- Werbung -

Bericht: „Weitverbreiteter Alltagsantisemitismus“ in Deutschland

2022 wurden in Deutschland mehr antisemitische Gewalttaten registriert. Die Zahl antisemitischer Vorfälle insgesamt ging leicht zurück.

Insgesamt seien im vergangenen Jahr 2.480 antisemitische Vorfälle erfasst worden – elf Prozent weniger als 2021, heißt es im Jahresbericht des Bundesverbands der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus (Rias). Grund für den leichten Rückgang seien fehlende Gelegenheiten, wie etwa Proteste gegen Corona-Maßnahmen gewesen, sagte Benjamin Steinitz, geschäftsführender Rias-Vorstand, am Dienstag in Berlin. Zugleich sei die Anzahl von Vorfällen extremer Gewalt im vergangenen Jahr auf neun gestiegen. Dies sei die höchste Anzahl derartiger Fälle seit Beginn der bundesweiten Erfassung 2017. Darunter waren versuchte Brandanschläge auf jüdische Gemeinden in Dortmund und Bochum sowie Schüsse auf ein ehemaliges Rabbinerhaus in Essen. In Deutschland gebe es einen „weitverbreiteten Alltagsantisemitismus“, heißt es in dem Jahresbericht.

- Werbung -

Antisemitismusbeauftragter: „Keine Entspannung“

Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, betonte bei der Vorstellung des Jahresberichts, die Situation habe sich nicht entspannt. Die Dokumentation sei ein Gradmesser für die Judenfeindlichkeit im Land. Gegenüber 2020 lag die Zahl der im vergangenen Jahr registrierten antisemitischen Vorfälle immer noch um rund ein Viertel (26 Prozent) höher.

Bianca Loy vom Rias-Bundesverband sagte, jeder fünfte antisemitische Vorfall habe einen verschwörungsideologischen Hintergrund gehabt. Erstmals seien dem rechtsextremen Hintergrund mit 13 Prozent nicht die meisten Vorfälle zugeordnet worden. Rund die Hälfte der Vorfälle (53 Prozent) seien keinem politischen Hintergrund klar zuzuordnen gewesen.

Berlin meldet die meisten Vorfälle

Weiter berichtet Rias über 186 Sachbeschädigungen sowie 56 Angriffe auf Menschen, die als Juden angesehen wurden. Zudem wurden 1.912 Fälle «verletzenden Verhaltens» wie Äußerungen und Beschmierungen gezählt. Die Zahl antisemitischer Massenmails stieg um knapp ein Drittel (31 Prozent) auf 245 Fälle. Ein Großteil wurde vom Rias in Thüringen registriert. Es habe sich um einen einzigen Absender mit verschwörungsideologischem Hintergrund gehandelt.

Die meisten antisemitischen Vorfälle wurden in Berlin (848) gezählt. Davon ereigneten sich mehr als die Hälfte (483) online. Weitere Schwerpunkte waren Bayern (422), Nordrhein-Westfalen (253) und Thüringen (237).

Als Zeichen gestiegener Sensibilität gegenüber Antisemitismus sieht Klein die Debatte um die Konzertauftritte des Ex-«Pink Floyd»-Mitglieds Roger Waters. Dem Musiker wurden israelfeindliche und antisemitische Äußerungen vorgeworfen.

Steinitz kritisierte angesichts der Gefährdung durch islamistische und rechtsextreme Akteure weiter bestehende Sicherheits-Defizite für Jüdische Gemeinden. Hier seien die Bundesländer in der Pflicht. Außerdem forderte der RIAS-Geschäftsführer eine gesicherte finanzielle Förderung für seinen Bundesverband und die elf Meldestellen. Bei einigen sei die Finanzierung für das kommende Jahr noch nicht gesichert.

Der Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus (RIAS) wurde 2018 gegründet. Er erfasst mithilfe eines Meldeportals antisemitische Vorfälle in ganz Deutschland.

9 Kommentare

  1. @Der Andere Jörg: Gewalttaten gegen Juden kommen immer noch am häufigsten aus dem rechten Raum
    Zugerechnet auch aus dem islamistischen Raum. Deshalb vielleicht auch im Raum Berlin so präsent. Oder nehmen wir mal Hamburg:

    https://juedischerundschau.de/article.2023-05.kein-sicherer-ort-fuer-juden-eine-reisewarnung-fuer-hamburg-teil-ii.html?fbclid=IwAR3ZQ28Sv552KIQOO65XeKAPSAMkwRdYeoZlrrze2iM-P1j64rTtpqMNXFo
    „Besonders wächst mit der ständigen Zunahme der muslimischen Migration auch der mitgebrachte islamisch-motivierte Judenhass. “

    Ich sehe in diesem Bereich zu wenig Eingreifen durch die Innenministerin, N. Faeser. Brennende Israelfahnen in Berlin durch Pro-Palästinensische Kundgebungen, Bedrohung durch Islamisten gegen Juden auf offener Straße.

    • Aus der Gruppe der Muslime, nicht nur der Islamisten, kommt ebenfalls massiver Antisemitismus. Deiner Ergänzung kann ich nur zustimmen.

      Und eben mit Bezug auf das Thema ‚Alltagsantisemitismus‘ noch mal deutlich: Es geht nicht nur um die Islamisten.

      Ich habe so etwas selbst mal erlebt, als ich mit einer jüdischen Gruppe zusammen auf einer Demo gegen Rechtsradikale war. Wir wurden plötzlich von mehreren Männern (die größer und breiter waren als wir) verbal bedroht. Aber auch in dieser Situation zeigte sich, wie vielfältig und komplex dieses Thema manchmal ist. Gerettet wurden wir von mehreren jungen Menschen aus dem ’schwarzen Block‘, die sich schützend vor uns stellten, und den gewaltbereiten Migranten deutlich klar machten, dass sie uns in Ruhe lassen sollen.

      Mir ging es aber bei meinem Einwand, auf den Du dich beziehst, um etwas anderes. Es gibt gerade im rechten Raum die Tendenz, das Thema Antisemitismus bei Migranten anzuprangern und so zu tun, als wenn der eigene Antisemitismus nicht existent ist. Es wird dann pauschalisiert und letztlich geht es gar nicht um die Bekämpfung des Antisemitismus sondern schlicht um Ausländerhass. Etwas, was auch schon öfter der Zentralrat der Juden thematisiert hat.

      Gleichzeitig sind die Grenzen zwischen rechtsextremen und Islamisten beim Antisemitismus fließend. Auf rechtsradikalen Demos werden Palästinenserflaggen geschwenkt und an anderer Stelle zeigen Islamisten teilweise den Hitlergruss.

      Aber wie schon gesagt: Antisemitismus ist kein Thema nur für die Extreme. Er ist bis weit in die Mitte präsent, aus beiden Richtungen.

  2. Antisemitismus hat viele Formen. Ich möchte hier in diesem Zusammenhang mal auf eine hinweisen, die ich hier auch schon bei jesus.de-Kommentaren in Abtreibungsdiskussionen gelesen habe:
    „Der «Post-Shoah-Antisemitismus» bilde dabei das Grundrauschen in jedem zweiten Vorfall: «Das verbindende Moment zwischen Impfgegnerinnen, die sich gelbe Sterne anheften und sich so selbst als verfolgte Juden inszenieren, künstlerischen Darstellungen auf der Documenta, in denen Juden als neue SS dargestellt werden, oder Abtreibungsgegnerinnen, die von einem ‹Babycaust› sprechen, ist der Post-Shoah-Antisemitismus», sagte der Rias-Vorstand Benjamin Steinitz.“
    https://www.nzz.ch/international/antisemitismus-in-deutschland-2022-gab-es-weniger-faelle-ld.1744530

    Man kann vieles ja zu Recht diskutieren und ablehnen. Man sollte aber die Shoah nicht für eigene Zwecke instrumentalisieren. Denn auch das ist Antisemitismus.

  3. Worte sind manchmal reine Gewalt

    Antisemitismus und Rassismus scheinen leider – vor allem auch in der oft unsäglichen Form von Kommentaren im Netz – ein immer stärkeres Übel zu werden. Leider trägt dazu die AfD nicht unerheblich bei. Man muss sich nur im öffentlichen Parlamentsfernsehen ansehen, wie da einzelne Parteimitglieder etwa Quere in ausführlichen parlamentarischen Fragestunden als Menschen verhöhnen, und mit ihnen die Abgeordneten als Entscheidungsträger. Schlimmer kann es nur noch im Internet sein, anscheinend genug anonym damit alles erlaubt ist. Hetze und Hass wird bestimmt angetrieben durch die sich immer schneller drehende Informationsmaschine der Massenmedien, die uns fast ausschließlich mit dem politischen kindischen Gezänk versorgen und den bunten schlimmen Bildern, was wir hier und global ausrichten mit Hass, Zorn, Ungerechtigkeit, Krieg und der Lust am Weltuntergang. Dies führt dann zu einer Haltung, dass da die Oberen, die Regierenden, an allem Schuld seien. Dabei wird aber vergessen, dass der Staat aus 84 Millionen Einzelgehirnen besteht. Würde jeder den anderen so behandeln wie er selbst behandelt werden möchte, gäbe es keinerlei bösen Rassismus und Antisemitismus. Die Welt wäre das reinste Paradies. Aber offensichtlich lassen sich diese individuell doch noch kleinen Verhaltensänderungen nicht realisieren, denn jeder hat ja auch seinen eigenen Kopf. Irgendwo in der Bibel steht, dabei recht zugespitzt bildhaft, dass was man oben an Nahrung im Mund hereingebe, komme aus gutem Grund an anderer Stelle verarbeitet wieder heraus. Aber wenn es gegen die Einbahnstraße aus dem Mund kommt, dann ist dies verbal jene Menschenverachtung, die mich sprachlos macht: Worte sind manchmal reine Gewalt, sie stinken regelrecht und sind Unrat. Bereits Worte sind manchmal reine Gewalt. Aber wer solche Anti-Botschaften verbreitet erwartet zurecht, dass immer etwas hängenbleibt und dass an obskuren Verschwörungstheorien doch ein Hauch Wahrheit stecke. Es ist dabei keine gute Strategie, Wähler am rechten Rand abholen zu wollen und sich der Sprache und Vereinfachungen der Radikalen zu bedienen. Damit werden jene hoffähig, die Menschen hassen weil sie das falsche Geschlecht, eine andere Hautfarbe oder Religion haben und die glauben, dass die Welt nur aus Lügnern besteht und man selbst die pure Wahrheit verkörpere.

    • Wobei Antisemitismus kein rein rechtes Phänomen ist.

      Es gibt ihn rechts, links, bürgerlich, christlich, atheistisch, politisch, unpolitisch u.v.m. Er ist gerade grenzüberschreitend verbindend.

        • Eine sehr tiefe Verankerung über Jahrhunderte in der westlichen Gesellschaft und Kultur (inklusive christlichem Glauben).

          Das betrifft viele Gruppen, da es eine gesellschaftliche Sozialisation gibt. So ist ja linker Antisemitismus auf den ersten Blick widersinnig. Bohrt man tiefer, stößt man dort aber oft auf ähnliche Denkweisen wie bei beim rechten Antisemitismus.

          Und eine gewisse Grunddummheit bzw. Grundbosheit bei doch recht vielen Menschen.

          Ach ja: Rechte Antisemiten sollten sich bei meinen Worten jetzt nicht zurücklehnen und meinen, da es auch weitere Gruppen betrifft, wäre es bei ihnen ja nicht so schlimm. Gewalttaten gegen Juden kommen immer noch am häufigsten aus dem rechten Raum und jeder Antisemitismus ist schlimm. Er wird ja nicht deshalb harmlos, weil er so weit verbreitet ist. Im Gegenteil.

          • Hm, Danke,

            iwie unbefriedigend.
            „sehr tiefe Verankerung über Jahrhunderte in der westlichen Gesellschaft und Kultur“

            ja, aber warum?

            „eine gewisse Grunddummheit bzw. Grundbosheit bei doch recht vielen Menschen“

            ja, aber warum v.a. gegenueber Juden? Ich habe dich so verstanden, dass es Juden ja besonders trifft (also weit ueberproportional zu anderen Minderheiten), oder?

            Denkst Du es koennte eine geistliche Komponente geben? oder nur rational begruendbare (Berufs-Ordnungen, kulturelle Identitaetswahrung, Suendenbock-Missbrauch von Minderheiten vgl. de.wikipedia.org/wiki/Judenpogrom)?

            Was heisst das fuer Dich konkret? Traegst du zB eine Kippa?

            LG Joerg

            • Was meinst Du mit geistlicher Komponente?

              > Ich habe dich so verstanden, dass es Juden ja besonders trifft

              Von den religiösen Gruppen und in unserem Kulturkreis: ja. Aber Gruppen wie beispielswiese homosexuelle Menschen sind nicht weniger betroffen. Oder Roma und Sinti.

              > Traegst du zB eine Kippa?

              Warum sollte ich das als Nichtjude tun? Ich trage eine, wenn ich eine Synagoge besuche, wie es sich auch für Gäste gehört.

Die Kommentarspalte wurde geschlossen.

Zuletzt veröffentlicht