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Von wegen „Stille Nacht“: Wenn die Weihnachtsidylle Risse bekommt

„Stille Nacht, heilige Nacht“. Ernsthaft? Die Geburt Jesu war alles andere als still oder idyllisch – weit weg von heutiger Weihnachtsromantik.

Von Pfarrer Oliver Helmers

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Kaum zu glauben: In einer Woche ist Weihnachten. Lieder von Rudolph, dem rotnasigen Rentier, Jingle Bells und Co. laufen in den Kaufhäusern rauf und runter, während Spekulatius, Stollen und Lebkuchen schon ewig in den Supermärkten stehen. Dort, wo man alte Lieder noch kennt, singt man wieder von der angeblich stillen, aber sicherlich heiligen Nacht und dem „holden Knaben mit lockigem Haar.“

Alles andere als still

Schon spannend, wie manche Bibeltexte volkstümlich aufgepeppt wurden. Oder kann mir jemand sagen, wo von Jesus und dem „lockigen Haar“ gesprochen wird? Spätestens seit ich Vater wurde, hat mein Bild von den Ereignissen in Bethlehem Risse bekommen. Nicht, dass ich meinen Glauben verloren hätte. Aber von manchen volkstümlichen Vorstellungen habe ich mich längst verabschiedet.

So zauberhaft wie man uns Weihnachten weismachen will, wird das alles gar nicht gewesen sein. Von einer stillen Nacht jedenfalls kann mir niemand etwas erzählen. Wie soll das gehen? Nicht nur, weil eine Geburt unter Schmerzen geschieht … Ein Baby hält auf Trab. Es schreit und weint, Schlafen hat es noch nicht gelernt. Säuglinge haben kein Zeitgefühl, sie wissen nicht, wann der Tag endet und wann die Nacht beginnt.

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Es mag stille Momente für Maria und Josef gegeben haben, aber die werden nur von kurzer Dauer gewesen sein. Ein Säugling meldet sich und das ziemlich oft. Mal ist ihm kalt oder er hat Durst. Manchmal will das Kind auch einfach nur getragen werden oder braucht eine neue Windel. Etwa zwölf Windeln braucht ein Neugeborenes pro Tag. Ich hätte das ja für Propaganda der Windelindustrie gehalten, bis ich eines Besseren belehrt wurde. Dass es damals keine Wegwerfwindeln gab, macht die Sache nicht romantischer. „Ihr werdet finden, das Kind in Windeln gewickelt“ – wie menschlich ist das bitteschön? Wenig glanzvoll ist auch der Name „Jesus“: Eltern geben ihren Kindern ja heute süße, wohlklingende Namen wie Leon, Ben oder Paul. Jesus aus Bethlehem heißt nichts anderes als „Gotthilf aus Brothausen“.

Während manche Krippendarstellungen einer regelrechten Idylle gleichen, zeichnet die Bibel ein völlig anderes Bild: Maria und Josef waren auf der Flucht, Herodes ließ alle Erstgeborenen töten. Von Anfang an war das Leben von Jesus bedroht. Die Hausgeburten in Ehren – die Geburt in einem Stall war nicht gerade die perfekte Location.

Auch wenn mein idyllisches Bild von Weihnachten Risse bekommen hat, sind es heilsame Risse, die mich die Bethlehemgeschichte neu denken lassen. Gerade das Hinterfragen einer volkstümlichen Weihnachtsromantik bringen mir Heiligabend vor meine Haustür. So schön auch die Sterne gefunkelt haben – Lichtverschmutzung gab es damals noch nicht –, es war kein Disneyfilm, in den Jesus da geboren wurde. Aber das ist das Schöne daran! Jesus ist Mensch geworden und das ist er wirklich: Er kam im wahrsten Sinne des Wortes „auf die Erde“. Manche Ausleger vermuten gar, dass die Futterkrippe in Wirklichkeit eine Erdgrube war, aus der sonst die Tiere fraßen. Dass das Jesuskind in eine solche Grube gelegt wurde, kann man dann nun wirklich bodenständig nennen!

Alles andere als glamourös

Seine Laufbahn beginnt ebenso schlicht wie ergreifend und sie bleibt es bis zum Schluss. Jesus mischt sich unter das Volk, macht sich verletzbar, er geht auf Leute zu und beeindruckt mit seiner Nähe eine wachsende Jüngerzahl. „Eines Tages kam einer, der hatte einen Zauber in seiner Stimme, eine Wärme in seinen Worten, einen Charme in seiner Botschaft“, wird man später über diesen Mann aus Nazareth dichten.

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Auch wenn die Ereignisse in und um Bethlehem nicht gerade glamourös waren und Jesus in keiner stillen Nacht geboren wurde, bringen mir die Evangelien Jesus näher, als jede Hollywood-Szenerie es tun könnte. Jesus kommt in unser Leben mit allen Nöten, Schwierigkeiten und Gefahren. Das ist es, was Weihnachten für mich so bedeutsam, ja, so persönlich macht. Und ja, daran will ich gerne glauben!

Oliver Helmers ist Gemeindepfarrer in der Evangelischen Kirchengemeinde Aldingen und lebt am Fuße der Schwäbischen Alb.


Dieser Artikel ist in der Zeitschrift MOVO erschienen. MOVO ist Teil des SCM Bundes-Verlags, zu dem auch Jesus.de gehört.

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1 Kommentar

  1. Weihnachtsidylle mit Rissen und extrem viel Liebe

    Unser eigene Weihnachtstradition ist wirklich gut gemeint und sehr viele Menschen wünschen es betuelich, harmonisch und liebevoll. Jahrzehnte habe ich – zwar nicht als Sozialpädagoge – aber als Mitarbeiter in einem Team einer Beratungsstelle gearbeitet. Nach Weihnachten war da immer Hochbetrieb, weil die Familien gerade auch mit latenten Problemen oder viel Unaufgearbeitetem, nicht selten durch ausdrückliches Bemühen nach guter Harmonie implodierten. Also nur viel Zank, Disharmonie, Worte die wechselseitig falsch verstanden werden und vielleicht hier und da auch ein Gefühl von Ohnmacht, dass es sehr schwer ist seine eigenen Ecken und Kanten zu verstecken. Dabei ist Weihnachten vom Glauben her besehen kein Anlass n u r für Harmonie. Jesus ist in seinem Wesen auch Gott gewesen. Aber Jesu Eltern waren arm, Josef ein ziemlich mittelloser Fachmann für Holz. Der fertigte Türen an, wobei es im armen Nazareth nur Lehmhütten gab und wenig Arbeit für Fleißige. Maria als Mutter Jesu war eine wirklich junge Frau und wohl erst 13 Jahre alt. Sie waren in der Fremde, als das Kind zur Welt kam, dann später Asylanten in Ägypten aus Angst vor Herodes. Der Lebensweg Jesu als Erwachsener dauerte nur 3 Jahre und wenig Zeit dafür, die beste Botschaft im Universum zu leben, nämlich dass Gott nur Liebe pur ist. Das Kreuz war nicht nur unsere Erlösung, sondern auch Jesu und damit Gottes deutliche Botschaft, dass die Herrschaft des Himmels eine des Friedens und der Liebe ist. Am Kreuz wird der Messias nicht durch bewaffnete Engel befreit und der Himmel wirft kein Feuer herunter. Gott selbst kam in unsere Welt, um nachzuempfinden, wie es da ganz unten gerade bei dieser brutalen Hinrichtung am Kreuz wirklich zugeht. Kann es eine größere Liebe Gottes geben? Es geht nicht nur darum, dass es schon furchtbar ängstigend sein kann, besonders wenn man jung ist ein Kind zu bekommen, das nachts schreit, Hunger hat und einfach nur getragen werden will. Aber gerade in einem Baby die beginnende neue Welt Gottes sehen zu dürfen, ist doch äußerst symphatisch. Jesus ist nicht der himmlische Oberstaatsanwalt und Gott allerdings immer der liebende Vater, der seinen Verlorenen Sohn oder die Verlorene Tochter immer wieder annimmt, zu jeder Zeit: Dies machen allerdings sogar sehr menschliche und auch nicht immer liebevolle Eltern. Jesus ist die von Gott gezeigte und gelebte Liebe, denn er kam zur Erlösung nicht nur aller Menschen, sondern zudem jeder Kreatur im Universum. Aber gerade dass Jesus (nach mancher theologischer Auffassung präexistent – oder aber von Gott gewissermaßen adoptiert wurde als der erste Neue Adam) doch jener war, der auferstanden ist: Am Ende unseres Leben, am Ende der alten guten Erde und am Ende des Universums beginnt ein Neuer Himmel und eine Neue Erde. Dann wird es richtige Weihnachten und richtiges Ostern gleichzeitig sein. Am Ende des Lebens müssen wir alle am Richterstuhl Gottes vorbei gehen, aber er verurteilt uns nicht wegen unserer Sünde, sondern nur wegen unserer Fehler und er macht es mit den Mitteln der Liebe. Allerdings diese Liebe zeigt bereits das Kreuz.

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