Emotionen wie Furcht, Wut und Trauer sind eher negativ besetzt und werden oft unterdrückt. Wir sollten uns ein Beispiel an der Natur nehmen und unseren Gefühlen freien Lauf lassen, sagt Songwriterin Julia Buch.
Während eines aufmerksamen Neujahrs-Spaziergangs im Allgäu überkamen mich ein paar Überlegungen. Zum ersten Mal habe ich eine „Waldbaden“-Tour mit „Waldbademeister“ ausprobiert. Man geht noch langsamer als langsam, riecht, schmeckt, sieht, fühlt und erlebt Wald noch einmal auf einer ganz anderen Ebene. Wir gingen auf einem Waldweg, der vorbeiging an flachen Feldern, saftigen Wiesen und schroffen Felsriesen. „Extreme ergänzend nebeneinander“, schoss es mir durch den Kopf. Und das gefiel mir.
Boden kann übersäuern, gefrieren, er kann locker sein, Früchte und Unkraut hervorbringen. Boden kann erbeben und feurig ausbrechen. Boden hat viele Schichten.
Aus diesem Boden sind wir geschaffen. „Adam“ bedeutet im Hebräischen „Mensch“. Die weitere Bedeutung des verwandten Wortstamms „adama“ (Genesis 2,7) heißt „Erde oder Lehm“. Selbst wenn du das nicht glaubst – Fakt ist, zu dieser „Erde“ zerfallen wir alle einmal.
Nun zu uns Erdbewohnern: Auch wir können sauer auf etwas sein, können zittern vor Kälte und erbeben vor Wut. Auch wir können Früchte hervorbringen, lachen, weinen vor Glück oder vor Kummer. Ich stelle fest: Die Emotionen, die in uns zu finden sind, finde ich auch in der Natur. Wie durch eine Lupe vergrößert und multidimensional begeh- und erlebbar.
Abseilen aus einem Sessellift
„Tuut tuut! Alles einsteigen!“ Als krönender Abschluss des Waldbadens geht es per Sessellift Richtung Gipfelglück und Aussichtsplattform. Je höher die Seilbahn dahingleitet, desto stärker pocht mein Herz.
Als Sechsjährige habe ich auf so einem Sessellift die Ängste meines Lebens durchgestanden. Weil die Fahrt zehn Minuten vor Schluss manuell angehalten wurde, baumelten wir als Familie viele Meter über dem Boden. Damals noch ohne Handy. Also blieb nur ein heldenhaftes und gefährliches „Rapunzelzopf-Abseilmanöver“ meines Vaters. Nach mehreren Kleidungsstücken verknotete er als letztes Element seine geliebte Fototasche, bevor er über zwei bis drei Meter in die Tiefe springen musste. (Ein Hoch auf diese Tasche. Sie hat wider Erwarten knapp 95 kg gehalten.)
Mein Vater rannte zwischen Schafen und Kühen die Alm hinunter und erwischte den Pförtner in letzter Sekunde. In dieser Zeit musste ich oben auf den teuren Fotoapparat meines Vaters aufpassen. Bis heute weiß ich nicht, welche Angst ich schlimmer fand. Die, dass mir die geliebte Kamera meines Vaters runterfallen könnte oder dass wir die Nacht in kalten Höhen hätten verbringen müssen.
Diese Erinnerung stieg beim diesmaligen Seilbahnfahren sofort in mir hoch. Und immer dann, wenn ich eine Kamera in den Händen halte, meldet sich die Angst
Sind Gefühle nur was für Weicheier?
Angsthase. Gefühlsduselei. Sentimentalität. Sensibelchen. Gefühle sind was für Weicheier. Und für Kunstschaffende sowieso. Die sind immer so empfindlich. Eher negativ behaftet sind neben der Freude und Überraschung die Basisemotionen des Menschen (nach Ekman) wie Furcht, Wut, Verachtung, Ekel und die Traurigkeit. Als Basisemotionen werden sie bezeichnet, weil Menschen weltweit sie unabhängig von ihrer Sozialisation im Gesicht des Gegenübers entschlüsseln können. Und weil Kunst gar nicht anders kann, als emotional zu sein, ist Kunst eben auch eine internationale Sprache.
Vielleicht lehne ich mich damit zu weit aus dem Fenster. Aber ich mag den Gedanken: Kunst als globales Gesicht, dass den Gefühlen der Erde Ausdruck verleiht. Welche Grimasse würde dieses Gesicht wohl gerade ziehen? Welches Gefühl gerade ausdrücken?
Gefühle nicht unterdrücken
Die Natur macht es uns vor: Die Sonne strahlt Ihre Lachen, der Regen weint seine Tränen. Der Donner grollt, die Blitze zischen, der Schnee ruht leise, der Wind braust und säuselt.
Und irgendwo dazwischen bist du. Dein Gesicht – wie das der Welt, das der Kunst – beobachtenswert.
Ich verrat dir was: Du darfst sie alle haben, diese Emotionen. Nimm es ernst, dein Gefühl! Lass uns nicht länger bestimmte Gefühle belächeln, unterdrücken, immer perfekt kontrollieren wollen. Nur so kriegt das Kunstwerk mehr Tiefe, die Farbpalette mehr Nuancen, die Orgel mehr Pfeifen und das Musikstück mehr Höhen und Tiefen – und damit eben mehr Gefühl.
Also lache auch du alle deine Lachen und weine alle Tränen. Eifere, ruhe, zittre, hoffe, klage, genieße und juble vor Freude. So können wir alle ein bisschen besser verstehen, was los ist.
- Als gäbe es Gedankenübertragung, brachte der Artprint Künstler Pascal Rößler am Tag nach dem Fertigstellen dieses Textes u.a. eine „gefühl.voll“-Karte heraus. Ich werte das mal als Bestätigung, dass sich das Gefühl, mehr Gefühle zu zeigen, nicht nur bei mir breit macht.
- Und zur Erinnerung, dass dieses Gefühl-voll wichtig ist, kannst du mal im Künstlershop bei @wahrundwundervoll vorbeischauen.
- Zusätzlicher Film-Tipp: „Alles steht Kopf“. Mehrmals angeschaut und immer wieder für toll befunden.
Julia Buch ist Lebensausschöpferin, Songwriterin, Gedankenmacherin in Wort & Tat und Familienmensch.
Dieser Blogartikel ist auf centralarts.net erschienen. Central Arts gehört zu Campus für Christus Schweiz. Die Veröffentlichung auf Jesus.de geschieht mit freundlicher Genehmigung von central arts.