Betroffene haben den überraschenden Antragsstopp beim Fonds Sexueller Missbrauch scharf kritisiert. Auch die Online-Plattform „BeNe“ wird bemängelt.
Ohne Vorankündigung und mit sofortiger Wirkung keine Anträge mehr anzunehmen, sei nicht nur traurig und enttäuschend für die betroffenen Personen, kritisiert Nancy Janz, Co-Sprecherin des Beteiligungsforums Sexualisierte Gewalt der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und Diakonie. „Es ist schlicht Sparpolitik auf dem Rücken betroffener Personen.“ Das teilte die EKD gestern mit.
Haushaltsmittel „vorzeitig erschöpft“
Über den Fonds Sexueller Missbrauch konnten Menschen, die in ihrer Kindheit oder Jugend sexuellen Missbrauch erlebt haben, Geld für Therapie, Beratung oder medizinische Leistungen erhalten. Jetzt gab es einen Antragsstopp beim Ergänzenden Hilfesystem (EHS), das beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben angesiedelt ist und zu dem der Fonds gehört. Es seien mehr Anträge eingegangen als erwartet, heißt es in einer Mitteilung des Bundesfamilienministeriums (BMBFSFJ).
Der Antragsstopp gilt rückwirkend zum 19. März dieses Jahres, weil die im aktuellen Regierungsentwurf vorgesehenen Haushaltsmittel dafür nicht mehr reichen. EKD und die Diakonie Deutschland waren den Angaben der EKD zufolge seit 2013 am EHS beteiligt und hatten zum 1. Januar 2024 eine unbefristete Beteiligung an diesem Hilfesystem beschlossen.
Detlev Zander, ebenfalls Co-Sprecher der Gruppe der betroffenen Personen im Beteiligungsforum, bezeichnet das Auslaufen des EHS als „fatales politisches Signal“. Es gefährde die Unterstützung von Menschen, die sexualisierte Gewalt in Kindheit und Jugend erlitten haben. „Wir fordern eine sofortige und dauerhafte Sicherung!“
Alternative Hilfen im Gespräch
Die Unterstützung von Betroffenen sexualisierter Gewalt darf keine zeitlich befristete Maßnahme sein, fordert die pfälzische Kirchenpräsidentin Dorothee Wüst, Sprecherin der Beauftragten des Beteiligungsforums. Sie müsse langfristig gesichert werden. „Deshalb haben Kirche und Diakonie ihre Teilnahme am EHS und die entsprechenden Zahlungen entfristet, dem wird jetzt durch Sparentscheidungen der Bundesregierung die Grundlage entzogen.“ Sie plädiert für staatlich gesicherte, nachhaltige Unterstützungs- und Hilfestrukturen.
Das Bundesfamilienministerium findet „unbürokratische und niedrigschwellige Hilfen aber weiterhin wichtig“, heißt es in dessen Mitteilung. Derzeit werde darüber gesprochen, wie Betroffene auch in Zukunft weiter Hilfen erhalten können.
Offener Brief kritisiert Plattform „BeNe“
Weitere Betroffene bemängeln die im Oktober gestartete Vernetzungsplattform „BeNe“ (Betroffenen-Netzwerk). Sie sei unzureichend in ihrer Nutzbarkeit, heißt es in einem offenen Brief von Betroffenen sexualisierter Gewalt in evangelischer Kirche und Diakonie an das Beteiligungsforum Sexualisierte Gewalt der EKD und Diakonie Deutschland. Insbesondere wird darin das Fehlen geschützter, privater Foren beklagt. Diese seien „eigentlich Standard für eine Plattform und in diesem Themenbereich umso wichtiger“.
In dem Brief wird kritisiert, dass die „seit Oktober versprochenen privaten Foren bis dato nicht bereitgestellt wurden“. BeNe sei deshalb „nicht wirklich nutzbar“, weil alle Nachrichten öffentlich lesbar sind. So sei kein sicherer Austausch gewährleistet. Betroffene berichten von „unterschwellig aggressivem Verhalten“ einiger Nutzer, die den Fokus weg vom eigentlichen Thema lenken. Eine anfängliche Funktion, über die man private Nachrichten versenden konnte, sei „sehr schnell“ verschwunden.
Die Betroffenen beklagen außerdem eine „mangelnde Kommunikation seitens der Kirchenverantwortlichen“. Entgegen der anfänglichen Versprechen seien keine Kirchenvertretenden auf der Plattform präsent. Auf Fragen und Rückmeldungen der Nutzenden werde oft „nicht erkennbar eingegangen“. Die Betroffenen fordern EKD und Diakonie Deutschland zu mehr Transparenz auf.
EKD plant weiterhin private Foren
„Das Beteiligungsforum, an das sich der offene Brief richtet, wird sich mit den Fragen beschäftigen und das Schreiben beantworten“, sagte ein EKD-Sprecher dem Evangelischen Pressedienst (epd) am Dienstag auf Anfrage. Die EKD halte weiterhin an dem Plan fest, auf der Vernetzungsplattform BeNe private Foren einzurichten, die als Ort der Vernetzung zwischen Betroffenen dienen sollen.
„Alle verantwortlichen Personen – beim technischen Dienstleister, in der Arbeitsgruppe des Beteiligungsforums und bei der EKD – arbeiten derzeit gemeinsam an der Umsetzung dieses Vorhabens. Die Diakonie unterstützt dieses Vorhaben“, hieß es weiter.
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Ich höre immer noch keine wirkliche Empörung
Leider gibt es derzeit Kürzungen auch an anderen wichtigen Ecken und Enden, die den Skandal vervollständigen. Da fällt mir spontan jetzt auch ein, daß es keine staatlichen Mittel mehr gibt für unsere Retter und Rettungsschiffe, die Flüchtlinge im Mittelmeer vor dem Ertrinken bewahren. Daß Betroffene den überraschenden Antragsstopp beim Fonds Sexueller Missbrauch scharf kritisieren, ist zwar ein anderer Sachverhalt, aber es entspricht leider der neuen Mode, Angelegenheiten die uns unbedingt angehen, praktisch zu verunmöglichen. Immerhin hatte der sehr bekannte verstorbene Theologe Paul Tillich damit ausdrücken wollen, daß alles was mich unbedingt angeht, immer auch eine Sache mit Gott und dem Sinn des Lebens ist. Aber ich befürchte, daß die meisten Menschen leider erst empfindlich reagieren würden, käme übermorgen nicht mehr sehr eilig der Notarzt, wenn wir schon an Schnappatmung leiden. Diese kann man bekommen, wenn man wahrnimmt, daß hier der Staat sich erlaubt, was dem Privatmenschen bei allerschlimmster Strafe verboten ist: Nämlich Tötung durch Unterlassung und prinzipiell genauso verbrecherisch wie ein der unsägliche Mord. Dafür geht der Normalmensch ein gutes Dutzend Jahre in ein ungastliches Gefängnis: Schöne neue und unchristliche Welt. Und ich höre immer noch keine wirklich Empörung. Aber vielleicht hören wir zu viel Katastrophenmeldungen und so lange nicht unsere eigene Hütte brennt, geht mich dies nicht wirklich etwas an. Oder sollte das wirklich ernst gemeint sein: Du sollst Gott, deinen Nächsten und dich selbst lieben. Nur von einem Gefühl alleine kann sich kein Nächster etwas kaufen. Die Hilfe muss schon handfester sein: Immer, wenn es um Menschen geht.