Serie: 7 Worte vom Kreuz

„Siehe, das ist dein Sohn! Siehe, das ist deine Mutter!“

Jesus sorgt sich in der letzten Stunde um seine Vertrauten. Maria schenkt ihrem Sohn Nähe – und lässt ihn gleichzeitig los.

Von Tamara Hinz

Ich bin Mutter von vier erwachsenen Kindern. Zwei von ihnen sind Söhne. Beide Anfang dreißig und damit in der Blüte ihres Lebens. So alt war Jesus, als er hingerichtet wurde.

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Die Vorstellung, dass eines unserer Kinder so früh aus dem Leben gerissen würde, ist furchtbar. Der Tod des eigenen Kindes gehört tatsächlich zum Schlimmsten, was Eltern passieren kann. Und ein Kind zu verlieren, so wie es hier beschrieben wird, ist an Grausamkeit wohl kaum zu übertreffen. Jesus wird vor den Augen von Maria, seiner Mutter, zu Tode gefoltert. Er hängt am Kreuz. Entkräftet, ausgezehrt, hilflos ausgeliefert und – im wahrsten Sinne des Wortes – in den letzten Zügen. Maria, so wird uns im Johannes-Evangelium erzählt, steht mit einigen anderen Frauen und dem Jesus-Vertrauten Johannes ganz nah am Kreuz (Johannes 19,25-27).

Diese kleine Gruppe – allen voran Maria – hat den Mut, zu bleiben. Hat den Mut und die Liebe zu Jesus, diesen schrecklichen Anblick auszuhalten. Das Bisschen, was sie noch beisteuern können, das tun sie: Sie sind einfach nur da und schenken Nähe. In diesem Moment wird ganz sicher wahr, was Maria schon viele Jahre zuvor prophezeit wurde: Angesichts des Lebens und Sterbens von Jesus würde ein Schwert durch ihre Brust dringen (Lukas 2,35). Genau solch einen unfassbaren Schmerz muss der Anblick ihres Sohnes am Kreuz bei ihr ausgelöst haben.

Von Maria lernen

Ich bewundere an Maria ihre Bereitschaft, sich diesem furchtbaren Schmerz zu stellen und trotzdem ihren Sohn loszulassen. Sie weiß ja, dass Jesus Gottes Sohn ist und damit alle Möglichkeiten hat, diesem schrecklichen Schicksal zu entgehen. Er hätte dem ganzen Spuk bereits im Vorfeld ein sofortiges Ende machen können (Matthäus 26, 53-54). Aber er tut es nicht, weil er weiß, dass es seine Berufung ist, aus Liebe zu uns Menschen diesen Tod zu sterben, damit wir leben können. Und Maria, seine Mutter, weiß das auch. Sie hat die Größe, ihren eigenen Schmerz und ihr eigenes Schicksal dieser Berufung unterzuordnen. Sie könnte bitten, betteln und jammern, dass Jesus diesen Weg nicht zu Ende geht. Sie könnte Jesus manipulieren und ihren eigenen Schmerz in die Waagschale werfen. Nach dem Motto: „Wie kannst du nur!“ „Weißt du eigentlich, was du mir, deiner Mutter, damit antust?“ Aber sie tut es nicht, sondern hält aus und lässt los.

Von ihr kann ich bereits in viel weniger dramatischen Situationen lernen, andere, mir anvertraute Menschen loszulassen. Loszulassen, damit sie ihren eigenen Weg gehen können, den Gott sie führt. Von Maria lerne ich, dass es im Leben manchmal um mehr und um Größeres geht als mein persönliches, kleines Glück. Damit große Dinge geschehen können, muss ich bisweilen einen Schritt zurücktreten und Opfer bringen. Es geht – so sehr mir das widerstrebt – nicht immer nur um mich, sondern oftmals um viel mehr.

Von Maria kann ich aber auch lernen, mich im Loslassen dennoch vom anderen nicht emotional zurückzuziehen, sondern dabei zu bleiben. Wie oft versuche ich, den Schmerz des Loslassens unter die Füße zu bekommen, indem ich mich vom anderen zurückziehe. Vielleicht sogar mit der Faust in der Tasche oder einem beleidigten: „Na gut, wenn du nicht willst, dann bitte schön!“

Maria gelingt die Balance zwischen Loslassen und Nähe. Sie wird nicht hart oder bitter und schottet sich innerlich auch nicht ab, sondern liebt weiter. Das bewundere ich sehr!

Auch der Blick von Jesus fällt auf diese kleine Gruppe von Menschen direkt unterm Kreuz. Seine Augen haben durch die Tortur der Folter jeden Glanz verloren. Aber er schafft es dennoch, mit letzter Kraft und vielleicht nur für einen kurzen Moment mit seinem Blick zwei Menschen zu fixieren. Menschen, die in seinem Leben eine besondere Rolle spielten: seine Mutter Maria und sein bester Freund und Vertrauter Johannes. Er will ihnen noch etwas sagen und – so stelle ich es mir vor – stößt schwer atmend und mit letzter Kraft hervor: „Siehe, das ist dein Sohn; siehe, das ist deine Mutter.“ Dabei ruht sein Blick für Sekunden auf der einen und dann auf dem anderen. Ich stell mir vor, wie Maria ganz kurz die Hand von Johannes drückt, während der schützend seinen Arm um Maria legt. Sie haben verstanden, dass sich Jesus selbst jetzt, in Momenten größter Qual, noch um sie sorgt. Maria soll wissen, dass sie für Jesus in ihrer Rolle als Mutter immer wichtig war. Er weiß, dass das Leben mit ihm als Sohn alles andere als einfach war und von ihr als Mutter einiges abverlangte. Wie oft musste er sie mit ihren mütterlichen Gefühlen zurückweisen, weil … ja weil es in seinem Leben eben um eine größere und stärkere Bindung ging als die familiäre Bindung: die Verbindung mit seinem himmlischen Vater und mit seinen Nachfolgern (Johannes 2,4 und Markus 3,31-35). Aber jetzt, jetzt soll sie wissen, dass sie ihm trotz allem nicht egal ist und nie egal war.

Auch Alltagsnöte sind bedeutsam

Jesus weiß: Es wird ein Leben danach geben. Ein Leben nach der Kreuzigung. Und dieses Leben mit all seinen Anforderungen muss gelebt und gestaltet werden. Dass das für seine Mutter gelingt, dafür ist er als ihr ältester Sohn verantwortlich. Das hier, das muss er noch regeln! Und wer könnte sich in Zukunft besser um seine Mutter kümmern als sein bester Freund?

Jesus vollbringt mit seinem Sterben am Kreuz das größte Wunder aller Zeiten, indem er die Verbindung von uns Menschen und Gott wiederherstellt. Und zugleich weiß er, dass dieses Leben hier für uns weitergeht. Und damals wie heute wertet er dieses Leben nicht ab. Es geht ihm darum, auch das Hier und Jetzt gut und verantwortlich zu gestalten.

Menschen, die auch heute noch diesem Jesus nachfolgen, die ebenfalls sagen: „Ich diene mit meinem Leben jemand Größerem als mir selbst“, sind genau zu dieser Bodenhaftung eingeladen. Die große Aufgabe zu sehen und zugleich das alltägliche Miteinander im Alltag. Das hat Jesus in seinen letzten Stunden so gelebt und dazu lädt er uns heute ein. Und sagt so: „Was dir in deinem Alltag geschieht, was dich dort beschäftigt, ist mir nicht egal!“

Vielleicht steckt auch in deinem Leben und Alltag zurzeit viel Leid.

Weil du durch Trennung oder Tod gerade einen Menschen verloren hast. Weil ein dir nahestehender Mensch schwer erkrankt ist. Oder du selbst. Weil du deinen Job verloren hast und nicht weißt, wie du dich finanziell über Wasser halten sollst. Weil du diffamiert und ungerecht behandelt
wurdest. Weil …

Wir dürfen wissen, dass Jesus diese Nöte nicht egal sind. Dass es ihn kümmert. In seinem Sterben am Kreuz macht er das größte Geschenk aller Zeiten: Er stellt die Verbindung zu Gott wieder her und schenkt uns ewiges Leben. Damit bekommt aber auch das Leben hier und jetzt eine ganz andere Qualität. Einen neuen Sinn, eine neue Ausrichtung und eine unfassbar hohe Berufung: nämlich diesem Gott mit allem, was du hast und bist, zu dienen. Aber darüber hinaus sagt dieser Jesus dir auch zu, dass du mit deinen Sorgen und Problemen nicht alleine bist, sondern er mittendrin und dir ganz nahe ist. Er stellt dir Menschen an die Seite, die ihm nachfolgen und die sich um dich kümmern. Wie du dich um sie kümmerst. Denn Nachfolge bedeutet auch gegenseitige Unterstützung, damit unser Leben gelingt.

Direkt nach dem oben zitierten Wort am Kreuz heißt es: „Von da an nahm der Jünger (Johannes) sie (Maria) zu sich in sein Haus.“ Das, was in dieser Jesusbegegnung am Kreuz gesprochen und passiert ist, hat für Johannes und Maria sofort Auswirkungen. Sie setzen es in ihrem Alltag um.

Was ist dein persönliches „Von da an …“ – wenn du Worte von Jesus hörst?

Tamara Hinz schreibt Beiträge für AUFATMEN, ist Buchautorin und Referentin für Lebens- und Glaubensfragen.

Alle Artikel der Serie findet ihr auf dieser Webseite.


Das Cover von Aufatmen 1/24

Dieser Artikel ist in der Zeitschrift AUFATMEN erschienen. AUFATMEN gehört wie Jesus.de zum SCM Bundes-Verlag.

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