Der Theologe Andi Jansson sah sich lange als „gerecht gesprochenen Sünder“. Dann machte er eine Entdeckung in der Kapitel-Reihenfolge des Römerbriefs.
Von Andreas Jansson
Am 17. Juni 2010 war der frühere Bischof Ulrich Wilckens in meiner Hamburger Heimatgemeinde und hielt einen Vortrag zum Thema „Das Kreuz Christi – die Mitte des Glaubens aller Christen“. Ich studierte damals Evangelische Theologie im sechsten Semester und lauschte gespannt, was uns der bekannte Bischof im Ruhestand und emeritierte Professor für Neues Testament zu sagen hatte. Erinnern kann ich mich heute nur noch an eine Passage aus seinem Vortrag – einen Gedankengang, den ich damals in seiner Tiefe und Relevanz nicht ansatzweise verstand.
Vor oder nach der Taufe?
Wilckens sprach über das sechste bis achte Kapitel des Römerbriefes und über die Frage, in welcher zeitlichen Reihenfolge das dort von Paulus Beschriebene stehe. Konkret ging es um die Frage, ob Paulus in Römer 7 den geistlichen Zustand vor oder nach der Taufe beschreibt. Das Kapitel steht zwar hinter den Ausführungen Paulus über die Taufe (in Römer 6), beschreibe aber – so der Altbischof – den geistlichen Zustand vor der Taufe. Der geistliche Zustand von Christen nach der Taufe werde dann erst in Kapitel 8 verhandelt.
Um ehrlich zu sein, erschien mir dies damals recht abwegig. Warum sollte Paulus in Römer 6 über die Taufe schreiben, in Römer 7 dann zeitlich zurückspringen und über die Zeit vor der Taufe sprechen, um dann in Römer 8 wiederum zu einem zeitlichen Sprung anzusetzen und auf das Christenleben nach der Taufe zu kommen? Das wirkte sehr umständlich auf mich.
„Ich tue nicht, was ich will“
Außerdem konnte ich mich mit der Beschreibung des geistlichen Zustandes in Kapitel 7 ziemlich gut identifizieren – und das als getaufter Christ: „Denn ich tue nicht, was ich will; sondern was ich hasse, das tue ich“ (Vers 15). Das drückte gut aus, was ich manchmal in meinem Christsein empfand. Ich wollte nach Gottes Willen leben und ertappte mich doch immer wieder dabei, wie ich das tat, was ich eigentlich doch gar nicht tun wollte.
Dem renommierten Neutestamentler gelang es an diesem Abend nicht, mich jungen Studenten von seiner Meinung zu überzeugen. Posthum – Ulrich Wilckens verstarb ein gutes Jahr später – ist es ihm (und anderen Theologen, die Kommentare zum Römerbrief verfassten) aber gelungen.
Heute stimme ich ihm und damit auch der absoluten Mehrheit der gegenwärtigen Exegetinnen und Exegeten zu: In Römer 7 beschreibt Paulus nicht den geistlichen Zustand getaufter Christen, sondern blickt von der Taufe aus zurück auf die Zeit zuvor.
In Römer 7 beschreibt Paulus nicht den geistlichen Zustand getaufter Christen, sondern blickt zurück auf die Zeit vor der Taufe.
Das christliche Selbstbild
Warum ist diese Frage überhaupt relevant? Trägt sie etwas für den durchschnittlichen Christen und die normalen Gläubigen aus? Oder können wir solche Fragen nicht getrost jenen Wissenschaftlerinnen und Spezialisten überlassen, die – wie Wilckens – über 700 Seiten dicke Bücher über den Römerbrief schreiben?
Meine feste Überzeugung ist: Dieses Thema ist höchst relevant und trägt eine Menge aus für das alltägliche Christenleben. Denn es geht hier letztlich um unser Selbstbild als christusgläubige Menschen. Wir haben es hier mit einer Identitätsfrage zu tun: unserer Identität in Christus.
Dafür öffnete mir vor einigen Jahren das, was Paulus in Römer 6,11 sagt, die Augen. Dort heißt es: „So auch ihr: Haltet euch für Menschen, die der Sünde gestorben sind und für Gott leben in Christus Jesus.“
Ich fühlte mich hier persönlich angesprochen: „Für was für einen Menschen hältst du dich eigentlich? Wie denkst du von dir? Siehst du dich als Sünder oder als jemand, der für die Sünde (und für den die Sünde) gestorben ist, der nicht mehr für die Sünde lebt, sondern für Gott? Was ist dein Selbstbild?“ Sehr persönlich empfand ich diese Frage und sie überführte mich. Ich sah mich viel mehr als Sünder anstatt als Heiliger und Gerechter.
„Nur“ gerecht gesprochene Sünder?
Mein Selbstbild als Christ war geprägt von einem – zugegeben: durchaus verzerrten – Verständnis dessen, was in der lutherischen Theologie „simul iustus et peccator“ genannt wird: Christen sind demnach gerecht gesprochene Sünder, mit anderen Worten: Sünder (lateinisch peccator) und gerecht (lateinisch iustus) zugleich.
Ich verstand dies – und damit mich als Christ – damals so: Weil Jesus für mich und meine Sünden gestorben ist, stehe ich vor Gott ohne Schuld. Ich bin gerecht gesprochen, nicht aber gerecht gemacht. Denn offensichtlich sündige ich ja weiterhin. Ich sündige, also bin ich folglich weiterhin ein Sünder.
In Ewigkeit spielt das – Jesus sei Dank – keine entscheidende Rolle mehr. Aber in meinem Leben davor gilt dann eben doch: Ich bin bloß gerecht gesprochen, eigentlich aber ja weiterhin ein Sünder. So empfand ich mich als Christ – und ich muss sofort ergänzen, dass dies eine starke Verzerrung dessen ist, was Martin Luther unter dem „Sünder und gerecht zugleich“ verstand.
Gerecht in Christus
Luther sah Christen in ihrer Beziehung zu Gott („in Christus“) als Gerechte – und in einer anderen Hinsicht (nämlich auf sich selbst geworfen) zugleich als Sünder. Diese Spannung sah Luther (zu Unrecht, wie sich zeigen lässt) in Römer 7,7-25 und hielt sie für Paulus-gemäß. Auch bei Luther hatte dies eine klare Schlagseite, jedoch die genau gegenteilige wie bei mir: Das Gerecht-Sein in Christus hat für ihn weitaus höhere Bedeutung als das Sünder-Sein des Christen.
Insofern saß ich einem handfesten Missverständnis der lutherischen Lehre auf, obwohl ich nicht wüsste, dass mir das lutherische „simul iustus et peccator“ auf diese verzerrte Weise gelehrt oder gepredigt worden wäre. Allerdings bin ich mir ziemlich sicher, mit diesem (Miss-)Verständnis dieses lutherischen Selbstbildes nicht allein zu sein …
Vom Sein zum Tun
Bei Paulus nun lernte ich ein ganz anderes Denken und damit auch ein anderes christliches Selbstbild kennen. (Und das unterscheidet sich meines Erachtens auch erheblich von der recht verstandenen Vorstellung, Christen seien Sünder und Gerechte zugleich, wie wir sie bei Luther und in der lutherischen Theologie finden.) Paulus – und auch Jesus (vgl. Matthäus 7,17-18) – schließen nicht wie wir so oft vom Tun aufs Sein, sondern umgekehrt vom Sein aufs Tun.
Für uns gilt: Wer lügt, ist ein Lügner. Wer betrügt, ist ein Betrüger. Wir leiten aus dem Verhalten das Wesen ab. Aber Paulus tut dies nicht. Er spricht die Christen, an die er seine Briefe richtet, niemals als Sünder an, sondern als Heilige (zum Beispiel in 1. Korinther 1,2). Und er tut das auch dann, wenn er von einer Menge Sünden in ihrem Leben weiß und dies auch sehr klar und kritisch benennt (zum Beispiel durchgehend im 1. Korintherbrief).
Paulus redet die Christen als Heilige und Gerechte an und erinnert sie daran, wer sie aus Gottes Gnade in Christus sind. Und dann wendet er sich ihrem Verhalten zu und fordert sie auf, dementsprechend zu leben. Im Prinzip sagt er: „Ihr seid in Christus heilig gemacht, also lebt auch so. Ihr seid in Christus gerecht gemacht, also lebt auch so. Ihr seid in Christus rein gemacht, also lebt auch so.“
In der Theologie wird dies der Übergang von Indikativ („ihr seid …“) zum Imperativ („tut …“) genannt. Paulus schließt vom Sein aufs Tun. Und ganze Briefe folgen diesem Aufbau.
Neue Schöpfung in Christus
Wir gelten ihm als „neue Kreatur“, als neue Schöpfung in Christus (vgl. 2. Korinther 5,17). Und so kommt es, dass Paulus Christen konsequent in ihrer Identität in Christus, als Heilige und als Geschwister anspricht, niemals aber als Sünder! In Römer 5,8 tritt dies sehr deutlich zu Tage: „Gott aber erweist seine Liebe zu uns darin, dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren.“ Wir waren Sünder, sagt Paulus hier. Nun aber sind wir „Geliebte Gottes und berufene Heilige in Rom“ und anderswo (Römer 1,7).
(Einzig mit Blick auf Galater 2,17 und 1.Timotheus 1,15 könnte versucht werden, anders zu argumentieren. An der ersten Stelle geht es aber offensichtlich um ein Fremdurteil [von anderen „als Sünder befunden zu werden“] und an der zweiten Stelle beschreibt Paulus sich in seiner vorchristlichen Vergangenheit als Christenverfolger als den größten unter den Sündern, für die Jesus gekommen ist, um sie zu erretten.)
Als Christen sündigen wir noch, ja – und das weiß auch Paulus. Wir sind unserem Verhalten nach Sündigende (diese Partizipialkonstruktion verwendet Paulus in 1. Korinther 8,12), nicht aber wesenhafte Sünder. Wir sind Heilige, leider sündigende Heilige, aber unserem Sein in Christus nach immer noch Heilige.
Wir sind Heilige, leider sündigende Heilige, aber unserem Sein in Christus nach immer noch Heilige.
Raupe und Schmetterling
Ein Vergleich hilft mir, das zu verstehen: Es ist wie mit einem Schmetterling. Er war einst eine Raupe, ist nun aber ein Schmetterling. Und was, wenn er sich wie eine Raupe verhält? Wenn er nicht umherfliegt, sondern im Dreck herumkriecht? Ist er dann eine Raupe? Nein, dann ist er ein Schmetterling, der sich wie eine Raupe verhält.
Das meint: Wir waren Sünder, sind nun aber Heilige in Christus. Und wenn wir sündigen, dann werden wir nicht wieder zu Sündern. Wir sind weiterhin Heilige – eben sündigende Heilige.
Wir sollten nicht von unserem Tun auf unser Sein schließen, sondern von Christus auf unser Sein und von diesem Sein auf unser Tun. Wir sind Heilige in Christus und sollen so leben, wie es dieser Identität entspricht. Mit Paulus formuliert: Wir sind in Christus (vgl. Römer 6,11; Galater 3,26) und sollen nun im Geist „wandeln“, d. h. unser Leben führen (vgl. Römer 8,13; Galater 5,16).
Das „Ich“ in Römer 7
Dies bringt uns zurück zu Römer 7 und seiner Stellung zwischen Kapitel 6 („Sein“ in Christus) und Kapitel 8 („Wandeln“ im Geist). Welchen geistlichen Zustand beschreibt Paulus hier – den vor oder nach der Taufe? Das Leben ohne Christus oder das Leben mit und in ihm? Oder anders gefragt: Was für ein „Ich“ haben wir hier in Römer 7,7-25 vor uns?
An dieser Stelle ist es sicherlich ratsam, diese drei Kapitel des Römerbriefes in Ruhe und am Stück durchzulesen. Im Rahmen dieses Artikels können nur einige wenige zentrale Aussagen der jeweiligen Kapitel hervorgehoben werden:
Verstehen wir Römer 7 als Beschreibung des Christseins von getauften Gläubigen, haben wir es mit handfesten Widersprüchen zu tun. So sagt das „Ich“ in Römer 7,14, dass es „fleischlich“ sei, über die in Römer 8,9 angesprochenen Christen wird aber gesagt, dass sie „nicht fleischlich“ seien. Auch steht die Aussage in Römer 6,7, dass die Getauften „frei geworden sind von der Sünde“ in offenkundiger Spannung zum Bekenntnis des „Ichs“ in Römer 7,14, „unter die Sünde verkauft“ zu sein und zu seiner Rede von der „Sünde, die in mir wohnt“ (Römer 7,17.20).
Eine rhetorische Figur
Daher stimme ich Ulrich Wilckens und der überwältigenden Mehrheit der exegetischen Auslegerinnen und Ausleger zu und halte Römer 7,7-25 für die Beschreibung des vorchristlichen geistlichen Zustandes, wie er sich vom Kreuz her im Rückblick ergibt. Konkret verstehe ich (wiederum mit Wilckens):
Das „Ich“ in Kapitel 7 ist dabei eine rhetorische Figur, zu der Paulus greift, und nicht etwa sein biografisches „Ich“ als christusgläubiger Apostel! Eine Folge dieses Verständnisses ist nun, dass sich die lutherische Vorstellung, Christen seien Sünder und Gerechte zugleich, in Römer 7 nicht festmachen und biblisch belegen lässt – auch wenn Martin Luther dies glaubte. Interessanterweise waren es nun gerade lutherische Exegeten (Paul Althaus, Wilfried Joest, Ulrich Wilckens), die dies widerlegt haben.
Der Sünde gestorben
Nach Paulus sind Christen nicht Gerechte und Sünder zugleich. Sie sind Gerechte, in Versuchung stehende Gerechte und damit von Zeit zu Zeit sündigende Gerechte, aber eben Gerechte. So sind sie „gerecht und versuchlich zugleich“ und immer wieder „Gerechte und Sündigende zugleich“, nicht aber „Gerechte und Sünder zugleich“.
Das mag nach theologischer Wortklauberei klingen. Ich denke jedoch nicht, dass es das ist, und komme damit zum Ende noch einmal zurück zu Römer 6,11: „So auch ihr: Haltet euch für Menschen, die der Sünde gestorben sind und für Gott leben in Christus Jesus.“ Es ist ein großer Unterschied in meinem Selbstbild, ob ich von mir als (gerecht gesprochenen) Sünder denke oder als (womöglich sündigenden) Gerechten.
Für wen ich mich als Christ halte, macht einen Unterschied zunächst in meiner Selbstwahrnehmung, dann aber auch in meinem Verhalten. Denn das lerne ich bei Paulus: Aus meinem Sein leitet sich mein Tun ab. Und an der Schnittstelle zwischen Wesen und Verhalten liegt mein Selbstbild. Und auch das formuliere ich mit ihm: „Ich bin der Sünde gestorben und lebe nun für Gott in Christus Jesus.“
Dr. Andreas (Andi) Jansson ist bei der GreifBar-Gemeinde in Greifswald als Theologe angestellt und arbeitet außerdem als selbstständiger theologischer Referent und Dozent.
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Dieser Artikel ist in der Zeitschrift Faszination Bibel erschienen. Faszination Bibel wird vom SCM Bundes-Verlag herausgegeben, zu dem auch Jesus.de gehört.
Weiterlesen:
Vielleicht, vielleicht…
Wäre es nicht bei so einem kontrovers bearbeiteten Thema mal die Gelegenheit gewesen, auch andere Zugänge zu dieser Frage fair darzustellen, um Theologie greifbar zu machen?
Es gibt ja auch andere Zugänge zu dieser Frage, seelsorgerlich verantwortbar:
– Ich meine bei Watchmen Nee mal gelesen zu haben, dass er auf das viele „ich, mir meiner, mich“ in Römer 7 hinweist. Er würde also sagen: Es ist unwichtig, ob hier ein Christ oder Nichtchrist redet. Es redet „der zu sehr auf sich selbst reflektierende Mensch“.
Eine, wie ich finde, seelsorgerlich hilfreiche Betrachtung – gerade in unserer Zeit
– Die Pfingstbewegung (und der hier genial-nüchtern auslegende Wolfram Kopfermann) weisen mit einiger Berechtigung daraufhin, dass der Heilige Geist erst in Römer 8 spürbar vorkommt. Hier aber mit Macht und raumfüllend. Wenn das so von Paulus komponiert war und nicht Zufall, wäre die Reihenfolge von Römer 5 bis 8 so zu lesen: Christus ist für meine Schuld gestorben, ich soll mich der Sünde für tot halten (was für ein Zuspruch!), ich finde in mir nicht die Kraft ,die Erlösung zu leben und zuletzt werde ich dem Heiligen Geist und seiner Leitung anbefohlen, um im Sieg Christi zu leben. Dann würde es nicht um ein lebloses Abhaken von Gewissheiten gehen. Sondern um das Leben, das Gelebte und dann auch Erlebte. Vielleicht wollte Paulus ja genau das?
Das sind nur zwei verantwortlich anders antwortende Antworten auf die von Dir, Andreas, beschriebene Irritation, dass Römer 7, 7ff. so ganz anders klingt als Römer 5,6 und 8. Aber es sind zumindest Antworten, die Römer 7 nicht indirekt zwischen Römer 2 und 3 schiebt. Was zumindest nicht ganz unwichtig gewesen wäre zu erwähnen, dass bei Deiner Auslegung die Platzierung von Römer 7 irgendwie fehl am Platz ist.
Noch einmal: Vielleicht hast Du Recht. Aber wäre es nicht viel hilfreicher gewesen, statt eine (1) Antwort zu geben, die verschiedenen Antworten mal sauber und zugewandt darzustellen, um so den Blick in die Bibel zu lenken? Und ins nachsinnende Betrachten der göttlichen Wahrheit, die sich uns immer nur teilweise erschließt?
Es bleibt: Die reine Wahrheit finden wir in der Schrift. Alles andere ist nur tastend-fragendes Staunen und Lernen.
Ich will nicht behaupten, dass das Fazit dieses Artikels nicht stimmt. Wenn ich es richtig verstehe, geht es dem Autor und „Stellung“ und „Zustand“, wie es ein Theologe im 19. Jahrhundert beschrieb. Wenn es so gemeint ist, stimme ich zu.
Allerdings wundere ich mich, dass er das Thema „Gesetz“ vs. „Gnade“ komplett übergeht, obwohl es bei Paulus eine wichtige Rolle spielt. Meines Erachtens ist es sogar der Ausgangspunkt seiner Argumentation: Das Gesetz (des alten Bundes Gottes mit seinem Volk) entlarvt uns als Sünder und hält uns darin fest gefangen, aber die Gnade durch Jesus Christus ist kraftvoller.
Kann man die behandelten Kapitel im Römerbrief überhaupt verstehen, wenn man diese Gedankenketten auslässt?
Die Liebe Gottes tilgt unsere Schuld
„Denn ich tue nicht, was ich will; sondern was ich hasse, das tue ich“ (Vers 15). Das drückte gut aus, was ich manchmal in meinem Christsein empfand. Ich wollte nach Gottes Willen leben und ertappte mich doch immer wieder dabei, wie ich das tat, was ich eigentlich doch gar nicht tun wollte.“! Ich glaube, daß dies viele Menschen so beschreiben würden, ganz in Sinne auch einer kritischen Selbstsicht. Wir sind nicht perfekt. Aber mich treibt hier vorallem die Dankbarkeit für die geschenkte Gnade dazu, mich wirklich zu bemühen meinen Idealen gerecht zu werden. Da kann ich selbstverständlich nicht das ständig erneute Sündigen richtigen finden. Aber ich kann auch nicht ignorieren, daß ich immerzu auch Mensch bleibe mit menschlichen Schwächen. Aus den Motiven der Dankbarbeit Gott gegenüber mich auf der Skala des Unheiligen zum Heiligen mich hin zu bewegen, ist sicherlich aller Ehren wert. Die Liebe Gottes geschieht ja gewissermaßen nicht für das was an uns nicht stimmig ist, sondern sie ist unserem Menschsein gewidmet, in dem wir letztlich nur in die gnädige Hand Gottes fallen können und nicht in die Tiefe einer gedachten Nicht-Existenz. Die Liebe Gottes tilgt unsere Schuld, nicht wir können sie gutmachen.
Es geht nicht um eine „Identität in Christus“, oder um ein „gerecht vor Gott“. Wir müssen, um das Evangelium wirklich verstehen zu können, nicht nur auf die christl. Begriffe schauen, sondern vor allem auch auf das reale Leben. Da erleben wir, dass wir als Christen nicht mit einem Schlag zu vollkommenen Menschen geworden sind, obwohl das notwendig sein würde, damit wir in dieser Welt leidfrei leben könnten.
Was macht nun real den „alten Menschen“, wie die Bibel den Sünder nennt, aus?
Er identifiziert sich mit seinem physischen Körper und steht damit in einem Existenzkampf, der solange er sich mit seinem physischen Leib existiert, niemals aufhören kann. Um also vom Leiden frei werden zu können, ist eine „Wiedergeburt“ notwendig, wie Jesus Christus sagt. Was heißt das?
Ich muss aufhören mich mit meinem physischen Leib zu identifizieren und beginnen aus der Vorstellung zu leben, dass ich ewig bin und das Ewige keinerlei Bedürfnisse hat, sondern die Erfüllung ist. So kann ich in einem zeitlichen Prozess immer mehr die Abhängigkeiten von Natur und Gesellschaft und meine Begierden überwinden, und so allmählich tatsächlich ein vollkommener Mensch werden (2. Kor. 3,18). Das ist das, was uns das N.T. sagen will.