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USA: Als ein 16-Jähriger gegen das Schulgebet protestierte

Beten oder nicht im Schulunterricht? Der Streit um Trennung von Kirche und Staat ist ein gesellschaftspolitischer Dauerbrenner in den USA. Vor 60 Jahren fällte das Oberste Gericht ein noch heute umstrittenes Urteil.

Von Konrad Ege (epd)

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Der 82-jährige Physiker Ellery Schempp erinnert sich genau. Sein Protest am letzten Montag im November 1956 hatte den Rechtsstreit ausgelöst. Es dauerte bis zum 17. Juni 1963, bis das Oberste Gericht der USA das Urteil fällte: Staatliche Schulen dürfen Kindern das Lesen der Bibel und das Beten nicht vorschreiben.

1956 war Ellery 16 Jahre alt und Schüler in der Abington Senior High School unweit von Philadelphia in Pennsylvania. Jeden Morgen kurz nach acht Uhr seien per Lautsprecher zehn Bibelverse verlesen worden, und Schüler hätten das Vaterunser beten müssen, erzählt Schempp.

Ellery, Musterschüler mit Top-Noten und offenbar einer gewissen Sturheit und einigem Mut, hatte sich mit der Geschichte der USA befasst: In der Verfassung heiße es ausdrücklich, dass der Staat Religion nicht begünstigen dürfe. Im ersten Verfassungszusatz steht: «Der Kongress soll kein Gesetz erlassen, das eine Einrichtung einer Religion zum Gegenstand hat oder deren freie Ausübung beschränkt.» In der Familie Schempp spielte Religion eine Rolle. Sie gehörte einer Unitarian-Universal-Gemeinde an, einer liberalen religiösen Vereinigung.

Was ist mit jüdischen Schülern?

«Meinen jüdischen Freunden muss das christliche Gebet unangenehm gewesen sein», sagt Ellery Schempp. Er habe an diesem Montag einen Koran mit in die Schule genommen, als Symbol gegen die christliche Natur des Morgengebets, und zum Zeichen, dass es auch andere heilige Bücher gebe. Er habe während der Bibellesung darin herumgeblättert und er sei beim Vaterunser nicht aufgestanden. Der Beratungslehrer habe gefragt, ob er psychologische Hilfe brauche. «Man muss sich vergegenwärtigen», sagt Schempp, «dass die 1950er Jahre die Zeit der Konformität waren in den USA.»

Abends erzählte Ellery das seinen Eltern. Sein Vater habe ihm empfohlen, er solle dem Bürgerrechtsverband «American Civil Liberties Union» (ACLU) schreiben. Ellery schrieb. Ob die ACLU ihm beistehen könne gegen diese Verfassungsverletzung in der Schule? Die Antwort war positiv.

Staat ist zur neutralität verpflichtet

Der Schulbezirk konterte, die Bibel bringe den Kindern moralische Prinzipien bei. Beim Urteil vertraten dann allerdings acht der neun Richter die Ansicht, die Verfassung erlaube das staatlich vorgeschriebene Beten nicht. Der Staat sei zur Neutralität verpflichtet.

Das Echo auf das Urteil war groß. Die Entscheidung der Richter werde konkrete Auswirkungen haben auf 37 der 50 Bundesstaaten, in denen manche staatliche Schulen Andachten veranstalteten, schrieb die «New York Times». Das CBS-Fernsehen interviewte Ellery und seinen Vater Edward Schempp. Dieser betonte, es sei ihm wichtig, dass junge Menschen selbstständig dächten. Die Familie habe etwa 5.000 Briefe bekommen, ein Drittel unterstützend, ein Drittel abwägend, und ein Drittel voll Feindseligkeit, erinnert sich Ellery Schempp. Viele hätten wissen wollen, wer die Schempps seien: Kommunisten? Juden?

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Kirchenvertreter zeigten sich empört. Das Urteil bestrafe religiöse Menschen, die Mehrheit der US-Bevölkerung, protestierte der Präsident des Weltrats der Methodisten, Bischof Fred Corson. Der katholische Erzbischof der Hauptstadt Washington, Patrick O’Boyle, klagte, es sei offensichtlich, dass das Oberste Gericht langjährige religiöse Traditionen verwerfe.

Jüdische Verbände und der ökumenische Nationale Kirchenrat äußerten sich positiv. Das Urteil mache deutlich, dass es Sache der Familie und Glaubensgemeinschaften sei, den Glauben zu verbreiten, nicht des Staates, erklärte der Rat.

Trennung von Staat und Kirche bröckelt

Die Abington Senior High School habe nach dem Urteil die Andachten eingestellt, schrieb Autor Stephen Solomon im Buch über den Fall, «Ellery’s Protest». Vielerorts hätten sich Schulbezirke jedoch dem Urteil widersetzt. In manchen Bezirken sei weitergebetet worden, weil sich niemand gefunden habe, der protestiert habe – aus Sorge um gesellschaftliche Ächtung.

Inzwischen zeichnet sich ein Wandel ab: In den vergangenen Jahren hat sich das Oberste Gericht eher für eine Abschwächung der Trennung von Kirche und Staat ausgesprochen. Sechs der neun amtierenden Richterinnen und Richter gelten als konservativ, drei von ihnen wurden vom ehemaligen republikanischen Präsidenten Donald Trump ernannt. Und in konservativen Kreisen in den USA wird derzeit beanstandet, das säkulare Amerika wolle Gott aus den Schulen verbannen.

Im Juni 2022 urteilten die Richter, ein Footballtrainer in einer staatlichen High School dürfe mit seinen Spielern auf dem Rasen beten. Die Verfassung schütze die Religionsfreiheit des Sportlehrers.

Ellery Schempp sorgt sich um die Zukunft, wie er sagt. Das Urteil gegen das verordnete Bibellesen an staatlichen Schulen sei in den vermeintlich konservativen 1950er und 1960er Jahren gefallen – doch die damaligen Richter hätten sich strikt an der Verfassung orientiert.

Quelleepd

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1 Kommentar

  1. Ein Problem ist das Schwarz-weiß-denken

    1956 war Ellery 16 Jahre alt und Schüler in der Abington Senior High School unweit von Philadelphia in Pennsylvania. Jeden Morgen kurz nach acht Uhr seien per Lautsprecher zehn Bibelverse verlesen worden, und Schüler hätten das Vaterunser beten müssen, erzählt Schempp. Ansich bereits ein völliges Unding: Noch in meiner Schulzeit gab es auch das unsägliche Schulgebet. Nicht weil es reine Routine war, oder die Schüler es niemals ernsthaft mitgebetet haben – sondern auch die Lehrer in einmütiger Gleichgültigkeit gleichzeitig die Anwesenheitsliste abhakten. Gebet und Glaube kann niemand anordnen und verpflichtend machen. Auf dem Kirchentag war es sehr berührend, dass tausende Menschen immer eine Minute völlig still waren und dann gemeinsam das Vater-Unser beteten. Im nahen Restaurant stand dabei sogar der Kellner still. Aber niemand, hätte er nicht mitgebetet, wäre dann als nicht mehr liebenswerter Mensch eingestuft worden. Wie heißt es so schön, von Gott selbst formuliert (durch Jesus): Die Liebe ist die Größte Aspekt des Glaubens. Denn die Voraussetzung der Liebe ist kein Pflicht. Ich bin um meiner Selbst willen von Gott geliebt. An dieses Ideal müssen wir uns (oder dürfen wir uns) annähern, auch in dem wie wir unsere Mitmenschen behandeln.

    Hier der Versuch etwas sinnstiftendes über die US-amerikanische Trennung von Staat und Kirche zu schreiben: Denn vielleicht wird das gesamte Problem in den USA befördert durch ein extremes Schwarz-weiß-denken: Du Demokrat, du gut – du Republikaner, du schlecht (stimmt auch präzise umgekehrt). Auch als Christ bin ich nicht unbedingt ein besserer Mensch als meine Nachbarin, die vielleicht aus der Kirche ausgetreten ist.
    Fast nehme ich an, dass es in den USA gar keine Kirchentage gibt. (Also wo Christen, auch mit Nichtchristen und miteinander diskutieren und man dabei toleriert wird, wenn man politisch unterschiedlich tickt). Oder wie vor wenigen Tagen unser Bundespräsident eine gute Bibelarbeit hielt vor tausenden von Menschen, begleitet von einem Chor aus der Ukraine und deshalb auch nicht der wirrste Zeitgenosse gefordert hätte, dies sei mit seinem sehr obersten Staatsamt unvereinbar. In deutschen Amtsstuben dürfen hoffentlich noch Kreuze hängen, obwohl darunter der Beamte oder Angestellte nicht beten muss und auch nicht der Bürger. Wir als Christinnen und Christen sind zugleich auch Staatsbürger. Der Staat ist weder christlich noch unchristlich, aber der Staat hat auch keinen zu hohen oder niedrigen Blutdruck. Der Staat ist nur der zusammenfassende Begriff, dass da viele Menschen leben, die soziale Beziehungen pflegen, die glauben oder nicht glauben – und wenn sie es auch nicht wissen oder wollen – trotzdem alle von ihrem Schöpfer geliebt werden. Ich denke, eine neuzeitliche und doch sehr gute Haltung von uns Jesusnachfolger*innen ist die Toleranz. Was dann für mich bedeutet: Ich halte es nicht für sinnvolle Werbung für mehr Power zur Klimarettung, wenn sich in Nürnberg Aktive „der letzten Generation“ vor dem Hauptbahnhof einbetonierten. Allerdings kann ich diese Haltung aber immerhin nachvollziehen. Auch dass es sich aber niemals um Terroristen handelt. Sogar schreiben darf ich dies, ohne die Befürchtung zu haben, mit Hetze oder Gewalt konfrontiert zu sein. Übrigens: Auch wenn es zu den schwereren Übungen gehört: Streit ist auch in konstruktiver Form möglich – und man darf sich dabei und danach noch immer lieb haben. Gebet und Glaube kann niemand anordnen und verpflichtend machen. Ellery, der sich oben in der Geschichte gegen das aufgezwungene Gebet wehrte, gehörte der Unitarian-Universal-Gemeinde an, einer liberalen religiösen Vereinigung. Denn immerhin soll Jesus ja auch gesagt haben „wer nicht gegen mich ist, ist für mich“. Deswegen ist nicht die Punktlandung im Glauben maßgeblich, sondern die Liebe. Gott zwingt uns nichts auf. Immerhin hat er seinen Thron verlassen, ist ein Mensch geworden als kleines Baby und wurde von uns an einem Kreuz hingerichtet. Wer sich solche Mühe gibt – und so viel Liebe aufwendet – uns zu überzeugen, der wird uns das Morgen- oder Abendgebet nicht anordnen. Aber umso erfreulicher ist es, dass wir es tun. Ellery hätte sich gerne überzeugen lassen und dann selbst für das Gebet entschieden.

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