beschrieb Ahrens.
Ob es bereits ein Kipppunkt sei, wie es beispielsweise der Münsteraner Soziologe Detlef Pollack bezeichnete, wisse sie nicht. Klar sei aber: „Mittlerweile muss man einen Austritt nicht mehr in seinem sozialen Umfeld begründen. Im Gegenteil, wenn man in der Kirche bleibt und das auch sagt, erntet man mitunter hochgezogene Augenbrauen.“
Redaktioneller Hinweis: In einer vorherigen Version fehlte die Angabe, dass „Mitnahmeeffekte“ nur ein Faktor unter mehreren seien. Außerdem war statt von Sogwirkung von Majoritätseinfluss die Rede. Auch die Angaben zu den Austrittszahlen 2021 wurden korrigiert: Es waren nur knapp 1,4 Prozent statt 2,5 Prozent.
Was 2060 sein wird gehört ohnehin in den Bereich der Legendenbildung !
Zumal die Katastrophen sich häufen, und ihre Wahrscheinlichkeit in der Zukunft noch zunehmen dürfte, was zumindest solche Prognosen recht fade erscheinen lässt.
Damit fördere man doch eher die Gleichgültigkeit, als umgekehrt.
Die Kirche geht nicht unter
Ich möchte mit meinem nachfolgenden Kommentar nicht missverstanden werden: Erstens bin ich ein überzeugter Christ. Zweitens zudem auch überzeugt von der Notwendigkeit, zukünftig eine wirkliche kirchliche Ökumene zu praktizieren. Und drittens schätze ich, bei allen Fehlern und Mängeln menschlicher Institutionen, auch meine Evangelische Kirche sehr. Ich liebe sie sogar. Aber wir leben auch 2000 Jahre nach Christus und es wäre unrealistisch, wenn sich nicht auch christliche Institutionen im Laufe der Zeiten verändern, auch nicht unbedingt nur in einer negativer Weise. Ich will es mal so ausdrücken: Auch in Zeiten der unsäglichen Jahre des Nationalsozialismus war hierzulande der Kirchenbesuch bei beiden großen Volkskirchen gut. Trotzdem hatte zumindest die überwiegende Zahl der Christinnen und Christen „Heil“ gerufen, und der Verführung des Antichristen Hitler nicht widerstanden. Ergo: Zahlen können nie Wirklichkeit umfassend beschreiben. Die heutige Wirklichkeit von uns Menschen besteht aber eher darin, dass es immer weniger vermittelbar ist, von der Wiege bis zur Bahre ein Kirchenmitglied zu sein, hier im Westen vor allem auch wegen der Kindertaufe, und hierdurch (gewissermaßen) in Kirche ungefragt hineingeboren zu sein. Wer nicht glauben will, kann oder keine Beziehung zu seinem Glauben besitzt: Der vermag keinen Sinn darin sehen, dass das Heil nur durch Kirchenmitgliedschaft entsteht. Im Gegenteil: Wer will in einem Boxclub seine Beiträge bezahlen, wenn er Kinnhaken und KO`s keinerlei Sinn abgewinnt. Wozu soll jemand seine Kirchensteuer leisten, wenn sie/er nicht glauben könnte oder wollte? Ich halte eine solche Haltung eher für ehrlich. Schlimmer wäre die völlige Unehrlichkeit, also vollends nur aus Tradition Kirchenmitglied zu bleiben. Alle Kirchen haben und verkünden hoffentlich wichtige Werte. Aber andere Menschen und zivile Organisationen tun dies durchaus ebenso mit Fleiß. Leider irgendwann lässt sich die kirchensteuerfinanzierte Kirche auch schon bereits aus rein finanziellen Gründen nicht mehr aufrecht erhalten. Aber Gottes Fußvolk bzw. Jesu Freundesclub wird nicht damit untergeht. Es wird dann möglicherweise eine „Kirche der ganz vielen kleinen, ökumenischen Gruppen“ bestehen, in denen Menschen auch wirklich „exemplarisch“ ihren Glauben leben und ihr Leben mit anderen (auch armen) Menschen teilen“! Nicht als Sekte, sondern einladend, nicht nur in Heiligen Hallen sondern auch an den Hecken und Zäunen der Welt: Dort wo viele Menschen leben und arbeiten. Wenn es nicht in erster Linie um die Größe, das Gewicht und Aufgabenvielfalt geht, sondern wenn eine solche Kirche viele kleine Lichter für die Welt ist, zudem Salz der Erde und Sauerteig der Gesellschaft, dann beschreibt dies ihre sodann gute Wirkungsweise. Sie kapselt sich nicht ab. Sie ist in der Welt, aber nicht von der Welt. Und dies alles wird nur dann funktionieren, wenn der Heilige Geist weht, der weht wo er will. Und wo ihm Gottes Bodentruppe niemals Knüppel zwischen die Beine wirft.
Eine solche leichtfüßige Kirche ohne bürokratischem Wasserkopf besitzt durchaus wichtige Kernkompetenzen. Sie besitzt dabei wenig Hierarchie.