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Wie kann ich beten?

Gibt es „richtiges“ Beten? Sicher. Auch „falsches“ Beten? Manche Gebetsformen mögen fremdartig erscheinen, doch für andere passen sie genau, sagt Pfarrer Sebastian Baer-Henney.

Beten ist Denken mit Gott. Gedankenaustausch mit der Kraft, die uns geschaffen hat. Baut das Druck auf? Ich hoffe nicht – und doch ist genau das ein wesentliches Problem beim Beten. Der Druck, es richtig machen zu müssen. Da gibt es einerseits den sozialen Druck, den ich in manchen Glaubensgemeinschaften kennengelernt habe. Dass Gebete geschliffen und demütig und irgendwie individuell klingen müssen, gerne öffentlich vorgetragen und nicht selten in einen unausgesprochenen Wettbewerb um das beste Gebet eingebunden. Kein Standard-Druck, aber weit verbreitet und leider oft auch gefördert dadurch, dass Personen zum öffentlichen Gebet vor der Gemeinde ermutigt werden. Auf der anderen Seite kann aber auch Druck entstehen durch den Gedanken an das allmächtige Gegenüber des Gebets. Denn mit dem Schöpfer aller Dinge zu sprechen, das ist ein bisschen wie Privataudienz bei der Chefin. Wie verhält man sich, ohne ins Fettnäpfchen zu treten?

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Gott nimmt uns wahr

Was also tun? Es lieber lassen und hoffen, dass Gott auch so gnädig ist? Wäre eine Möglichkeit, und tatsächlich glaube ich auch, dass Beten nicht heilsnotwendig ist – schließlich sind wir alle in permanentem Kontakt mit Gott und seiner Kraft, die Geistkraft durchwebt unser gesamtes Wesen und alle Räume dieser Erde. Und dennoch: Es wäre schade, auf das Gebet zu verzichten. Beten schafft uns nämlich Entlastung und Klarheit und Gottesnähe. Es befreit die Seele und erdet uns im Himmlischen. Es zu lassen, wäre also ein großer Verlust, ein nicht notwendiger zudem: Denn eben weil Gott es wahrnimmt, wenn wir den Kontakt suchen, bedarf es keines bestimmten Rahmens, und eben weil Gott uns geschaffen hat, weil er uns schon im Mutterleibe kannte, weil unser Bild der Schöpferkraft schon vor Augen war, bevor unsere Eltern überhaupt den liebenden Blick aufeinander geworfen haben, brauchen wir keine Angst zu haben, ihm unangemessen gegenüberzutreten. Welche liebenden Eltern freuen sich nicht über jegliche Zuwendung durch ihre Kinder? Eben. Und wenn Gott liebende Mutter und gütiger Vater ist, dann wird sich Gott über all unsere Zuwendung freuen – es gibt nichts, was wir falsch machen können, wenn wir Gott suchen. Steht übrigens so auch in der Bibel. Wenn wir ihn von ganzem Herzen suchen, wird sich Gott finden lassen – und ich bin sicher, dass es ein bereitwilliges und freudiges Finden ist. Denn er wird uns, wie uns die Jahreslosung 2022 verspricht, nicht fortstoßen und entrüstet sagen: „Ist das alles? Findest du das angemessen? Bügel dein Hemd!“ Nein. Gott hört. Und freut sich über unsere Zuwendung.

Die Grundvoraussetzung fürs Gebet ist also recht einfach: Beten ist die Hinwendung zu Gott, die Suche nach Kontakt und die Aussicht, dass man auf ein offenes Ohr stößt von einem liebenden Schöpfergott – und als Beter:in brauche ich mich nicht unter Druck zu setzen.

Wie finde ich die richtigen Worte?

Was aber tun? Wie finde ich die richtigen Worte? Erst einmal hineinhorchen in sich, was gerade dran ist. Es gibt Momente, da sprudeln die Gedanken einfach aus einem heraus und man muss nichts weiter tun, als sich auf Gott zu fokussieren und Gott zu sagen, was dran ist. So einfach ist es aber nicht immer: Wenn einem schlicht die Worte fehlen. Manchmal ist man sprachlos. Weil das Leben einem die Worte raubt. Weil man ausgebrannt ist, völlig leer und ohne jegliche Sprache. In diesem Fall kann man sich Gebete leihen. In der Bibel stehen eine Menge davon, wenn man mal ins Buch der Psalmen guckt. Oder – größter Hit ever – das Vaterunser, das in so vielen Lebenslagen Halt bietet.

Schon von alters her gibt es Gebetbücher und -sammlungen von anderen, die man sich nehmen und deren Worte man sich leihen kann. Und Worte sind bei Weitem nicht die einzige Gottzuwendung im Repertoire unserer Seele: Vielleicht schweigt man auch einfach mit Gott – auch das ist Gebet. Wie Hiobs Freunde, als er in Trauer war: Sie setzten sich zu ihm und schwiegen erst einmal. Was, wenn ich mir Gott auf dem Stuhl neben mir verbildliche und einfach schweigend seine Gegenwart genieße? Wenn ich im Herzensgebet in mich selbst eintauche und dem Echo von Gottes Schöpferruf in mir lausche? Dem Herzschlag seines Geistes? Der Wärme des Atems, den die Kraft mir eingehaucht hat? Auch Gebet. Würde ich sagen. Ja, auch jenseits der Worte gibt es Gebet. Zudem in so vielen anderen Ausdrucksformen der Seele, in Selbstmitteilung auf ganz anderen Kanälen: Als David vor Freude vor der Bundeslade tanzte, da war es Gebet. Musik ist Gebet in Klangform. Und im Predigerseminar habe ich sogar Kung Fu als spirituelle Übung kennengelernt.

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Das Gebet auf die eigenen Bedürfnisse abstimmen

Entscheidend ist oft das Setting. Und auch da gibt es wieder kein Richtig und Falsch. Es ist einfach die Frage, was gerade zu meiner Stimmung passt. Oft habe ich den Gottesdienst als einen sehr heilenden Ort des gemeinschaftlichen Gebets erlebt. In einer strengen Liturgie kann das Gebet einen sehr starken Halt bieten. Ebenso und doch ganz anders in Taizé, wo ich mich betend auf dem Teppich fläzen und dennoch voll auf Gott einstellen kann. Ich kann mir zu Hause eine Kerze anzünden, wobei Ruhe sicher zuträglich ist. Oder ich kann mit meinen Kindern in ihren Worten beten, die oft so viel mehr Weisheit haben, als ich in dem Moment finden könnte.

Manche Formen des Gebets sind mir selbst sehr fremd, mit Zungenreden zum Beispiel hab ich es bislang nicht versucht. Ebenso mit Worship. Nicht meins. Aber ist es an mir, darüber zu richten, was das für andere ist? Sicher nicht. Es liegt bei den anderen, wie bei mir, den Weg zu Gott und dem Gespräch mit ihm zu finden. Manche Gebete mögen mir fremd sein – für andere passen sie genau. Vielleicht könnte man es so zusammenfassen, dass, je besser ich meine Bedürfnisse erforschen kann, desto besser ich mich in einen Gebetskontakt mit Gott begeben kann. Wohlgemerkt: Das soll nicht heißen, dass es allein von mir abhängt, wann Gott mit mir in Kontakt tritt – die Bibel ist voll von Stellen, wo Gott das an den unmöglichsten Orten tut (zum Beispiel: nachts. In der Wüste. Mit einem Stein als Kopfkissen.) Beten aber ist die Kontaktsuche meinerseits – und um zu wissen, wie ich mich auf Kontakt einstelle, ist es einfach hilfreich zu wissen, was ich gerade brauche. Ist mit Freunden ja auch nicht anders: Manchmal ist mir eher nach telefonieren. Manchmal nach Kaffeetrinken. Manchmal schicke ich nur ein Foto oder ein GIF.

Was also brauche ich? Hineinhorchen. Die spirituellen Lauscher aufstellen. Und dann genau das tun, was dran ist: mich zurückziehen. Oder zu Menschen gehen. Oder in die Kirche. Oder an den Rhein. Spazieren. Meditieren auf der Matte im Garten. Yoga, Gitarre, Schreiben. Hab ich was vergessen? Sicher. Weil es keine Grenzen gibt. Gott wird sich finden lassen in dem, wo ich gerade mein Herz hineingebe.

Gott lässt sich finden

Und dann? Wieder kein Druck. Es ist wie bei der Liebe. Je mehr Freiraum und je weniger Druck, desto besser. So auch hier. Herzensfreiraum. Fließende Gedanken. Nicht alles muss konsistent sein, nicht alles geschliffen. Denn wieder: Wer uns geschaffen hat, versteht uns. Für uns aber ist es hilfreich, die Dinge irgendwie herauszubringen. Gebet ist also nichts Fertiges. Gebet ist suchend. Weil es nicht Antwort ist, sondern Frage. Und doch kann es die Antwort in sich bergen. Mein Lieblingsbeispiel ist das Gebet von Jesus am Kreuz, Psalm 22, den er zitiert: „Mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Hat er nicht – sonst würde er ja nicht zuhören. Und wenn Jesus das nicht wüsste, würde er nicht fragen. Gott ist da und hört dieses Gebet, und eigentlich hat Jesus schon die Antwort in der Frage mit drin. So liegt oft die Antwort auf unser Gebet in unserem Herzen, Gott hilft nur dabei, sie zu finden.

Und mit der Zeit übt sich das ein. Je mehr von meinem Leben ich als ein Gebet begreife, desto mehr kann ich spüren, dass Gott dabei ist. Aber diskret und nicht so, dass wir fortan heilig durch die Gegend schweben müssten, sondern als Gott an unserer Seite. Als Gefährtin. Als Bruder. Als schöpfende Kraft und erhaltender Ursprung. Und: Als bedingungslos liebendes Gegenüber im Gebet. Immer wieder.

Sebastian Baer-Henney ist Pfarrer in Köln-Mülheim und sucht mit den Menschen Wege zu Gott abseits des Gewohnten – oder auch genau darin.


Dieser Artikel ist im Kirchenmagazin 3E erschienen. 3E wird vom SCM Bundes-Verlag herausgegeben, zu dem auch Jesus.de gehört.


Weiterlesen: Wie beginnt man ein Gebet? Antworten gibt die Jesus.de-Community in unserem Glaubensfragen Q&A


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1 Kommentar

  1. Gott ist kein Staatsanwalt

    Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass das Gebet auch in seiner unmittelbaren nachhaltigen Wirkung die Liebe zu Gott stärkt. Dabei ist vielleicht wichtig sich zu verinnerlichen: Gott kennt uns viel besser als wir selbst. Ich muss ihm daher nichts vormachen. Es ist nicht nötig, das manchmal Unsägliche was wir hin und wieder denken, vor ihm verstecken zu müssen. Aber wie ein guter Vater und eine liebevolle Mutter ist der Himmlische Vater kein Staatsanwalt, er will niemand überwachen, in eine geistig-geistliche Enge führen und eigentlich – wenn es keinen offensichtlichen Grund dafür gibt – muss ich auch vor ihm keine Angst haben. Denn Gott ist Liebe und in der Liebe ist keine Angst. So meine ich daher, dass ein Gespräch mit Gott überhaupt kein Selbstgespräch ist, sondern es ist ein befreites Reden mit demjenigen der nur aus Barmherzigkeit und Liebe besteht und dessen Größe bzw. Macht sich hierauf aus eigenem Willen beschränkt. Nur ein solcher unendlicher Geist, der aus sich heraus das unendliche Universum erschuf, wurde ein wirklicher Mensch, ein kleines Baby und dann als junger Mann brutal durch die römische Todesstrafte hingerichtet. Er ist kein universeller Gewaltherrscher, niemand der mit eisernem Stab und mit Gewalt regiert, sondern er lässt uns auch die Freiheit böse zu sein, oder sich für das Gute zu entscheiden: Weil er uns liebt und gerne freiwillig zurück geliebt werden möchte. Denn eine Liebe aus Zwang ist unsäglich und keine. Was banales zum Schluss: Jede/jeder kann für sich eine passende Art und Weise findet, wann und wie er mit Gott spricht. Aber hier gibt es nur den Vorschlag Jesu nicht zu plappern wie die Heiden. Es wird uns kein Ort vorgeschrieben. Beten kann ich überall und jederzeit. Wie schön.

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